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Nr. 39

Stils, aber dort., wo er ganze Umschreibungen benüthigt, genügt für Aehad-Haai'n ein einziges treffendes Wort, seine Ausdrucks- weise trägt den Stempel der LeiclYthewe&liehkcit, Prägnanz und Anschaulichkeit! Und ebenso wie in dej^ techu^scjjen^Kleinarbeit ist Aehad-llaani unübertroffenerMeister'in der ^'lilung'orgaiiisclier Ülileomnlexe. Die Abhandlungen Smolensky s ergötzen, aber er­müden auch durch eine Fülle geistreicher Details, feiner Aper­cus; er ist übersprudelnd, voller Abschweifungen. Die Abhand­lungen Achad-Iiaanis sind logisch durchsichtige, architektonisch gegliederte Gebilde, jede seiner Arbeiten ist in formeller Hinsicht ein kleines Kunstwerk; man kann schon jetzt Aehad-Haani zu den C'lassikern unseres wissenschaftlichen Stiles zählen; sein Uinfluss auf die Schreibweise der allerjüngsten Literaten ist unverkennbar.

Ein,gut Theil ihrer Wirkung verdanken unsere beiden Schrift­steller ihrem polemischen Naturell. Keiner unter den hebräischen Literaten versteht es besser als sie, ihren Gegner abzuthun, ihn ad absurdum zu führen. Sie wurden und werden auch deshalb als zersetzende Elemente. Xur-Ne.gie.rer, . Nörgler verschrieen, Snio- lensky ist, seinem Temperament gemäss, ungestüm, leidenschaftlich, bitter, sarkastisch; Achad-Ilaam bleibt stets vornehm, kühl, iro­nisch. Es ist förmlich rührend zu sehen, mit welch gutmüthiger Miene er sich dem Gegner nähert, er scheint nichts Böses im Schilde zu führen, er greift ihm vielmehr, unter die Anne, macht dessen Gedanken mundgerecht, denkt sie zu Ende und unver­sehens entpuppt, sich des Aermsten W eisheit als profunder Blöd­sinn.

Wir wenden uns nun den Anschauungen, den Ideen beider Männer zu. Wir wollen uns vor allem mit Smolensky beschäftigen. W ir haben ihn oben in seinen Kämpfen, Bestrebungen und Aussich­ten für die Zukunft des jüdischen Volkes als Idealisten bezeichnet. Dem analog verhält es sieh auch mit seiner Betrachtung der Ver­gangenheit.

Sein .Lieblingsgebiet ist die Historiosophie: er ist seiner Foj'schungsmethode nach Ideologe. Für die grossen Wand- langen im Leben der Nationen, für die Gestaltung des nationalen Charakters überhaupt ist nach seiner Ansicht nicht die Stimulierung unendlich vieler kleiner, durch die socialen Ver­hältnisse gegebener Züge entscheidend, sondern grosse, unzerleg­bare, uuableitbare Ideen: Ideen, die bald einander friedlich ab­lösen, bald aufeinander hartnäckig- losprallen, bald des Kampfes müde abrüsten, einen faulen Flieden schliessen. oder in grollender Kampf esst cllung nebeneinander bestehen bleiben . . . Die Ge­schichte ist für ihn der Schauplatz selbstherrlicher, autonomer Gedanke:! die s.ich der Mensehen als einer Art von Werkzeugen bedienen, und" die unendliche Zeitabschnitte in Athem halten. Statt der Concretheit des Lebens mit ihrer Variabilität und Flüssigkeit das Starrt», Grosszügige. Geradlinige.

Smolcnskys 'Historiosophie wird, wie wir angedeutet haben, durch Ideologie, aber auch durchIVrsonalisinus gekennzeichnet (die Auffassung von der Selbstherr!ichkeit der Ideen führt conse- quenterweise zum Personalisnius. da die Ideen doch einmal ver­kündet weiden müssen). Die ganze öffentliche Thätigkeit Sino- lenskis war einem Gedanken, einem Streben gewidmet: in alle Welt hinauszusehreien. dass wir eine Nation und keine blosse Ihdigionsgenossensehaft bilden: sein Angriffsobject war der mit der Verläugnung der jüdischen Nationalität eng verknüpfte .Missionsgedanke. Um. aber seine Grundthese zu beweisen und die Gegner, die eine Nation ohne die äusseren socialen Merkmale (eigenes Territorium, Staat u. a.) nicht gelten lassen, zu wider­legen, sah er sich gezwungen, in die Geschichte unseres Volkes weit zurückzugreifen, woraus er die völlige Andersartigkeit und Unvergleichbarkeit. unserer nationalen Artung naichzuwteisen glaubte. Bei diesen historischen Rückblicken, die sich in den publizistischen Hauptwerken Sniolenskys, wie in seinen kleineren Arbeiten immer wiederholen, gestaltet sich ihm die Geschichte der »Juden zu einem Kampf platze von Ideen, die von grossen Per­sönlichkeiten getragen sind, Moses und die wahren Propheten auf der einen, die Priester und die falschen Propheten auf der anderen Seite, Elischa ben-Abuja und Rabbi Akiba. Saadja Gaon und Mai-,

mpiüdes, Menarche ben-Israel und Mendelssohn ziehen durch die, Zeitläufte der Geschichte an unseren Augen vorbei, immer von dem einen Gedanken oder seinem Gegensätze beseelt, unbekümmert um die grossen socialen Wandlungen, die sich rings um sie im jüdischen Volke selbst vollziehen. Der Kampf ist immer derselbe, nur die Scenerie wechselt. Diesen Gedanken, der von den einen jener Kämpfer erkannt, gefördert, von den anderen verkannt, missachtet und gefährdet wird, formuliert Smolensky in folgen­dem Satze (den er nicht müde wird, immer von neuem zu be­tonen) : Wir sind ein Aui-haruach, ein Volk des Geistes, der Idee, des Innenlebens, die anderen Völker sind Amei haniaasse, Völker der That, der Praxis, des Aussenlebens. Die Präponderanz des Innenlebens'hält er für unser nationales Charakteristiken .und zu­gleich für den zureichenden Grund unserer nationalen Erhaltung mitten in den geschichtlichen Kataklysmen. Der Geist sei unver­wüstlich, unwandelbar, sich selbst genug. Nur ein Volk, das von Natur auf ein Ausse.nleben eingerichtet ist, bedürfe zu seiner Er­haltung äusserer Merkmale, dem iniienlebenden Volke seien sie entbehrlich.

Wir wollen liier nicht diesen Standpunkt kritisieren: nur möchten wir aut folgendes hinweisen. Ks ist vor allein merk­würdig, dass Smolensky, der sein ganzes Schriftstellerieben der Bekämpfung des Missionsgedankens gewid-met hat, eigentlich eben­denselben Gedanken nie loswerden kann. Indem er nämlich dem jüdischen Volke solch eine durchgreifende Ausnahnisstellnng vin- diciert. räumt er ihm ja zugleich, wenn auch keine transeendente, ihm übertragene, der übrigen Menschheit gegenüber zu erfüllende Sendung ,so doch eine immanente, angeborene Bestimmung ein. da an einer Stelle geht er so weit, dass er bekennt, der traditionelle Glaube an die Auserwähltheit des jüdischen Volkes enthalte in sich nichts gegen die Vernunft Verstossendes. Smolensky ist eben eine der merkwürfligsten Erscheinungen unseres Schriftthums: rücksichtsloser Zerstörer vieler ducrh die Veberlieferung geheilig­ter Autoritäten, hängt er mit allen Fibern seines reichen Gemüthes an eben derselben Ueberlieferung fest: der Theologe behauptet sich in ihm neben dem Rationalisten.

Noch viel bedenklicher ist der Umstand, dass bei einer solchen Anschauungsweise von der Selbstgenügsamkeit des natio­nalen Daseins, von der Abgeschlossenheit des Innenlebens, kein Bedürfnis zur .Begründung einer eigenen Heimstätte obliegen kann (die sociale Noth als Motiv des Zionismus war zu jener Zeit noch nicht gekannt). Auch hier ein Bei-ührungspunkt zwischen der Grundthese Smolenskis und dem von ihm bekämpften Missions­gedanken. Dies erklärt uns auch, warum der Schöpfer des natio­nahm Einheitsgedankens während des grössten Theiles seiner literarischen Thätigkeit (18(11)1881) Palästina kaum gestreift hatte. Auf diesen wunden Punkt seiner Theorie macht ihn der Schriftsteller Ben Jehuda (der spätere Hedacteur desHazewi" in Jerusalem) besonders aufmerksam.

Dass sieh Smolensky seit dem Jahre 1881, seit dem Beginne der Fmigrationsbewegung in Ilussland. mit dem ganzen Aufwände seiner Persönlichkeit dieser zugekehrt hatte (die Jahrgänge 1881 bis 1885 desIjaseh.uchar** seien einem jeden Zionisten als eine Fundgrube informativen Materials über den Anfang der Emigra­tion, als ein Schatz noch heute actueller Gedanken anempfohlen), verdanken wir es einer glücklichen 1 nconsequenz in seinem Denken, dem I mstande, dass das grosse Herz und der gesunde Instmct Smolenskis den Sieg über seinen Verstand davongetragen haben.

Wir wollen uns nun der Historiosophie Achad-Haams zu­wenden.

Die Geschichte einer Synagog3.

Die s Iii seh-] >o r t u gi es i sei i e Gemeinde zu London be­geht im Jahre 1901 ein seltenes Fest: es sind genau zwei- hundert Jahre her, seitdem die Synagoge von Bevis Marks im Osten von London gegründet wurde. Dr. M. Gaster, der Rabbiner der englischen Sephardim,-hat mit' dem an ihm wohlbekannten Forsehergeiste die Archive seiner Gemeinde,