Seite 14 „ tiie # Welt " Nr . 29 Der kleine Klesmer . Von Ignaz K olin . Bei Hochzeiten spielte sein Vater die Geige . Jauch¬ zend flog der Bogen über die zitternden Saiten . Ihm war es , als tanzte einer im Sonnenschein . Merkwürdig , dass er sich immer , wenn Vater seine AYeisen spielte , eine ganze Geschichte dazu denken musste . Die Töne , die durch seine Seele schwebten , weckten Träume , nahmen Formen an , wurden Leben . Er sah Ge¬ stalten vor sieh , er sah in ihre Gesichter , und sie erzählten ihm , was in ihrem Herzen geschah . Er aber verstand sie ---- 0 . er verstand sie so gut ! Wenn sie weinten , er hätte gerne mitgeweint ; wenn sie lachten --- Nein , nein . Wenn Vater spielte , lachten sie nicht , und lachten sie ja einmal , bei einer Hochzeit , an einem besonderen Freudentage , dann war das wie ein Er¬ innern an Verrauschtes , Verlorenes für alle Zeiten , ein Er¬ innern an etwas , das gewesen , ein leuchtendes Sein , ans dem zugleich Muth und Trauer fliesst den ärmsten Seelen . Zehn Jahre war er alt . Seine grossen schwarzen Au¬ gen blickten immer so erstaunt in die Welt , als ob sich ihnen ein Wunder böte . Die dunklen Haare hoben nur noch die Blässe des Gesichts . In der Schule sass er auf der letzten Bank mit Nachharn , die ihm unangenehm wur¬ den , weil sie stets schwatzten und allerhand lose Streiche ausheckten . Da er nicht mitthat , traf ihn ihr Spott . Der gute alte Lehrer , der den kleinen Jimgen vom ganzen Herzen liebte , denn er war folgsam und ordentlich , konnte es nicht verstehen , „ warum dem so jeder Ehrgeiz fehle " . Er wurde ins Gebet genommen , wobei es Thränen vor Eiihrung gab , aber — umsonst . „ Aus dem wird nun schon , nichts imd er ist doch so ein guter Junge . " IJeberaU wurde er „ der kleine Klesmer ' 4 genannt . Manche legten eine gewisse Geringsehätzung in diese Worte , andere sprachen sie voll Mitleid . Er war still und . gedrückt , gieng den anderen Kindern aus dem Wege und fand nicht Freude am fröhlichen Treiben seiner Kameraden . Zuhause lag er im Hofe , blickte , den Kopf auf die Hände gestützt , in die phatastisehen Wolken , die über ihn hin wegzogen , licht und leuchtend , und träumte . In jedem seiner Träume aber sah er sich mit der Fiedel in der Hand , und er spielte ; die Leute aber , viele , viele Leute , alte und junge , horchten auf seine Weisen . Und stille war es — eine Stille nicht des Todes , sondern des verhaltenen Lebens vor dem Er¬ wachen , und in dieser Stille brausten seine Töne über die Erde , mächtig und glühend , zündend und erweckend , stär¬ kend und befreiend . Es war so schön , so schön ! Er lebte seinen Daseinstraum . Sein Vater war Hausierer . Bei seiner Familie ver¬ brachte er nur die Feiertage , und die nicht alle . War Va¬ ter in der Fremde , dann lag die Geige im bestaubten alten Kasten im Schrein . Der kleine Klesmer hätte für sein Leben gern spielen mögen , aber Mutter gestattete es nicht . Die Geige war etwas Kostbares , ein Familienstück , das sieh von Vater auf Sohn vererbte . Man musste darauf ganz be¬ sonders gut achtgeben , und Kindern durfte sie nur ja nicht überlassen werden . Eines Abends kam ein Brief von Vater . Er schrieb , dass die Geschäfte gut giengen und wie er sieh darauf , freue , bald bei den Seinen einzutreffen , um längere Zeit bei ihnen zu verbringen . Mutter war voller Freude , las den ganzen Brief vom Anfang bis zum Ende dem Kleinen vor und konnte sich an den schlecht und fehlerhaft geschrie¬ benen Zeilen nicht satt genug lesen . Es war gar lange her , dass sie ein Lied gesungen , jetzt kam es von selbst , schwebte ihr auf den Lippen . Ein Lied war ' s , das sie als blutjunges Mädchen gelernt hatte ; es schien um vieles älter als sie selbst . Vom König David und von Jerusalem war drin die Bede \ mclv ^ fi . Messias 1 , ' dem Erlöser . Der Kleine sass in der dunklen Küche in einer Ecke . Er sann und . sann und mitten in sein Sinnen schlägt das Lied seiner Mutter ihm ans Ohr , greift ihm an die Seele und verwebt sich in seine Träume . Die Wangen färben sich ihm , er trocknet aufsteigende Thränen . Das Herz ist ihm so voll , so übervoll . Er schleicht zu ihr hin , die seiner in der Arbeit schon wieder ganz vergessen hatte , näher , im¬ mer leise wie ein Dieb . Zitternd fragt er : „ Mutter , wenn Messias kommt , werden wir alle nach Jerusalem ziehen ? " Die Mutter blickt zu ihm auf , in den Augen steht ihr ein Lächeln . Und sie erzählt ihm , was sie darüber weiss , was sie darüber gehört und gelesen , was man ihr selbst als Kind einst erzählt hatte . Der Knabe aber lauscht . „ Mutter/ ' fragt er plötzlich , „ kann man das spielen ? " „ Was ? Wie meinst Du das ? " „ Dass — dass Gott uns liebt und Messias kommt und wir nach Jerusalem wandern in unsere Heimat und der Tempel Davids ------ — ' * „ Du dummer Bub , Du ! " Sie fährt ihm zärtlich über Ilaare und Wangen . Was für seltsame Ideen doch so ein Kind hat ! „ Lass mich spielen — ---- ach , bitte , lass mich spielen ! " Sie wird stutzig . Es packt sie die Neugier , was wohl daraus werden wird , AVenn sie ihm die Geige brächte — > --- l T nd sie geht in die Stube , sperrt den Schrein auf und bringt ihm die Geige . Sein Athem gieng heiss und schnell , die Hände zittern , und wie im Schauer durchrieseltes seinen Körper . Bevor er die Geige fasst , spreizt er , wie im Krampf , die Finger , dann nimmt er sie , legt sie unter das Kinn , neigt den Kopf zui Seite , gerade so , wie er es vom Vater gesehen und wie er es in Vaters Beisein manchmal gemacht . Der Bogen fährt leise über die Saiten und heisse Thränen rinnen dem Kna¬ ben über die bleichen Wangen . Anfangs wollte Mutter lachen , dann aber wurde sie still ; und als sie sah , dass er dabei weinte , füllten sich auch ihr die Augen . Und mitten in Thränen mass sie „ den Knirps " voll Bewunderung , Stolz und Liebe . Was er da spielte , das waren Töne , verworren und . wild und nicht geklärt . Aber manchmal klang es durch wie der Seh merzen ssehrei einer aus vielen Wunden blutenden Seele , eine schöne , fertige Melodie . Da , nun ein Bogenstrich — eine schrille Dissonanz zerriss das ganze wieder . Xur einzelne Töne waren rein und schön . Er hatte sein Spiel beendet . Mit gesenktem Blick gab er die Geige zurück , als müsste er sich darüber schämen , dass er gespielt . Mutter trug sie in die Stube , sie dachte : „ Den Klesmern liegt es im Blut . Er ist ein Klesmer . ' * Y < m nun ab durfte er spielen , so oft er wollte . Er war darüber froh und kratzte den lieben langen Tag an der Geige , spielte Lieder , die man auf der Gasse sang . Mädchen kamen zu ihm und Hessen sich aufspielen . Bald liebte er wieder seine Träume mehr als das Saitenspiel und war nin mit vieler Mühe dazu zu bewegen , die Geige in die Hand zu nehmen . A / T ater war zuhause . Als ihm Mutter das Neueste von seinem Sprossen erzählte , nahm er es wohl freudig , aber doch bis zu einem gewissen Grade als selbstverständlich auf . Er hatte es ja gewussi , dass es mit der Zeit so kommen werde . Der . Kleine gerieth ganz ihm nach . Er hat ja auch nichts lernen wollen ; und wozu , auch ? Das sollten nur reicher Leute Kinder , die von vorneherein eine gesicherte Zukunft haben . Er wird ein rechter Klesmer und ein schlichter Hausierer werden und einst AVeib und Kind red¬ lich ernähren . Vater lehrte ihn allerhand Lieder , die er bei . den Hoch¬ zeiten spielte, ' und ' ' f ' and ^ da ' ss/ ^ er Kleine „ ganz anstellig " sei . Er dächte schon 1 daran ^ Geld beiseite zu legen , um eine |