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Die Welt 04

Nr. 19

Flamme, jüdischen Empfindens, die im Innern des jüdischen -'Herzens schlummere mag die Schale sich noch so hart und indifferent geben Vachzuhalten und zu nähren. Der Zionismus thue dies. Der Zionismus ist das Zauberwort, dem sich dieses Allerheiligste erschiiesst, und der dem Leichtsinne entgegenarbeitet, mit dem der Jude die Tradition über Bord wirft Was ist zu thun? Man blicke um sich; man sehe den armen Juden, die arme Jüdin, wie sie sich scheu in eine Ecke drückt, wie Noth und Mühsal sie jagen, Tag um Tag, ohne einen Sonnenstrahl der Freude. Hier seien die Hebel anzusetzen: man gründe Toynbee- H allen. Man lasse die gedrückten Frauen, die armen Männer kommen und im gemeinsamen Verkehre warm werden. Man höre sie an und greife, wo es noththut, zu. Man o r g a n i s i e r e s ich wie in London, wo nicht nur die Spitzen der jüdischen Geistes- und Geld-Aristokratie im Geiste der Toynbee-Hallen-Tnstitution wirken, sondern wo tausende von jüdischen Frauen ihren enterbten Mit­schwestern Schutz und Schirm sind und in ihnen das Gefühl wachhalten, dass die Aussenwelt wohl scheidet, die Herzen aber dennoch zusammenschlagen.

Mit gespannterAufmerksamke.it folgte das Auditorium den Ausführungen des Schöpfers der Toynbee-Halle in Wien. Wenn unsere jüdischen Frauen den Mahnworten, die sie an diesen beiden Abenden von berufenster Seite gehört, Beachtung schenken, wenn sie ins Volk tauchen, ihre Herzen dem Elend öffnen, das sich auf Schritt und Tritt zeigt; wenn sie beobachten und hinhorchen, wo unter ärm­licher Kleidung noch der jüdische Gedanke lebt: dann werden sie sich auch jene Herzensbildung aneignen, dann werden sie jenes Stammesbewusstsein, jenen Gesinnungs-. stolz finden, welcher es ihnen ermöglicht, trotz des Druckes der Verhältnise jüdische Frauen, jüdische Mütter zu bleiben.

Z. F.

Die Turnvereine.

Von Robert Jafte.

Auf die hohe Bedeutsamkeit der jüdischen Turnvereine kann gar nicht eindringlich genug hingewiesen werden. Wenn es sonst bereits geschehen ist und wohl auch noch ge­schieht, so leiden die Anpreisungen der Turnvereine doch alle an dem Fehler, dass sie zu sehr zwischen den übrigen, zumeist festlich gehobenen Phrasen abblassen. Solche Worte verlieren schliesslich ihre blanke Prägung und bleiben so matt, wie die patriotischen Reden bei den Kaisergeburtstagen und den Schulactussen. Wenn es schon für den, der ein Gefühl für, den inneren Wert und die innere Kraft des Wortes hat, eine Plage ist, wie wenige unsere Sprache noch kräftig reden können, um wie viel mehr, wenn ihm das, was er sagen möchte, am Herzen liegt. Und die jüdischen Turn­vereine können als Verite vraie, als die wirklichste Wirklich­keit innerhalb des ganzen zionistischen Bewegungskreises erscheinen.

in unserer Gegenwart treten auch ganz allgemein die auf eine Renaissance des Körpers gerichteten Bestrebun­gen in den Vordergrund. Nicht so sehr in der ausgebreiteten Ausübung der verschiedenen Sportarten und in dem ausser­ordentlichen Interesse an den Berufssportkämpfen der Rad­fahrer, Fussballspieler und dergleichen; denn die hastige, flüchtige, auf Zeitersparnis bedachte, unindividuelle, ja bei­nahe unpersönliche Pflege des Sports dürfte doch kaum einen Gegensatz zu der unhellenischen amerikanischen Lebensart bilden, sondern sich geradezu charakteristisch in sie einfügen. Aber in Berlin wird ein Blatt gegründet: Kraft und Schönheit", und es tritt fürintelligente Leibes­zucht" ßin, und selbst ein so massvoller, bedachtsamer, christgläubiger und so wenig excentrischer Schriftsteller, wie Otto von Leixner giebt der neuen Bestrebung ein enthusiastisches Geleitwort auf den Weg. Diese Tendenzen mögen nicht den gesund romantischen Neigungen ent­sprechen, die so leicht am Anfange eines Jahrhunderts auf­tauchen, und sie mögen auch nicht darum in den Anfang des Jahrhunderts fallen, weil alsdann die Sonne golden und weit über die Epoche zu glänzen und zu strahlen pflegt. Sondern sicherlich ist diese Renaissance des Körperlichen eine naturnothwendige Reaction gegen die unglaubliche Vergeistigung, die als eines der hervorstechendsten Fin de siecle-Symptome erscheinen konnte. Wenn in den Dichtungen der Ibsen, Maeterlinck, Jacobsen, Bourget, Gerhard Haupt­mann, Knut Hansum, D'Annunzio und Arne Garborg alle die heimlichsten Bewegungen der Seele dargestellt wurden, die Psychologie alle dichterische Lust zu fabulieren auf­

zehrte und nur die Engländer noch in Kipling . einen Erzähler von äusseren Begebenheiten aufweisen konnten, so mochte dies eine Spiegelung des wahrhaftigen, modernen Lebens sein. Die Dichtungen waren gleichsam Zwiegespräche der Seele mit sich selber, und in dem wirklichen Dasein hatten die kleinen Seelchen ein selbständiges Leben wie etwa in den Vorstellungen der Katholischgläubigen gewonnen. Bei den Juden musste nun die allgemeine Entfremdung vom Körperlichen noch auffälliger hervortreten, und es mochte kein Vorurtheil sein, wenn ihnen allgemein eine grössere körperliche Ungeschicklichkeit zugeschrieben wurde. In einem. Kreise von Collegen, die auf die Jagd giengen, erwies sich gewiss der Landgerichtsrath, der von naher jüdischer Abstammung war, als der Unbeholfenste, und Bismarck deutete einmal dem ursprünglich jüdischen Abgeordneten Arendt gegenüber mit leisem, aber immerhin merklichem Spotte auf dessen Ungeschicklichkeit als Waidmann hin. Es kann dies in langer, directer Linie eine Erbschaft vorn Glietto her sein, wo die Juden durch die Sorge ums tägliche Brot in einer beinahe unkörperlichen Thätigkeit so in Anspruch genommen wurden, dass sie an ihren Leib auch nicht mit dem Schatten eines Gedankens dachten. Vielleicht aber liegen die Ursachen auch tiefer und gehen auf ursprüngliche Anlagen des jüdischen Volkes zurück. Bei ihnen gab es doch immer Tendenzen gegen das Sinnfällige, Körperliche, indem sie im Gegensatze zu allen umwohnenden orientalischen Völkern die Götterbilder verwarfen und einen rein geistigen Gott aufstellten. Ihnen fehlte überhaupt die schlichte,; gleichsam epische Freude am Gegenständlichen, und Georg Brandes hat in einem geistvollen (in dieser Zeitschrift abgedruckten) Aufsatze ausgeführt, wie sich der Gegensatz in den Schilderungen der Bibel und in denen Homers offenbare. Sie waren anstatt in der epischen Freude am Körperlichen in der lyrischen Ekstase gross. So könnte für die Juden die Pflege des Turnens eine noch grössere nationale Bedeutung erlangen, als das deutsche Turnen am Anfange des neunzehnten Jahrhunderts unter Jahn, Massmann und Folien, und es wäre für sie. von den weiten, glänzenden Idealen abgesehen, die nachdrücklichste Gegenwartspolitik". Zwischen Reck, Pferd und Barren müsste den jungen Juden all das peinlich Empfundene eines offenen, hellen Bekenntnisses zum Judenthum am ehesten entschwinden können, und wenn sich die Sieger bei Turn­wettspielen wie F1 a t o w in Hamburg und Gaisorowski in Paris noch häufiger unter den Juden finden sollten, so würde dies gewiss auf alle die übrigen einen so sicheren, überzeugenden und imponierenden Eindruck machen, wie nichts anderes auf der Welt. Wenn die Juden bei ihren festlichen Gelegenheiten, wie etwa die Polen, stattliche Reitercavalcaden aufbieten könnten, so würde dies mehr zu ihrem Ausehen und Respecte beitragen, als irgendwelche Bestrebungen ihrer Philanthropen. Aber auch für die weitere Zukunft könnte der Sieger bei Turnwettspielen ebenso das Symbol einer vollen, goldenen, neuen jüdischen Herrlichkeit werden wie etwa ein stämmig untersetzter Arbeiter, mit kurz verschnittenem, tiefschwarzem Vollbart aus den Weic- kellern von Rischon le Zion.

Jedoch die Jugend ist kurz, wie das Blühen einer Blume, wie die Vorhalle, die erst in das eigentliche Gebäude hineinführen soll, und was durch die Jugend bedingt wird, ist so wenig. Noch wichtiger als die Pflege der Turnkunst selbst wäre die Gesinnung, die daraus über das jüdische Volk ausfliessen müsste. Wenn die Lorbeerkränze, die dem Sieger bei den Turn wettkämpfen dargereicht würden, den aufrichtigen, leidenschaftlichen Enthusiasmus des ganzen Volkes enthielte, so fiele das .Verdienst des Einzelnen wahr­haft auf seine Nation zurück. In der Enge und Bedrückung des Ghettos sehen wir, ähnlich wie etwa in dem Armuts­kreise der Hauptmann'schenWeber", ganz eigene sittliche Eigenschaften sich entwickeln. Von den Bedrückten wurden die Eigenschaften am höchsten bewertet, die ihnen unter­einander die Bürde erleichtern konnten; die geistigen und sittlichen Verdienste, vor allem der Wohlthäter, 1 wurden am höchsten geschätzt. Hier könnte nun eine Umwandlung der Volksbegriffe das Meiste bedeuten, und auch noch von erheblichem Werte sem^wenti sie durch das Turnen dierJuden auf das schlichte, einfache Leben zurückführte. Denn alsdann würden die Juden begreifen, dass die einfache Kunst, die aus dem schlichten, .holden, wirklichen Leben fliesst, un­endlich mehr bedeute als die verzwickteste und scharf­sinnigste Wissenschaft. Solche innere Uniwandlung des iischen Volkes dürfte den jungen jüdischen Studenten, die aus ihren warmen Familiennestern ins laute, grelle Leben hinausgestellt werden, die Möglichkeit geben, die Ansprüche des modernen Lebens mit einer trauten Volks­tümlichkeit zu vereinigen. Während sie bisher nur zwischen einem schmählich ästhetischen, salongeistreichen