Seite 6

Die 2& Weit?-

Nr. 19

in mir Erinnerungen an die yieltausendjährigen Leiden Ihres Volksstammes wachgerufen. Ichmuss es hierzu meiner tiefsten Beschämung gestehen, dass meine Mit Christen die Lehren Christi durch Jahrhunderte missachtet haben, indem sie das alte Volk Gottes in der barbarischesten Weise verfolgten." Auf die Beschuldigungen, die zu den verschiedensten Zeiten gegen die Juden erhoben wurden, übergehend, citierte er das Wort eines berühmten Bischofs, der den Judenfeinden zurief:Was immer die Juden auch sein mögen, Ihr habt sie dazu gemacht! Ihr verachtet die Juden, weil sie Wucherer sind und Händler mit alten Kleidern: dass sie es sind, Ihr habt es auf dem Gewissen !* Bischof Potter erzählte der Versammlung sodann eine Begebenheit, die sich auf seiner jüngsten Europareise zugetragen hatte. Während er durch Holland fuhr, vertiefte er sich in Heines Buch der Lieder". Nach einer geraumen Weile wurde ihm von einer Coupegenossin im Gespräche gesagt, er könne stolz darauf sein, der Easse dieses grossen Dichterfürsten anzugehören. Er antwortete, seines Wissens sei Heinrich Heine kein Amerikaner gewesen. Darauf verwundertes Kopfschütteln von Seite seiner Reisegenossin, die er nur mit harter Mühe davon überzeugen konnte, dass er kein Jude sei. . . Ueber den Zionismus äusserte sich Bischof Po 11 er wie folgt:Ich hörte Ihren Sprecher von zwei Parteiungen im Judenthum sprechen: den nationalen Zionisten und jenen Juden, die sich als Angehörige der Länder betrachten, in denen sie wohnen, und deren Ideal die Vaterlandsliebe ist. Selbst auf die Gefahr hin, die Gefühle vieler von Ihnen zu verletzen, sage ich es Ihnen geradeheraus: Ich bin kein Zionist! Wenn ich die Sache recht verstehe, so wollen die Zionisten, dass die jüdischen Männer und jüdischen Frauen ihr Ränzlein schnüren und, die Völker verlassend, in deren Mitte sre bis dahin lebten,* sich ein eigenes Heim gründen sollen. Ich rufe Ihnen zu: Thun Sie das nicht! Sie bilden einen sehr wertvollen und schwer zu vermissenden Bestandteil unseres Volkskörpers, wenn Sie auGh Ihre eigenen, vielleicht nicht immer an­genehmen Rasseneigenthüm.Henkelten haben. Bestreben Sie sich vielmehr mit alier Kraft, Amerika zu Ihrem Zion zu machen, zu dem Lande der Verheissung und der jüdischen Ideale!"

Von den restlichen Sprechern des Abends sind hervorzuheben: Rev. Dr. Samuel Schulmann, der zur Unterstützung derAlliance" auübrderte* und Herr Nissim Behar, der Abgesandte derAlliance", welcher über die palästinensische Arbeit derAll. Isr. Univ." sprach und seinen Vortrag durch stereoptische Bilder aus den jüdischen Colonien Palästinas illustrierte, deren jedes einzelne*stürmisch; bejubelt wurde.

Zum Schlüsse erhob sich unser wackerer Gesinnungs­genosse Rev. Masliansky und verfocht in «iner aus­gezeichneten Jargonrede den zionistischen Standpunkt. Gegenüber Bischof Pott er verwies er darauf, dass, wenn der Patriotismus der Deutsch-Amerikaner trotz des Be­standes eines grossen und mächtigen Deutschland nicht'in Frage gestellt werden dürfe, man auch die amerikanischen Juden des Mangels an Vaterlandsliebe nicht beschuldigen darf, bloss weil sie für ihr zionistisches Ideal arbeiten. ;

__ Jul. Z.*'

Die Fragen der körperlichen/ geistigen und wirtschaftlichen Hebung der Juden.

Zur Frage der Hebung der wirtschaftlichefi Lage der Juden in Galizien.

-peber die von den&nei Brith" zugunsten der Juden Galiziens^zu, unternehmende Hilfeactiori verlautet folgendes; Es Söll vor allem statistisch festgestellt werden^ wieviel Hilfsbedürftige in einer jeden ' Gemeinde vorhanden : sind/

Dann wird eine bestimmte Summe Geldes für eine jede Gemeinde festgesetzt, die ein- für allemal diesem Zwecke gewidmet wird. Und nun soll-die Vertheilung in der Weise vor sich gehen, dass die zu unterstützenden Familien an zwei Kategorien geschieden werden. In solehe,-die sich für eine Hausindustrie eignen, und solche, denen anderweitig geholfen werden muss. Letzteren wären unverzinsliche Dar­lehen zu gewähren, die sie in kleinen Raten zurückzuzahlen hätten. Damit könnten die Aermsten etwas unternehmen, \ um auf diese Weise ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die rückgezahlten Darlehen sollen periodisch wiedergewährt werden, säumige Schuldner hingegen gericht­lich belangt, zahlungsunfähige geschont Werden.

Was nun die Familien mit erwachsenen Kindern ' beider Geschlechter betrifft, so sollen diese zur Haus­industrie herangezogen werden. Es seien in jeder jüdischen Gemeinde die betreffenden Arbeitsmaschinen zu schaffen, in jeder Gemeinde ein Lehrer anzustellen, der den Leuten die Bedienung der Maschine gehörig beibringen solle, unddarin dann möge man ihnen Arbeitsgelegenheit verschaffen, und ihnen wäre geholfen.

Man möchte fast zur Ansicht hinneigen, dass diese Hilfsaction, so problematischer Natur sie auch sonst sein möge, Anspruch auf Erlolg habe. Jedoch schön bei näherer Betrachtung erweist sich die Unhältbarkeit eines; solchen Planes. Man darf sich darüber keiner Täuschung hingeben. Das Elend der Juden in Galizien ist ein derart grosses; die, Noth hat bereits solche Dimensionen angenommen, dass die materiellen Hilfsmittel derBnei Brith" kaum hin­reichen dürften, eine temporäre Linderung, geschweige denn dauernde Abhilfe zu schaffen. Wir glauben nicht zu weit zu gehen, wenn wir annehmen, dass mehr als die Hälfte taller galizlschen Juden um' mich eines Birnbaum- eschen Ausdruckes, zu bedienen dem Bettel- und Bet- proletariate angehört und in Elend und Noth Verkümmert. V Selzen wir nun den Stand einer Familie mit fünf Personen l fest, so wäre die Zahl der Familien, die auf eine Unter-' '. Stützung derBnei Brith" Anspruch hätten, 80.000. Bei i einem Existenzminimum von 400 Kr. jährlich müsste das zu investierende Capital einen jährlichen Ertrag von '32 Millionen Kronen liefern. Welch ungeheure Summe, und dabei wie niedrig gegriffen die %ahl der zu Unterstützenden," wie das Existenzminimum! ~

Schon aus diesem Grunde kann von einer die Ge- sammtheit der jüdischen Proletarier in Galizien umfassenden . Action nicht die Rede sein. Es müsste sich also eine Actiöa auf eine bestimmte. Anzahl Familien beschränken. Und was würde die3 in Anbetracht des Riesenelends der galizischen Juden bedeuten ? Einen Tropfen in einem Meer! Nichtis- , destoweniger ist die Tragweite einer splchen Action nicht . zu unterschätzen. Deswegen, weil die Hilfe nicht allen : puf ; einmal gebracht werden könnte, müsste sie noch. immer nicht unterbleiben. Ueberhaupt kann ja eine solche .Aufgabe, wie die Bekämpfung der Judennoth in Galizien, nicht im . Handumdrehen gelöst werden» Es gehört dazu viel Zeit, Mühe und vor .allem, viel Geld, Und so wäre wenigstens der .... Anfang gemacht. Aber abgesehen von diesem Umstände ' steigen noch andere Bedenken gegen eine Hilfsaction in : obigem Sinne auf. / u Eine dauerndev Abhilfe, die Hebung des wirtschaft~'

t liehen Niveaus und-der materiellen.Läge, kann unserer. Anr .sieht nach in Galizien durch Einführung, der Hausindustrie : und d urch Hebung und Heranziehung zum Handwerke nicht ^ erfolgen. Schon im allgemeinen hat die Hausindüstrie beim? jetzigen Stande der gewerblichen Technik, bei der Voll- ,'kommenheit und Verbreitung der Maschine überhaupt keine / oder doch nur eine; auf kurze Zeit beschränkte Existenz- i möglichke.it.> Welches Elend herrscht nicht schon jetzt in den meisten Gegenden, in denen die. Haüsindustrie ein alt .] eingelebter Erwerbszweig ist ? Und nun-wird .doch kein Mensch mit einem so zweifelhaften Mittel einen Versuch , unternehmen, wollen, der erst in der Zukunft Erüchte tragen^ soll.. Wenn .auch unbestreitbar manche rBedingungen für, dieselbe in:Galizien gegeben sind, wie überiS^$§ig^ÄrbeifefiK 4 kräfte, die billig zu haben wären, so sind .dies-: .moch immer nicht alle oder doch zumindest nicht die wichtigsten Vpr- aussetzungen für; eine Hausindustrie, Gerade dieser Ujber- ^ schuss an nicht;verwendeter Arbeitskraft »birgt-in^sieh die. ij grösste. Gefahr für-die Hausindustrie ihi de*; Zukunft,' ,v* ; . s -; ; Billige Arbeitskraft bildet ein AnMefcüngsmittef für i: die Grossindustrie, -lirfd'" halt'/ diese üfäeY v #i*rz ' oder * lang ihren Einzug;- in Giälizien, so kommt J ihr i ' 4iks&?Bftligkmy ^ sehr zustatten;* Solöh^' 1 E'schehlungetf- zeigen- s'idh oftmals n in Russländ. Söll eine Hatiisindustrie' 'Yög -'Mi&ü ern.lt #*n* Bei * stände seiny so thüsseri die VoVaüssetzuhgeh^für eifie -Industrie fehle»; Sonst wäre ebeif keih^