erkennen, andere richtig beurteilen läßt, habe ich wie jeder aus diesem Gebiete Interessierte erfahren. Im Frühling dieses Jahres fand sich im Anschluß an einen Artikel, den ich im „Berliner Jüdischen Gemeindeblatt" veröffentlichte, eine rasch wachsende Zahl von Freunden der jüdischen Familienforschung zusammen, aus deren Besprechungen, die ^Gesellschaft für jüdische Aamilienforschung" erwuchs. ''Das Organ dieser Gesellschaft übergeben wir hiermit der Öffentlichkeit.
Jüdische Familiensorschung ist kein Novum, keine Erfindung von vorgestern. Wenn auch in anderen Formen als den unserigen, hat jüdische Familienforschung schon existiert, als die ältesten jüdischen Schriftdenkmäler entstanden. Wenn der Verfasser des ersten Lehrbuches der Genealogie, I. C. Gatterer, 1783 sagte, „Genealogie gab es eher als Historie," so zeigt ein Blick in die Bibel, wie richtig diese Behauptung ist. So wie die Zusammenfassung in „Familie" notwendigerweise derjenigen zu „Stamm" oder „Volk" vorausging, war auch Familiengeschichte eher da als Stammesgeschichte oder Volksgeschichte.
Die zwölf Stämme Israels, deren Stammbaum an der Spitze dieses Heftes steht als ein Symbol unserer gemeinsamen Herkunft, sind ein Stück aus einer Ahnentafel, die jeden Gothakalender durch ihr Alter und ihre Bedeutsamkeit in den Schatten stellt. Was wir treiben, ist also alter, uralter Geist in neuer Form!H
Viele Gründe sind es, die dazu führten, die alten Formen jüdischen Familiensinns und die alte Tradition zu zerstören. Teils soziologische, die sich erklären aus dem Charakter des Städters, und die Juden sind in den letzten hundert Jahren überwiegend ein Stadt-, ja ein Großstadtvolk geworden. Stadtkultur ist aber aller Überlieferung abhold. Ihr hastendes Treiben läßt dem einzelnen keine Zeit zur Einkehr und Besinnung auf sich selbst. Den Blutsverwandten fehlt die Gelegenheit zu regelmäßigen Zusammenkünften, und mit diesen schwindet auch rasch das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Andererseits liegt in der Entwicklung des Judentums seit der Ausklärungszeit mit ihrer bisweilen sprunghaften Assimilation die Wurzel für eine häufig genug zwischen Vorfahren und Nachfahren sich bildende Entfremdung; nicht bloß der Glaubenswechsel, die Taufe, auch schon religiöse Indifferenz, Aufgabe der alten Lebensformen haben
*) 1913 begründete Diamant in Wien das „Archiv für jüdische Familienforschung", eine sehr interessante Zeitschrift, die leider bald als Opfer des Weltkrieges ihr Erscheinen einstellte.