Umwelt und sofern wir nur dürfen, werden wir es uns nicht nehmen lassen, an ihrer Gestaltung mitzuwirken. Das sei denen, in unsern Reihen gesagt, die sich heute an- schicken, aus der Not eine Theorie zu machen und unsere uns von außen auferlegte Abstinenz vom öffentlichen Leben zu einer jüdischen Tugend. Ein. Totalitätsanspruch der­gestalt, daß der einzelne Jude nur noch mit jüdischen Eigenwerten sich befassen und alle seine Geistigkeit nur noch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft darleben dürfte, kann nicht scharf genug abgelehnt werden. Der jüdische Mensch soll auch in außerjüdischen Bezirken leben. Wie die französischen Juden stolz sind auf ihren

Pho*. Kikoler

Rembrandt: Jacob segnet Manasse und Ephraim

Aus der Kasseler Gemälde-Galerie

Glaubensgenossen M i 1 h a u d , einen der führenden zeit­genössischen Schöpfer französischer Musik, so bleiben wir stolz auf das, was Max Liebermann der deutschen Malerei gegeben, aufBielschowskysGoethebiographie und Staubs Kommentar zum Handels-Gesetzbuch. Den uns durch Gesetz auferlegten Beschränkungen fügen wir uns; aber wir können nicht daran vorbeisehen, daß üher- all, wo wie z. B. in den Ländern des Nordens, des Westens und auch in Italien diese Beschränkungen nicht gelten, alle innerjüdischen Theorien, die man aus ihnen abzuleiten sucht, wie die Kartenhäuser zusammenfallen. Wären wir in der Lage, die Probe aufs Exempel zu machen, die Brüchigkeit solcher Theorien würde sich auch unter uns deutschen Juden sehr bald zeigen. Deshalb muß auch bei den Verhältnissen, unter denen wir jetzt leben, unser Streben sein: bei aller bis an letzte Kraft und letztes Opfer gehenden Steigerung der jüdischen Arbeit dennoch aufgeschlossen zu bleiben allem Wesentlichen und Wich­tigen um uns. Der Totalitätsanspruch des Judentums kann sich deshalb niemals auf den jüdischen Menschen be­ziehen; um so stärker ist seine Berechtigung gegenüber aller jüdischen Arbeit.

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Welche Instanz aber ist es, die diesen Anspruch für sich geltend machen darf? Wir erinnern uns, daß die Notwendigkeit, alle positiven Kräfte der deutschen Juden- heit zusammenzufassen, seinerzeit zur Gründung der ..Reichsvertretung der deutschen Juden" führte; sie sollte eine derartige einheitliche Zusammen­fassung darstellen und ein parteibefreites jüdisches Ge­meinschaftsleben gewährleisten: es kann nicht wunder­nehmen, daß man manchmal der Auffassung begegnet, ihr stünde der Totalitätsanspruch über die jüdische Arbeit zu. Es wird zu untersuchen sein, ob diese Auffassung be­rechtigt ist.

Diese Untersuchung, das sei sogleich hinzugefügt, kann ebenfalls in durchausparteibefreiter Betrachtungsart erfolgen. Denn die Zionisten gehen zwar von dem Begriff

eines jüdischen Volkes aus, betrachten aber als dessen legi­time Vertretung allüberall die Gemeinde; und die Deutschjuden, die den Begriff eines jüdischen Volkes ab­lehnen, kennen ohnehin keine andere legitime Vertretung des Judentums als ebenfalls die Gemeinde. Beide jüdischen Partei-Gruppen sehen demnach das Idealbild einer jüdi­schen Reichsvertretung in der Zusammenfassung der Ge­meinden; in der jüdischen Gemeinde ruhen zuletzt und zu­tiefst alle jüdischen Kräfte und Möglichkeiten. Von welcher Seite auch unsere Untersuchung geführt werde, immer präsentiert sich ihr als Ausgangspunkt die Gemeinde.

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Wir fassen zusammen. So, wie die Totalität des Staates an seinen Grenzen endet, so die des Judentums dort, wo das Judentum endet. Nur liegt diese Grenze nicht draußen auf der Erdoberfläche; sie verläuft im Innern des Menschen. Darum geht der Totalitätsanspruch des Judentums nicht auf den jüdischen Menschen, sondern auf die jüdische Arbeit. Die aber liegt in Händen der Ge­meinden.Totalitätsanspruch des Judentums ergibt einen Sinn nur als Totalitätsanspruch der jüdi­schen Gemeinde über die jüdische Arbeit.

Diese Sinndeutung eines gleichzeitig zu unserer nicht­jüdischen Umwelt und zu uns gedrungenen Begriffs gründet sich auf eine Entwicklung des innerjüdischen Lebens, die ebenfalls derjenigen unserer Umwelt parallel geht. Wie im öffentlichen Leben Wohlfahrts- und Bil­dungswesen immer mehr kommunalisiert wurden, so ist die entsprechende Arbeit auch bei uns Juden immer mehr auf die Gemeinden übergegangen. Aus den zahllosen Wohl­fahrtsvereinen wurden mehr und mehr Untergruppen der jüdischen Gemeindewohlfahrtsämter. Die jüdische Wirt­schaftshilfe (die ja im Grunde nichts anderes ist als die eigentlich produktive Wohlfahrtsarbeit) lag von Anfang an bei den Gemeinden; selbständige Stellen, die man hierfür errichtete, blieben Gründungen der Gemeinden. Aehnlich liegt es mit den Bildungseinrichtungen (Kulturbünden, Lehrhäusern), zum Teil sogar mit dem Vortragswesen. Je kleiner eine Gemeinde, um so weniger erträgt heute die Intensität des jüdischen Lebens eine Tätigkeit von Sonder­zirkeln. Die Gesinnungsgruppen (C.-V., Zionisten, Liberale, Orthodoxe) erstreben eben weil sie doch selber sich als Bestandteil der Gemeinde wissen nicht so sehr eine separate Vortrags- und Bildungstätigkeit, als vielmehr die angemessene Berücksichtigung innerhalb der Gesamtarbeit der Gemeinde oder der von den Gemeinden ins Leben ge­rufenen Bildungseinrichtungen. Mehr und mehr wird also das jüdische Leben bei der Gemeinde zentralisiert.

Dies ist, in kurzen Zügen dargestellt, der Sinn, den der allgemeine Zeitgedanke der Totalität für uns Juden er­halten hat. Er beschränkt sich auf die jüdische Eigen­arbeit. doch diese umfaßt er um so stärker und macht die Gemeinde zu ihrem Träger. Daß hierbei die einzelne Gemeinde kein inselhaftes Sonderdasein führen will, son­dern ihre Kräfte mit denen aller übrigen Gemeinden ver­bindet, versteht sich von selbst. Aus diesem Grunde stützen sich die jüdischen Gemeinden in Preußen heute stärker als je auf den Preußischen Landesverband jüdischer Ge­meinden, der seinerseits alle seine Kräfte mehr als je in den Dienst der Gemeinden stellt und, soweit erforderlich, darüber wacht, daß auch die Reichsvertretung und alle jüdischen Zentralstellen, die der Landesverband hat ins Leben rufen helfen oder in denen er vertreten ist, alle Ge­meinden darin unterstützen, Mittelpunkte des jüdischen Lebens zu sein.

Solcherart unseren Gemeinden die Totalität des jüdi­schen Lebens zu sichern, soll uns auch im neuen Kalender­jahre die Richtschnur unserer Arbeit sein.

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