Familienleben -er spanischen Juden vor ihrer

Vertreibung 1492.

(Nach einem Vortrag in der Generalversammlung der Gesellschaft für jüdische Familienforschung am 23. Januar 1929.)

Von Max Golde, Berlin.

Das Familienleben der spanisch-portugiesischen Juden geht wohl auf die Lebensschicksale der Gesamtheit ihrer Gemeinden zurück mit ihren gegen­seitigen Hilfeleistungen und ihrer reichen Wohltätigkeit, auf die Verfolgungen der Kirche im nördlichen und die Geldgier der arabischen Fürsten im südlichen Spanien. Sie wurden gespornt, Reichtümer anzusammeln, die ihnen das Leben erleichterten, Ansehen gaben und selbst die Wahl ihrer Rabbiner entschieden. All das beeinflußte das Leben der einzelnen, doch gewann dieses unabhängig davon seinen eigenen Inhalt. Es hing auch von den Lebenswerten ab, die sie er­strebten und besonders unter den Armen zu verbreiten trachteten, von talmudi- schen und profanen Forschungen, Dichtung und Philosophie, die sie von Stumpf­heit wie von Schwärmerei fernhielten. Denn die Lehre Moses war ihnen dem ganzen Weltgebäude gleichgeachtet und das Buch der Lehre kein literarisches Werk zum'Studium, wie bei uns in Kapitel und Verse, sondern ein liturgisches, in die wöchentlichen Perikopen der Sabbatvorlesungen und ihre Abschnitte ein­geteilt, zum Gebrauch im Familien- und Gotteshaus. Auch die geistig-religiösen Werte beeinflußten ihre Lebensformen, doch waren diese nicht allein von der Tradition, sondern auch ihrer Umgebung abhängig.

Die Araber herrschten über 700 Jahre auf der iberischen Halbinsel. Sie erließen Streitschriften, Auseinandersetzungen, Abhandlungen und Anwei­sungen, schritten aber auch zu Taten vor. So wurde am 1. Februar 1308 im Regierungsschlosse zu Damaskus eine Verordnung des Sultans an sämtliche Emire seines Reichs bekanntgegeben, wonach kein Christ eine öffentliche Staats­stellung bekleiden dürfe, besonders nicht die des Schreibers, d. h. des Staats­oder Gerichtsschreibers. Natürlich erschienen auch Gegenschriften, eine größere Zahl von Christen, wenige von Juden. Die einzige von bleibendem Wert ist das Buch Kusari des Dichters Jehuda Halevi. In ihm wird wie in den arabi­schen Schriften der jüdische dergedrückte Glaube" genannt und wie in jenen vernunftgemäß erwogen, welche die wahre und gottgefällige Religion sei. Ver­schärft wurden die scholastischen Glaubensstreitigkeiten noch durch die vielen, unter dem Druck der herrschenden Sitten von der muzarabischen, unter arabi­scher Oberhoheit stehenden Kirche zum Islam Bekehrten. Denn dieser entfaltete ein fanatisches Machtstreben so wie heute noch in Ägypten und Syrien. Der einzelne Araber hatte auch Vorzüge von gewinnenden Formen, die als reine Menschlichkeit gewertet wurden, Gastfreundschaft, Ritterlichkeit und Freiheit­liebe. Doch sind diese ursprünglich in natürlichen Gegebenheiten begründet und durch alte Tradition gewahrt, von ästhetischer und keiner tieferen realen Natur. Daher konnte ein Augenzeuge jener geistigen Kämpfe, der gelehrte Übersetzer und Erklärer des herrlichsten altspanischen Bibelwerkes, R. Mose Arragel, von ihnen sagen: Sie sind eine niedere Sekte und nicht wert, daß'der Messias in ihrer Mitte erscheine. Ein vernichtendes Urteil über den Islam und seinen Be­gründer, das die Weltgeschichte nachprüfen mag. Sie hatten auf der iberischen

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