Universitätsgeschichte und jüdische Familien
forschung.
Von Guido Kisch, Halle a. d. S.
DieUniversitätenunddieJuden.
Bekanntlich ist die Heilkunde und ärztliche Tätigkeit, von den Juden zu allen Zeiten und in allen Ländern gepflegt und gefördert, das einzige Wissenschaftsgebiet gewesen, das ihren Kenntnissen und Fähigkeiten früh über den Kreis der eigenen Glaubensgenossen hinaus trotz aller Gegenbestrebungen Geltung und Ansehen verschaffte und ihre Leistungen, wenn auch lange nur in, begrenztem Maße, der Allgemeinheit zum Nutzen werden ließ. Moritz Steinschneider hat eine Liste aller jüdischen Ärzte zusammengestellt, welche aus früheren Jahrhunderten bekannt geworden sind 1 ). Sie umfaßt nicht weniger als 2168 Namen und ist später von anderen ergänzt, ungefähr in das erste Drittel des 19. Jahrhunderts fortgeführt und schließlich auf den Stand von etwa 4000 Namen gebracht worden 2 ).
Da während des Mittelalters die Pflege des geistigen Bildungswesens im allgemeinen ganz in den Händen der Geistlichkeit lag, die Universitäten, vorwiegend theologischen Studien gewidmet, von ihrer Gründung an streng katholischen Charakter trugen, war an ihnen für die wissenschaftliche Ausbildung der Juden und besonders der jüdischen Ärzte kein Raum. Es gibt überhaupt keine geistigen Beziehungen der Juden zur mittelalterlich-christlichen Universität 3 ). Die Kluft zwischen jüdischer und christlicher Bildung erweiterte sich noch seit dem Reformationszeitalter. Wie stand es also mit der Ausbildung der jüdischen Ärzte? Wo und in welcher Weise konnten sie die notwendigen Kenntnisse für den ärztlichen Beruf erwerben, die erforderlichen Erfahrungen für seine erfolgreiche Ausübung sammeln, wenn dies auf den Universitäten nicht möglich war?
Was lag näher, als daß der ärztliche Vater den Sohn in den Anfangsgründen der Heilkunde unterwies, ihm die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen
Moritz Steinschneider, Jüdische Ärzte, Zeitschrift für hebräische Bibliographie 17 (1914), S. 63—96, 121—167; 18 (1915), S. 25—57.
2 ) Samuel Poznanski, Nachträge und Bemerkungen zu Steinschneiders Verzeichnis der jüdischen Ärzte, Zeitschr. f. hebr. Bibliogr. 19 (1916), S. 22—36 (überwiegend Ärzte aus Polen); 20 (1917), S. 69—71; William Zeitlin, Bemerkungen und Nachträge zu Steinschneiders Liste der jüdischen Ärzte, Zeitschr. f. hebr. Bibliogr. 20 (1917), S. 44—48; Louis Lewin, Nachträge und Bemerkungen usw., daselbst 22 (1919), S. 76—89; 23 (1920), S. 40—62; Lewiu, Zeitschr. f. Geschichte der Juden in Deutschland 3 (1931), S. 145.
3 ) Mit den Beziehungen der Juden zu den Universitäten vom Mittelalter bis .zur Mitte des 19. Jahrhunderts wird sich ausführlich mein Buch „Die Prager Universität und die Juden“ beschäftigen, das im Herbst dieses Jahres veröffentlicht werden soll. Dort werden die folgenden Darlegungen dieses Aufsatzes weiter ausgeführt und mit vollständigen Quellen- und Literaturnachweisungen versehen erscheinen, welche hier aus Raumgründen fortbleiben müssen.
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