Mischehen in Berlin.

Von Arthur Czellitzer, Berlin.

In oll den vielen Reden und Artikeln, ine in den letzten Jahren das Problem der jüdischen Mischehe behandelten, ist stets nur diese selbst, losgelöst von den sonstigen Mischehen, der Gegenstand der Berechnungen und Betrachtungen. Wer das Problem verstehen will in seiner statistischen Entwicklung und Bedeutung, muß aber die jüdischen Mischehen betrachten als ein Teikproblem der Misch­ehen überhaupt. Nur so gewinnt man die, viele sicherlich überraschende Er­kenntnis, daß mindestens in Berlin! die Juden durchaus nicht eine Sonder­stellung einnehmen, daß sie keineswegs, wie viele glauben, in der Neigung zur Mischehe alle anderen Konfessionen übertreffen, sondern von anderen, z. B. den Katholiken, und zwar sowohl Männern wie Frauen, übertroffen werden.

Ob man, wie der Schreiber dieser. Zeilen, in der jüdischen Mischehe ein Unheil sieht, oder wie viele wohlwollende Nrchtjuden, z. B. H. Eulenberg, das Ge­genteil --- unter allen Umständen muß man zunächst einmal die Neigung zur

Mischehe durch ein richtig gewähltes Maß numerisch fassen. Man muß, um ver­schiedene Zeiten und verschiedene Orte vergleichen zu können, eineMischehe- Ziffer" bilden, indem man die absolute Zahl der Mischehen in eine richtige Be­ziehung setzt. Daß die von der Statistik gelieferten absoluten Zahlen der in jedem Jahre geschlossenen Mischehen kein richtiges Bild geben, ist ohne weiteres klar. Die Tatsache, daß z. B. von jüdischen Männern in Berlin in >den Jahren: 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927

606 674 686 471 376 366 439 Mischehen ein­

gegangen wurden, beweist keineswegs schon, daß die Neigung zur Mischehe bei uns bis 1923 angestiegen sei, um dann bis 1926 zu fallen resp. jetzt wieder zu steigen. Ist es doch selbstverständlich, daß, wenn die Zahl der heiratsfähigen jungen Männer in Berlin stark steigt, die Mischehenzahl steigen muß, auch wenn die Tendenz zur Mischehe keinesfalls steigt, sondern gleichgeblieben ist evtl, sogar ein wenig abnimmt.

Auch die von vielen Statistiken, sogar offiziellen amtlichen Veröffentlichungen beliebte rohe Vergleichung der Mischehen mit den gleichzeitigen reinjüdischen Ehen, indem man etwa sagt: 1926 wurden in Berlin von 366 Juden plus 198 Jüdinnen mithin zusammen 663 Mischehen geschlossen, gegen 861 rein jüdische Ehen,also über 61"/« (!)" ist prinzipiell falsch. Koralnik hat in der Ose-Rundschau (Märzheft 1928 S. 6) ganz richtig .darauf hingewiesen, daß hier einerseits, nämlich -bei den Mischehen Einzelpersonen, andererseits, nämlich bei denreinen Ehen" Paare miteinander verglichen werden, was natürlich un­zulässig ist. Er verlangt deshalb, daß man die Zahl der reinen Ehen mit zwei multipliziere, weil hier doch zwei Personen in Frage kommen, und dann erst vergleiche. Das wäre deshalb unpraktisch, weil, ganz abgesehen von der um­ständlichen, dem Laien nicht leicht einleuchtenden Rechnerei, auf diese Weise der eventuelle Unterschied zwischen Männern und Frauen völlig verwischt wird. Koralnik selber hält für die beste Berechnung der Mischehetendenz, die absoluten Mischehezahlen zu beziehen auf die jüdische Bevölkerung .im allgemeinen und dieses Verhältnis in Prozentzahlen auszudrücken. Das würde angängig sein, wenn der Bevölkerungsausbau unverändert bliebe, d. h. wenn innerhalb der jüdischen Gesamtzahl der Anteil der verschiedenen Altersklassen immer gleich ist.

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