FÜR DIE JÜDISCHEN GEMEINDEN PREUSSENS

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DES PREUSSISCHEN LANDESVERBANDES JÜDISCHER GEMEINDEN

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13. Jahrgang

Berlin, den 1. September 1935

Nr. 9

Hoffnung

Mit Riesenschritten eilt die Zeit jenen hochheiligen Tagen entgegen, die uns Juden der Höhepunkt des Jahres sind. Diesmal noch mehr als sonst. Die Er­eignisse, die von außen auf uns eindringen, haben uns auch den inneren Sinn geschärft; erwartungsvoll lau­schen und horchen wir auf alles, was im Ablauf des Jahres an jüdischen Werten an uns herangetragen wird, und so bedarf es nicht erst des äußeren M ahnen s jener Schofarklänge, die mit Beginn des Monats Elul beim täglichen Morgengottesdienst ertönen, um unsere Gedanken auf die nahende Zeit der Hohen Feste zu lenken. Im Gegenteil: Berichte aus den Gemeinden zeigen, daß unsere Glaubensgenossen in Stadt und Land dieses Jahr, wenn man so sagen darf, vorzeitig von der Stimmung der Hohen Feste ergriffen worden sind. Anfang August war der Neunte Ab; er ist dies­mal von den Juden Deutschlands der Zahl und der Innigkeit nach stärker begangen worden als sonst, und auf den Kanzeln ist an ihm oder den ihn umgebenden Sabbathen das Th ema derTheschuwah angeschla­gen worden, jenes hebräischen Wortes und jüdischen Begriffes also, der in der deutschen Sprache sowohl Rückkehr als auch Buße bedeutet und der eigentlich das Thema der Hohen Feiertage ist, auf die der jetzt beginnende Monat Elul hinweist Die alte Forderung, daß der Ablauf des religiösen Jahres uns Juden ständig in einer ganz bestimmten Stimmung erhalte, daß die Aufeinanderfolge der heiligen Zeiten uns jederzeit an unser Judesein gemahne diese Forderung ist in diesem Jahre auf eine merkwürdige Weise erfüllt worden, denn während sonst die meisten von uns die Festzeit lediglich von Rosch Haschanah bis Simchas Thorah rechneten, so daß das Laubhüttenfest (mit Schmini Azereth und Simchas Thorah) gleichsam nur als .Anhang an die Hohen Feste erschien, sehen wir f jetzt diese ganze Festzeit plötzlich erweitert und aus­gedehnt: Neujahrs- und Versöhnungsfest arscheinen wie eingerahmt von einer einheitlich gestimmten Zeit,

die von Tischa bAb bis Simchas Thorah reicht und unter deren Eindruck wir jetzt stehen. Dieser Stim­mung entspricht es auch, daß der Preußische Landes­verband jüdischer Gemeinden eine Aktion begann, durch die die Gemeinden, Rabbiner, Lehrer und Pro­vinzialverbände angeregt wurden, den Glaubens­genossen in Stadt und Land, besonders aber den isoliert wohnenden Menschen und der Jugend eine seelenaufrichtende Gemeinschaftsfeier zu den Hohen Festen und zu Sukkoth zu ermöglichen. Auch diese Vorbereitungsarbeit fügt sich in den Rahmen der Ehd-Stimmung.

Ohne Uebertreibung darf gesagt werden: der Elul, dieser Monat der guten Vorsätze, zeigt uns das Tiefste des Judentums. Denn die ihn beherrschende ßußstimmung ist etwas Urjüdisches, und sie ist zu­gleich wie das Judentum selber etwas sehr Merkwürdiges. Recht eigentlich gesehen, paßt sie gar nicht zur sonstigen Art der Welt und Menschen. Denn um im Leben sich behaupten zu können, bedarf der Mensch dessen, was vielleicht der stärkste Gegensatz zur Bußstimmung, zur Demut ist: des Sulbstbewußt- seins. Er bedarf zur Steigerung seines Erfolges des Gefühls, daß er das bisher Erreichte seiner Kraft, Tüchtigkeit und Umsicht verdanke, und bei Miß­erfolgen und Unglück bedarf er, damit seine Nieder­geschlagenheit ihm nicht die letzten Kräfte lähmt, der Ausflucht, daß nur äußere Verhältnisse und Widrig­keiten schuld seien.

Diese Denkart scheint einleuchtend und ist doch unlogisch:Ich habe mir alles selbst erwerben müssen; mir hat auch keiner geholfen, so spricht der erfolg­reiche Mann, und gefragt, wie er denn das gemacht habe antwortet er:Ich war eben klug, ich war tüchtig, ich habe aufgepaßt, und ich sehe, wo sich Möglichkeiten bieten 1 Woher aber diese Möglich­keiten kamen, und woher er die Kraft und Klugheit

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