geblieben sind. Wir seien eben nur rassisch angegriffen und reagieren daher, genau nach jenem oben genannten Gesetz, mit rassischem oder sagen wir einfach, jüdischem SelbstbewußUein.

Dieser Einwand scheint schlagend, ist es aber nicht. In Wirklichkeit gilt der Kampf gegen den jüdischen Ein- t fluß nicht nur unserer Stammesgemeinschaft, sondern, offen ausgesprochen, auch dem jüdischen Geist. Vor allem aber sind dieses Volk und dieser Geist seit Jahr­tausenden eine so untrennbare Einheit, daß man schlechter­dings die Juden als Gemeinschaft, sei es wirtschaftlich oder kulturell, nicht angreifen kann, ohne auch das Juden­tum als Judentum, d. h. in seinen religiösen Belangen, zu berühren. Da kommt denn das Fest des Sinai zur rechten Zeit und erinnert uns,daß wirJuden nicht nur et­was sind, sondern auch etwas haben I Ja, in der Tat, hier liegt der springende Punkt:

Auf die Schicksalsfrage der Zeit, die nicht nur eine Frage an den Juden, sondern auch an das Judentum ist, ha­ben wir in dem ganzen Jahr, das hinte r uns liegt, mit dem geantwortet,was wir sind. Man denke an alle Gespräche, Erörte­rungen undDiskussionen in jüdischen Kreisen, in der Familie wie in der Freundschaft, und man wird erkennen, daß hier die Wahrheit liegt. Un­unterbrochen scheinen wir uns gegenseitig, zu­zurufen:Brüder, ver- geßt nicht, wer ihr seid I Laßt euch nicht unter- kriegenl Seid stolz, seid stolz und vergeßt nicht, daß ihr Juden seid!

Und dieser Ruf, von den Kanzeln verkündet und in den Leitartikeln veröffentlicht, wird mehr gehört als alles andere. Wo so gepre­digt wird, da füllen sich die Synagogen, wo so geschrieben wird, da steigt die Auflage der jüdischen Blätter. Und doch könnte man sich noch eine andere Predigt, noch einen anderen Leitartikel denken, der recht prophetisch und etwa folgendermaßen lauten würde:Hört zu, ihr Juden! Was euch geschah, das kam von Gott. Er sandte es euch als eine Prüfung, darum nehmt es hin und denkt dabei an alles, was ihr ver­schuldet habt. Ihr mögt vor den Menschen noch so ge­recht sein und eure Leiden mögen euch von Tag zu Tag immer gerechter machen. Vor Gott seid ihr es nicht! Ihr habt seine Wege verlassen, seine Gebote mißachtet, so nehmt alles hin"als eine Fügung und kehret um! Vor allem glaubt nicht, daß man diese Zeit überwindet, indem man sich als Juden bekennt Es ist zwar für einen Menschen, der sein Judentum lange verborgen hielt, ein tüchtiges Stück Weges, wenn er endlich so weit ist zu sagen, wer er ist, aber jeder soll es angesichts des Sinaifestes fühlen,

daß man nicht auf halbem Wege stehen bleiben darf. Dieses Fest ist unter allen Festen des Jahres so einzig­artig, weil es als einziges uns lehrt, daß wir nicht nur etwas sind, sondern auch etwas haben: das Gottesgesetz vom Sinai.

In diesem Haben liegt, glaube ich, das allerstärkste Sein, denn hier liegt die Verantwortung und hier die Verpflichtung des Juden: Gedenke, daß du ein Erbe bist und daß du dieses Erbe, nach des Dichters Wort, erst erwerben mußt, um es zu besitzen. Die Lehre Moses, deren Größe und Bedeutung kürzlich ein Kirchenfürst der ganzen Welt erneut klarmachte, ist das einzige Boll­werk, das imstande ist, uns im Sturm der Zeit zu schützen und zu schirmen. Man schlage die tränenschweren

Blätter der jüdischen Geschichte eines nach dem anderen um und prüfe die alten Bücher und Zeugnisse und den Geist, der durch Piut und Selicha webt, und man wird immerund immer wieder erkennen, daß solche Zeiten nur re­ligiös erlebt werden dür­fen, wenn sie überwun­den werden wollen. Alles schön und gut; Schön die Heimkehr zur Synagoge, schön die wiedererweck­te Ehre und ganz gewiß schön das erhobene Haupt unserer in ihrem Stolz sich jetzt selbst be­sinnenden Jugend. Aber all dieser Stolz, all die wiedergewonnene Wür­de erhalten ihren Sinn nur dann, wenn auch De­mut und Gehorsam wie­der gewonnen werden. So mögen alle unsere BrüderinStadtundLand, an die diese Blätter jetzt hinausgehen zum Fest der Offenbarung am Si­nai,dieseErkenntnis und dieses echte Erwachen an sich erfahren: ohne Demut vor dem Gotte unserer Väter, ohne Heimkehr zu den wun­der vollen Traditionen unseres Glaubens gibt es keinen wahren jüdischen Stolz. Ist aber die Demut vorhanden, mit der Demut der ernste Wille einer echten Umkehr und Er­neuerung des alten jüdischen Wesens, dann wird alles uns in einem anderen und reineren Lichte erscheinen, dann wird unsere Arbeit am Bestände unseres deutschen Judentums, die Erziehung unserer Kinder und die Sorge für unsere Alten, erst wahrhaft geadelt sein. Ja, erst dann wird der Stolz wirklich stolz und die Würde wirklich Würde sein, wenn wir künftig wissen nicht nur, wer wir sind, sondern auch was wir haben. Dann dürfen wir auch mit heiterem Gott­vertrauen in die Zukunft schauen und an dem heiligen Tage, der uns den Donner des Sinai jedes Jahr aufs neue verkündet, auf den Hüter Israels schauen, der nicht schläft und nicht schlummert und uns über das Beben und den Sturm des Sinai hinweg ein liebender und'erbarmender Gott sein wird, uns und unseren Kindern!

Leiser Ury s Jeremias (Teilstück) Au* dem B#»itz de*

Jüd. Muteuips, Barlin

3