Vom Wesen des Familienarchives.
Zur Methodik der Famittenforfchuug II.
Bon Ernst Wolfs, Berlin.
Familienforschung ist kein Denkmal, das eine Familie sich selbst als ihr Eigenlob setzt. Familienforschung ist ein Zweig der Geschichtswissenschaft. Soll Familienforschung wissenschaftlich betrieben werden, dann ist, wie für jede Wissenschaft, die einzige Voraussetzung die — Voraussetzungslosigkeit, d. h. Familienforschung muß objektiv sein, eine Bedingung, die nur durch das Familienarchiv erfüllt werden kann. Somit wird das Familienarchiv zum Kernpunkt, zum Fundament jeder familienge- schichtlichen Arbeit. Ein früherer Artikel hat dies des näheren ausgeführt.
Ein Familienarchiv wird aber nur dann den erforderlichen Ansprüchen genügen können, wenn die Konstruktion, die Organisation seinem Wesen entspricht. Welche Wesenseigentümlichkeiten zeigt ein Familienarchiv?
Wer ein Familienarchiv begründet, muß sich bewußt sein, daß er die Arbeit nur beginnen, aber niemals beenden kann. Er kann nur den Grundstein legen, weiterzubauen ist Aufgabe jeder folgenden Generation. Korallenprinzip. Was der Ahn dem Archiv anvertraut, muß noch den spätesten Enkeln unverändert an Gestalt und Inhalt zur Verfügung stehen. Hier Vorsorge zu treffen, ist unabweisbare Pflicht. Die Sorge für die Entwicklungsmöglichkeit ist Aufgabe des Begründers, nicht seiner Nachfolger. Jede Reorganisation bedeutet eine Gefahren- und Fehlerquelle allerersten Ranges.
Ein Familienarchiv ist ein in sich abgeschlossenes Ganzes. Es ist selbständig existent. Wie bereits früher dargelegt, ist eine Chronik und eine graphische Darstellung von Verwandtschaftsverhältnissen dies nicht, denn diese müssen zum Beweise ihrer Richtigkeit sich erst des Archives bedienen. Das Familienarchiv ist ein Organismus, und zwar ein lebendiger, insofern, als er sich in ständiger Entwicklung befindet. Gleich dem Organismus des menschlichen Körpers muß das Familienarchiv im Augenblick seines Entstehens vollkommen sein und dennoch die Möglichkeit zur ständigen Entwicklung in sich tragen. Diese Entwicklung, die mit der Entwicklung der Familie auf's engste verknüpft ist, vollendet sich erst mit dem Aussterben der Familie selbst. Ein Familienarchiv würde seines Sinnes entbehren, wenn es bei seiner. Gründung nicht „für die Dauer der Zeiten" gedacht wäre. Somit entsteht, auch das war früher bereits angedeutet, der Wesensbegriff der Dauerhaftigkeit.
Ist die Dauerhaftigkeit als Wesensbestandteil des Archives erkannt, dann ist damit viel gewonnen, denn aus diesem Grundwesenszug entwickeln sich unschwer die übrigen Wesensmerkmale.
Wie alles Irdische, so ist auch der Bestand eines Familienarchives, das doch für die „Ewigkeit" gedacht ist, zerstörenden Einflüssen ausgesetzt. Der äußeren Form, der Materie, sind die Naturelemente: Feuer, Wasser-Luft (Feuchtigkeit) und Erde (Staub) feindlich gesinnt, und der Inhalt läuft Gefahr von Trieben und Begierden, die im menschlichen Charakter liegen, zerstört zu werden. Einen vollkommenen Schutz gegen diese Feinde gibt es nicht; das sollte kein Familicnforscher, insbesondere kein Kritiker außer acht lassen; im Rahmen des Möglichen Muß aber höchste Sicherheit angestrebt werden. Soweit hier die Materie in Frage kommt, ist dies Aufgabe des Technikers und Ingenieurs. Es genügt zu erinnern, daß eiserne Schränke (Safes) und Staubsauger heutzutage schon eine derartige Verbreitung gefunden haben,
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