wiedergegeben, die ihnen wichtiger erschien als die gerade am kleinen Ort besonders schwer entbehrte Anregung und Entspannung. Dabei ist die Gemeinde, von der hier gesprochen wird, sicherlich nicht die einzige ihrer Art; anderwärts wird auf andere Weise ähnliche Seelenstärke bewiesen, und, alles in allem, wir dürfen hoffen, daß das heutige jüdische Ge­schlecht wenn auch nicht seines Glückes Schmied dies deutsche Sprichwort hat auf uns Juden noch selten gepaßt so doch seines Unglücks Meister ist.

Doch würde man den Sinn dieser Zeilen mißver­stehen, wollte man sie als Selbstlob und Selbstzufrie­denheit auffassen; nur weil sie zu Hoffnungen be­rechtigen und weil wir Hoffnung brauchen, hur des­halb werden alle diese Feststellungen hier getroffen, und dann freilich auch deshalb, weil sie zur Nach­eiferung anspornen sollen. Denn trotz allem Erfreu­lichen: es bleibt noch viel zu tun, nicht überall sind die Zeichen der Zeit verstanden worden, und wir würden uns der Möglichkeiten des Besserns berauben, wollten wir uns darüber täuschen, daß es manches zu bessern gibt! Das darf nicht vertuscht, daS muß deut­lich gesagt werden, damit offensichtliche Schäden aufhören. Nicht überall z. B. haben unsere Glaubens­genossen die Zurückhaltung jener vorhin als beispiel­haft erwähnten Gemeinde gelernt, und so müssen wir aus vollem Herzen der Reichsvertretung der deut­schen Juden beistimmen, wenn sie sich kürzlich in einem Aufruf gegen unzeitgemäße jüdische Veran­staltungen wandte. Sie tat es mit erfreulich deut­lichen Worten, und man soll es nicht bedauern, daß sie gesprochen wurden. Daß sie gesprochen wer­den mußten, das mag man bedauern. Denn es ist sinnlos, etwa darauf hinzuweisen, daß auch wir Juden Anspruch aufAblenkung oderZer­streuung hätten; wenn in der Familie Trauerzeit ist, so verlangt man von jedem den selbstverständ­lichen Verzicht auf derleiAblenkung, und so soll man endlich verstehen, daß auch die über die Familie hinausgehende Gesamtheit, wenn sie sich in einer be­sonderen Zeit befindet, von den Einzelnen eine ange­messene Haltung zu fordern berechtigt ist. Diese Hal­tung muß sich auf alle Bezirke des Lebens erstrecken, muß im Beruf und in der Familie, im Verkehr mit der nichtjüdischen Umwelt wie im innerjüdischen Zu­sammenleben in Erscheinung treten. Das ist, wie schon oben gesagt, im allgemeinen der Fall, und um so ungünstiger also heben' sich von diesem Ge­samtbilde die Wenigen ab, die den Stil der neuen Zeit noch nicht gefunden haben. Gerade wenn man von jenem oben erwähnten Beispiel einer jahrelang zäh durchgehaltenen entsagungsvollen Zurückhaltung ge­hört hat, fällt es als besonders übel auf, daß es in manchen Gemeinden noch jüdische Kaufleute gibt, die bei bestimmten Anlässen, z. B. zur Zeit der christ­lichen Konfirmationsfeiern, kirchliche Embleme in ihr Schaufenster stellen. Das mag früher durchge­gangen sein schön und richtig war es nie aber wer diese Taktlosigkeit heute noch begeht, der schä­digt die ganze jüdische Gemeinschaft und obendrein, wie er sehr bald merken wird, sich selbst.

Auch im innerjüdischen Leben ist keineswegs alles, wie es sein soll. Auf der einen Seite Zusammen­schluß aller Kräfte und Herzen, Opfersinn und Wage­mut, daß man lernt, auf seine jüdische Gemeinschaft wieder stolz zu werden. Aber dazwischen auch wieder bedauerliche Einzelfälle, bei denen offenbar der durch Abriegelung der Außenwelt gehemmte Be­tätigungsdrang nun nach innen geschlagen ist, aber nicht in Großherzigkeit und Liebe, sondern in Klein­lichkeit und Bosheit. Denn anders ist es nicht ver­

ständlich, daß manche Glaubensgenossen all ihre Ressentiments gerade im Verkehr mit ihrer jüdischen Gemeinde abreagieren und sich dann noch wunder wie bedeutend Vorkommen. Ist es aber wirklichbe­deutend, ja ist es nur auch nötig, wegen einer Steuerdifferenz von sage und schreibe 5 (fünf!) Reichsmark eine mit Denunziationen gespickte Be­schwerde an den Regierungspräsidenten zu richten, ohne daß der Beschwerdeführer vorher seine Ge­meinde auch nur davon benachrichtigt, daß er glaubt, um fünf Mark zu hoch veranlagt zu sein? Hätte ihm seine Gemüsefrau fünf Mark zuviel in die Monats­rechnung geschrieben, er wäre in ihren Keller gegan­gen und hätte mit ihr das Konto abgestimmt; seine Religionsgemeinde verleumdet er bei der Behörde, wo der Brief naturgemäß und mit Recht keine an­dere Wirkung hervorruft als Befremden über das Ver­hältnis der Juden untereinander! Was soll man dazu sagen, daß, in einer andern Gemeinde, Vorsteher und Repräsentanten einander nicht grüßen und bei einer Sitzung sogar tätlich gegeneinander wurden? Und zeugt es von jüdischem Empfinden, wenn, wieder wo­anders, ein Gemeindemitgliedaustritt, weil Vor­stand und Repräsentanz in einem rechtsgültigen Ge­meindebeschluß einer plötzlich verarmten Witwe Steuernachlaß gewährten? Möchten doch alle die, die solcherart die Gemeinde sabotieren, sich erinnern, daß die Jüdische Gemeinde kein Verein ist, dem man nach Willkür angehören oder den Rücken kehren kann oder in dem man auch das ist in einem Ein­zelfalle vorgekommen Ehrenstellen als Repräsen­tant oder Vorsteher anstreben dürfte, wenn man sein eigenes Kind bewußt aus dem Judentum herausge­führt hat-nein, die Gemeinde ist kein Verein,

sondern sie führt den Namen Kehillah kedoschah, heilige Gemeinde, denn alle die Jahrhunderte seit Nebukadnezars Tagen ist sie das unsichtbare Zentrum des Judentums gewesen; das alte Heiligtum, Salomos Tempel auf Moriah, war zerstört worden, nun zogen die Väter nach Babylon und gründeten hier zum ersten Mal die Organisationsform des Diaspora- Judentums, die Gemeinde. Dies unsichtbare Zentrum war unzerstörbar; sie nahmen es mit: nach Alexan­drien und Aegypten, nach Rom und Spanien, nach Frankreich, England, Deutschland, Polen, Rußland, Rumänien. Wird uns nicht schwindlig vor der Rie­sengröße dieser Institution, die unsere eigene Wich­tigkeit mitsamt aller lächerlichen Kritik zum Ver­schwinden bringt!

Das Lob am Anfang war nicht Selbstliebe und die Tadel hier sind nicht Selbsthaß; Ansporn sei beides, als nachahmenswertes und als abschreckendes Bei­spiel. Beispiele erziehen, und Selbsterziehung, wahr­haftig, ist uns wieder not. Ein jüdischer Geschichts­forscher unserer Tage hat im Hinblick auf das die Juden der ganzen Erde verbindende Ritual- und Zere- monialgesetz die Juden dasVolk der Selbst­disziplin genannt. Nun, dieses Ritual- und Zeremo- nialgesetz entsprang in den Tagen seines Entstehens einer ethischen Grundgesinnung, und nur soweit es aus dieser Gesinnung heraus geübt wird, hat es auch heute seinen Wert. Aber diese ethische Grundgesin­nung muß sich auch auf den Gebieten auswirken, auf denen eine gänzlich neue Geschichtssituation das Vor­handensein festgelegter Normen aus früherer Zeit aus­schließt. Es gilt, das zu tun, was die Väter taten: die Anwendungsnormen für die Grundgesinnung selbst zu ' finden und freiwillig zu befolgen, Disziplin zu üben nicht nbr in den Dingen des Kultus und Ritus, son­dern vor allem auch in denen des profanen Alltags­lebens. Finden wir zu dieser Freiwilligkeit nicht die

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