- *!

0

FÜR KE JÜDISCHEM GEHENDEM PREUSSENS

VB R.WA LTUNGSB LATT

DES PREUSSISCHEN LANDESVERBANDES JÜDISCHER GEMEINDEN

Alle ZuaiiiiMUn Ml an rtdifen an 1 Vfcroalluu«t- und GeaeindeMatt de« PrrufiiKben Land ererbendra JQdJed» Der twnaW SM M DiiMmi i betragt IS Pfennig. VwaflfWttKMwr Ictier^ea h

r Geachteten. Mn-Charto«rnbur«2, Kamar.ltS, 11.Stock «MuMli: Joeepb Jaairow, Berlin S 4V Kitt ent rmAe 36

13. Jafirgang Berlin, denl. Mai 1935

Nr. 5

Als Juden leben

Der kürzlich verstorbene, grundgütige Ludwig York-Steiner erinnert in seinem BucheDie Kunst, als Jude zu leben einmal an jene Verpflichtung der alten Peruschim (Pharisäer), in jedem Jahre wenigstens einen Heiden zum Monotheismus zu bekehren. Sollten wir es nicht versuchen, alljährlich einen Christen mir unbefangenen Beurteilung der Juden­frage und der Juden anzuleiten? so fährt er fort und beantwortet den stillen Einwand des Lesers sogleich mit der Erklärung:Das wird selten durch Worte allein gelingen, wohl aber kann es im tätigen Leben geschehen. Mit dieser Bemerkung, die einige Jahre vor dem politischen Umbruch geschrieben wurde, ist auch uns heutigen Juden eine unserer wichtigsten und heiligsten Aufgaben gewiesen* die an Dringlichkeit nieht einmal von der aUerdrängendsten Aufgabe über­troffen wird: das ist die Erhaltung unserer Exi­stenzen und der unserer Kinder. Ja: uns Achtung, Vertrauen, vorurteilslose Einschätzung seitens der Umwelt zu erringen, das ist geradezu ein Teil unserer Selbsterhaltang. Denn hat uns auch aus manchen Beraten das Machtgebot des Staates entfernt, so müssen wir ans doch darüber klar sein, daß wir in denjenigen Berufen, in denen wir uns betätigen dürfen, nur dum werden »beiten können, wenn diejenigen* mit denen zusamsaensuarbeiten wir ange­wiesen- sind* uns Achtung und Vertrauen entgegen­bringen. Nicht darauf kommt es an, ob die Jadeitgognerschaft im Seelenleben der nicht jüdi­schen Mehrheit naturgesetzlich verankert ist, son­dern gebe allein darauf, daß wir Jaden von uns an» dfeäpr Ablehnung weder Grand noch Nahrung bieten; j»wir müssen daher Kleinarbeit leisten, mH uns salbet beginnen, schreibt York-Steiner und sagt damit kt Grunde garnichts anderes, als was schon in unserer alte» Bibel steht und was wahrhaftig nicht d* Plirase für gelegentliche Erbauung«etwndcn, son­dern alb praktischer Le itfa d e n für das ganze Lehen gemeint ist:Ihr seilt mir sein ein Reichs, von Mastern

' --*" Voüt TThmr fr ifni jUMrln flbnw

raties gnhmt hafte, dsh dagtfa EtfMhmgt Üw» Wertfi fctetibre&iatial eadaalirnrii mjetrt ttg».

Vor zwei JahreH. als die 'große Veränderung für uns Juden in Deutschland hereinbrach, sah es kurze Zeit so aus, als wolle unter den deutschen Juden eine Massenpanik ausbrechen. Aber sehr bald wurde es anders, und heute Vlürfen wir mit einer ge­wissen Befriedigung fesntellen, daß die große Zeit, die wir durchleben groß schon deshalb, weil sie einen neuen Abschnitt der Geschichte, auch der "Ge­schichte des Judentums, eröffnet daß sie im allge­meinen kein kleines Geschlecht gefunden hat. Dabei denken wir keineswegs allein an die jüdischen Füh­rerpersönlichkeiten, die jeder kennt, nein wir denken vor allem an all die zahllosen Unbekannten in Stadt und Land. Blicken wir auf sie, auf alle diese Väter und Mütter, "Männer und Frauen, Jungens und Mä­dels, dann wissen wir: wahr ist das Wort, daß nach dem bekannten Vorbilde aus unserer Umwelt die jüdische Geschichte dereinst von demunbe­kannten Juden dieser Tage sprechen wird, von den stillen Helden des Alltags und seiner Alltäglichkeit. Wieviele haben ihr Leben auf eine völlig neue Grund­lage gestellt; wieviele vermochten auf alles zu ver­zichten, was ihnen bisher ihr Leben lebenswert zu machen schienl Wieviele überwanden ihr bisheriges Selbst; wieviele unternahmen das Wagnis: heraus aus dem ihnen verbliebenen Nichts in unbekanntes, ungewohntes, aber schließlich doch Wurzelgrund ge­währendes Neulandl Und wieviel Charaktergröße bei diesem Eingewöhnen ins Ungewohntei Da treffen wir jüdische Jugend, die nicht nur ihr eigenes, sondern auch der Eltern Schicksal auf die jungen Schultern nimmt. Da treffen wir die zäh Arbeitsamen, die neue Sprachen und neue Berufe erlernen. Da gibt es eine Gemeinde im Nordwesten des Reiches: niemand hindert die Juden hinzugehen, wohin sie mögen, aber da sie nicht wollen, daß vielleicht doch einmal ihret­wegen ein Lokalbesitzer unangenehme Auftritte hat od vn nichtjüdische Kundschaft verliert, so haben sie seit zwei Jahren freiwillig kein Konzert, kein Kino, fc fjw Restaurant und kein Cafe besucht; und diese opiervohe Zurückhaltung hat den Juden «üe Achtung iheer Mitbürge» und damit die eigene Beruhigung