FÜR NE JÜDISCHEN GEMEINDEN PREUSSENS

VBRWALTUHGS BLATT

DES PREUSSISCHEN LANDESVERBANDES JÜDISCHER GEMEINDEN

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13. Jaftrgang

Berlin, den 1. November 1935

Nr. 11

Programm und Planung

In der Berliner Synagoge Münchener Straße hat am Versöhnungsfeste der Rabbiner von. der Sehn­sucht der Eltern nach ihren Kindern gepredigt, und fast zur gleichen Stunde predigte in Tel-Aviv ein ehemaliger Berliner Gemeinderabbiner von der Sehn­sucht der Kinder nach ihren Eltern. ein

schlichter Tatsachenbericht, nichts weiter. Aber eine nahezu dreitausendköpfige Menge hörte ihn und spann die Gedanken weiter: Wandern zieht immer ein Sehnen nach sich und ist fast niemals freiwillig. Das unbeschwerte Wandern der jungen Bursche allenfalls; sie wollen sich einen Platz auf der Erde, an der Sonne, erobern. Der Jude ist immer nur ge­wandert, wenn er den alten Platz, den mühsalig er­rungenen, verloren hatte; das jüdische Wandern war niemals Lust! Dennoch: wie in der Zeit nach der Zerstörung des judäischen Staates, wie in der Zeit nach der Vertreibung aus Spanien, wie in allen Zei­ten, so sind wir Juden aus Deutschland wieder mitten in einer großen Wanderbewegung. Wahrlich: so wenig wie in früheren Geschichtsepochen, so wenig auch jetzt aus Lust am Wandern, sondern genötigt durch Verhältnisse, gegen die anzukämpfen jeder Versuch nutzlos und töricht erscheint, die aber gerade deshalb von uns seelisch und tatsächlich gemeistert werden müssen. Von uns das heißt von allen. Denn gewiß: nach wie vor gilt, daß nicht alle aus­wandern können. Aber der geschichtliche Strudel erfaßt uns alle, und die hier Verbleibenden sind an allem, was wird und werden soll, genau so beteiligt wie diejenigen, die von uns gehen.

Das alles wissen wir seit den bitteren Erfah­rungen des Jahres 1933. Tausende waren, ohne Über­legung, ohne Beratung, ja sogar ohne daß sie es un­mittelbar nötig gehabt hätten, fortgegangen; die Ziel­länder konnten die Flut der Einwanderer nicht be­wältigen, Not and Emigrantenelend waren die Folge. DaS mußte anfhören und hat aufgehört. Als die Reichs Vertretung der Juden-, in Deutschland alle Hilfs­arbeit einheitlich regelte, da hatte sie keineswegs den Ehrgeiz, allesselbst zu machen, sondern klug glie­derte sie in den Gesamtaufbau diejenigen Organisa­tionen ein, die seit Jahrzehnten auf bestimmten Son­dergebieten Erfahrungen und Material gesammelt

hatten. Darunter befanden sich auch zwei Auswan­derungsstellen: das der Zionistischen Vereinigung angegliederte Palästina-Amt für die Auswanderung nach Palästina, der Hilfsverein der Juden in Deutsch­land für alle übrige Auswanderung.

Organisierte Auswandererhilfe das wars, was man als große unabweisliche Notwendigkeit empfand inmitten all der anderen, nicht minder brennenden Aufgaben, die den Juden in Deutschland für die Er­haltung ihres Existenzminimums erwuchsen. Im Ge­gensatz zur planlosen Emigration hat die organi­sierte Auswandererhilfe viel Segen gestiftet: sie hat zahllose Menschen, oft auch ganze Familien, beraten, betreut, ausgerüstet, unterstützt, in neue Zukunft ge­führt. Und sie hat dabei bewußt oder unbewußt auch die Nichtwandernden unterstützt. Denn in dem Maße, in dem sie existenzgefährdete Menschen von hier in anderen Ländern in Erwerb setzte, im gleichen Maße entlastete sie hier die jüdischen Ge­meinden und ihre Wohlfahrtseinrichtungen. In den Gemeindestuben wußte man das.' Aber man sah zu­gleich mit Sorge, daß neben den Existenzlosen auch Wohlhabende uns verließen; und das war keine Ent­lastung, das war eine weitere Schmälerung unserer ohnehin immer geringer werdenden Möglichkeiten.

Noch weitere Gefahren tauchten auf. Mit banger Sorge fragte man sich, was aus unseren Menschen und den für sie bestimmten gemeinnützigen Einrich­tungen werden solle, wenn in wachsendem Maße die Jugend unser Nachwuchs uns verließ, und man malte das Büd, daß die in Deutschland verbleibende Judenheit ein einziges großes Alters- und Armenhaus werden müsse.

Allen diesen Bedenken kommt zweifellos eine nicht unerhebliche Berechtigung zu; gegenstandslos oder befriedigend widerlegt sind sie auch heute kei­neswegs. Dennoch hat es den Anschein, als seien sie innerhalb der maßgebenden jüdischen Körperschaften zurückgestellt worden zugunsten anderer Erwägun­gen und auf Grund neuerer, unbestreitbarer Entwick­lungen.

Die Nürnberger Gesetze haben den -Drang nach Auswanderung wieder verstärkt. Dieser Drang mußte.