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Periodische Blätter für Religion und Gewissensfreiheit.
In zwanglosen Abtheilungen herausgegeben von Dr. G. Riesser.
I 7. September 1832.
Fre itag
Eigenthum des Herausgebers. In Commission bei I. F. Hammerich in Mona.
Galltrten.
Nachstehender Auszug aus einem Briese aus Brody ist uns von einem Freunde mitgetheilt worden, der die Wahrheit der darin mitgetheilten Thatsachen und die Aechtheit des begleitenden Documentes verbürgt. Brody hat bekanntlich eine der größten Judengemeinden in ganz Europa (20000 Juden unter 27000 Einwohnern, nach Andern 30000 unter 36000 Einwohnern,) die durch Wohlstand, Betriebsamkeit und wohl- thatige Anstalten aller Art sich auszeichnet. Die Grundlage des rechtlichen Zustandes der Juden in den Oesterreichischen Staaten ist noch immer das bekannte Toleranzedict Kaiser Josephs II. vom Jahre 1782. Die tolerirten Juden haben Schutzbriefe aus Lebenszeit, sind im Recht allen Bürgern gleich, dürfen in jeder Stadt wohnen, zahlen Steuer für ihre Be- gräbnißplatze, für ihre Synagogen, für jede Betversammlung. Sie sind militairpflichtig, können Barone werden, Degen und Decorationen tragen, aber kein Haus besitzen; freies Handwerk treiben, aber in keine Innung treten. Brody hat jüdische Schuster, Schmiede, Klempner, Sattler, Tischler, Uhrmacher, Buchbinder u. s. w. In Lemberg sind mehrere jüdische Advocaten. Sie können Groß- und Kleinhandel treiben, nur nicht mit Schießpulver, mit Häusern und Trödelwaaren; sie können Aerzte und
Advocaten werden, aber nicht Apotheker. Die Absicht der Regierung, sie zu völliger Gleichstellung mit den Christen vorzubereiten, ist mehrfach ausgesprochen, und sie hat es sich besonders angelegen sein lasten, durch Errichtung von wissenschaftlichen Bildungs- anstalten zu diesem Ziele hinzuwirken. An mehreren Orten in Oesterreich, Böhmen und Gallizien sind Normalschulen eingerichtet und wirken segensreich. (Jost Allg. Gesch. d. Jsr. Bd. II. S. 442 ff. u. 517 ff.) Ein erfreuliches Beispiel dieser waltenden Fürsorge der Regierung gibt auch der folgende Brief. Er zeigt aber zugleich, an welchen Hindernissen so herrliche Bestrebungen scheitern. Haß, Vorurtheil, Eigennutz bilden eine feste Vereinigung, um sich jedem Fortschritt zum Besseren entgegenzustemmen. Es ist dieß der immer sich wiederholende Widerstand der Finsterniß gegen das Licht, der Lüge gegen die Wahrheit, der Dummheit gegen die Bildung:, der Sieg ist nicht zweifelhaft, die Menschheit geht nicht rückwärts, der Fortschritt laßt sich wohl verzögern, aber nicht mehr hemmen.
Brody 10. Juli 1832.
— — Hier in unserer Gegend zeigt die Regierung ungemein guten Willen, unsere Lage zu verbessern; sie wird aber allem Anschein nach in ihren Absichten scheitern, weil einerseits unter uns zu wenig Gemeingeist herrscht, andererseits die unteren Behörden 12