FÜR DIE JÜDISCHEN GEMEINDEN PREUSSENS

VERWALTÜN GS B LATT

DES PREUSSISCHEN LANDESVERBANDES JÜDISCHER GEMEINDEN

Alle Zwd>rtfteQ stad su rtcbfea an daaVervthunp- und G^adodebUtt detErtafilidmL»dmnb«idci tOdUdter GtBelndrn^JBln.-Charlottenburg 2 , K«ntnr.l 58 , ILSlcdk Der Besofsprels für die Elnzelmuuer betritt II Pfennig. Verantwortlkfaer Leiter de« Inseratenteils: Joseph Jastrov« Berlin S 43, Rtttentvafle 36

12. Jahrgang

Berlin, den 1. Oktober 1934

Nr. 7

Simchath -Thora

Von Rabbiner Dr. Emil Bernhard Cohn, Berlin.

In schweren Zeiten kommt heute über uns das Fest, an dem der Jude sich mit der ausgelassensten Freude freuen soll, deren er fähig ist, und die unge­heure Spannweite zwischen dem, was ist und dem, was sein sollte, wird ihm mit einem beinahe stechen­den Schmerze bewußt. Wie soll er sich freuen, ohne die Apgen zuzumachen, wie soll er lachen, ohne die alte rabbinische Fordernng zu übertreten:In der Stunde der Freude Freude, in der Stunde der Trauer Trauer!

In jeder Freude, ob es nun eine egoistische Freude ist oder eine Volksfreude, liegt eine Art Ver­gessenheit. Von dem Sohn des berühmten Amoräers Rawina wird uns erzählt, daß er bei einem über­mäßigen Freudenfeste der Rabbinen mitten im Tau­mel der Jubelnden einen kostbaren Becher zer­schmettert hatte, worauf eine plötzliche Stille ein­trat. Es war eine Mahnung, die er damit aussprechen wollte, und sie wurde von allen gehört. Die Men­schen sollen aber auch daran denken, und vor allem der Jude unserer Zeit soll daran denken, daß man das umgekehrte auch tun könnte. Und als solch ein Umgekehrtes kam uns das Sukkothfest und kommt unr- nun Simchath-Thora. Das einfache Vorhanden­sein dieses jubelnden Festes, in dem der Jude die hohe Freude des geistigen Besitzes ausdrückt durch einen irdischen, und beinahe allzu irdischen Jubel kann auch uns zur Mahnung werden: auch in der' schwersten Zeit, in Zeiten der Not und des Druckes, sollen wir zur Stunde der Freude uns freuen und die hohe Pflicht des Vergessenkönnens üben, die freilich auch eine der höchsten aller Künste ist.

Wie wunderbar sind unsere jüdischen Bräuche! Kaum haben wir die Laubhütte verlassen, noch sind die Myrthen.und Weiden in unserem Feststrauß nicht welk geworden, da tanzen wir schon mit unserer Thora im Arm und lassen unsere Kinder mit den Fahnen ziehen. In alten Zeiten, da noch der Tempel stand, war der Tag der größten Festesfreude die

Nacht des Sukkothfestes mit der berühmtenFreude des Wasserschöpfens, von der der Talmud sagt, daß, wer diese Freude nicht sah, überhaupt noch nichts von Freude erfahren habe. Heute ist Simchath- Thora das Volksfest schlechthin. Schon allein da­durch, daß es Groß und Klein, Eltern und Kinder miteinander vereint, bildet es eine Insel unter allen Festen des Jahres. Der Leidensweg Israels hat es eben dahin gebracht, daß die Freude an den Kindern des Juden echteste Freude geworden ist. Da mischt sich Zärtlichkeit in Rührung, da steigert sich das Lachen zum Jubel, und indem das Heiligste, was der Jude besitzt, ganz irdisch im Tanze getragen wird, rundet sich alles zu einer unsterblichen Freude. All das aber kommt nur daher, weil der Volksbrauch hier lebendig wird und in ihm die Seele Israels zum reinsten Ausdruck kommt.

Der Dichter Konrad Ferdinand Meyer schrieb einmal ein paar wundervolle Verse, deren Kehrreim lautete:Genug ist nicht genug! Eine solche Lehre steht im Gegensatz zu dem schönen Wort unserer Weisen:Wer ist reich? Wer sich mit seinem Anteil freut. Obgleich die Weisen hiermit die Rela­tivität alles Menschenglückes ausgesprochen haben, darf doch ein kleiner Zweifel aufkommen, ob diese Lehre vom Verzicht und der Bescheidung das letzte Wort aller Lebensweisheit bedeutet. Fragt man einen m(fernen, mit allen Wassern der Zivilisation gewa­schenen und durch alle Siebe moderner Technik ge­siebten Mitteleuropäer, so wird er mit lächelnder Miene uns erklären, daß aller Fortschritt und alle Wissenschaft illusorisch sein würde, wenn die Welt nur aus Leuten bestehen würde, die sich mit ihrem Anteil freuen. Die heutige Jugend zumal würde die alte Weisheit als den kleinen Maßstab des Spießbür­gers sofort zum Gerümpel werfen. Hat nun aber diese Jugend, dieser Zivilisationsmensch, recht? Darauf antwortet der Jude: er hat recht und hat doch nicht recht. Eine Genügsamkeit aus Lebens-