Seele zu läutern und sich selbst stets zu erneuern. Hier liegt das Geheimnis für die ursprüngliche Stärke der jüdischen Existenz. Unbeirrbar war der Glaube des Juden an sein Geschick, die Liebe zu seinem Schicksal. Hier sog er die Kraft, die ihn bis heute erhalten hat, seinen unbesiegbaren Willen zum jüdischen Leben. Unsere Väter retteten ihr Bestes, ihre Seele und ihren Glauben, durch die dunklen Jahrhunderte, weil sie nicht verbittert waren, sondern stolz auf ihr Judesein, weil sie ihr Schicksal nicht verfluchten, sondern liebten, weil sie mit ihm gerungen haben, bis es sie segnete.
Auch wir können stus dem harten Felsen unserer Geschichte wieder das Wasser des Lebens schlagen. Es gibt heute vor dem Brausen des Geschehens kein Ausweichen mehr. Erst dann besteht eine wirkliche Gefahr, wenn wir daran verzweifeln, ein Leben als Juden führen zu können, wenn wir die Bürde unseres Schicksals wegwerfen, wenn die Flamme des Geistes erlischt. Wenn es so weit kommt.
dann allerdings stehen wir vor einem Abgrund; erst das wäre in Wahrheit die Stunde unseres Todes. Nur die jüdische Wendung der Seele kann uns vor diesem Tod bewahren: die Wendung von der Erschütterung durch die Schwere des Auferlegten zur schaffenden Bewältigung durch Schicksalsliebe.
Das ist die seelische Grundlage alles echten Aufbaus, kein leerer Gedanke, sondern blutvolle Wirklichkeit, weil uns die Welt das Recht auf unsere Liebe zum Schicksal täglich und stündlich streitig machen wird.
Nur, wenn wir so unsere eigene Seele wiederfinden, werden wir der Dumpfheit, der Trägheit und dem geistigen Tod entgehen, die heute als Gespenst hinter uns hergehen. Dann werden wir das Brot finden, ohne das wir nicht leben können, das unseren Hunger nach dem Sinn des Daseins stillt, wie es die Brüder bei Josef gefunden haben.
Wiedererstandene Königszeit
Von Dr. Elias Hurwicz.
Durch das Erscheinen des 2. Bandes „W ü s t e und Gelobtes Land“ von Elias Auerbach (im Schocken-Verlag, Berlin 1936, 287 Seiten Großformat, mit Tafelanhang) hat unsere deutschsprachige Literatur über das Judentum eine echte und dauernde Bereicherung erfahren. Hatte schon der 1. Band tiefe Einblicke in die ursprüngliche Kultur der Juden bei und nach der Besiedlung des Landes Kanaan vermittelt und war er bis zu den großen Gestalten Davids und Salomos gediehen, so stellt sich der Verfasser in dem gegenwärtigen Band die Aufgabe, die nachsalomonische Zeit (bis Esra und Nehemia' vor uns wieder auferstehen zu lassen. In der Tat: ein Bedürfnis nach einer solchen Wiederbelebung besteht durchaus!' Denn gestehen wir es offen: wer von uns hat bisher eine klare Vorstellung von dieser Epoche gehabt, die uns stets von zumeist unbedeutenden und im Sinne der Geschichte kurzlebigen Persönlichkeiten angefüllt schien?. Doch lassen wir den Verfasser selbst sprechen: „Wer Geschichte liest, pflegt interessante und uninteressante Perioden in ihr zu unterscheiden; und die israelitische Königsgeschichte wird wohl immer zu den uninteressanten gerechnet. Welches Interesse bieten auch dies? Zwergreiche im politischen Spiel der Giganten, und diese lange Reihe von Kleinkönigen, deren Namen wir zwar kennen, die aber fast wie wesenlose Schärften hintereinander vorüberziehen? Wo sind Persönlichkeiten von der Größe eines Saul und David? — Nun, ich gestehe, daß ich diese Zeit ungeheuer interessant finde. Welche Fülle von Staatskunst ist darauf verwandt worden, diese beiden Kleinstaaten zwischen den brutalen Großmächten dieser Zeit zu erhalten! Und der eine hat zweihundert, der andere gar tausend Jahre überdauert! Welche Fülle starker Persönlichkeiten bietet sich dem Blick, der sie zu sehen versteht!“
Auerbach hat diesen Blick. Es ist erstaunlich, wie er es immer wieder versteht, aus ein paar kurzen, zumeist nüchternen Zeilen des biblischen Berichtes ein ganzes, lebendiges Bild vor uns hinzuzaubern. Man vergleiche z. B. bei der Regierung Amaaias die foibliscbe Darstellung (2. Kön. XIV 1—7) mit der von Auerbach (S. 82—83). Nicht nur der König Amazia selbst als Mensch, sondern auch das ganze Land steht in Auerbachs Schilderung lebendig wieder auf, und dabei ist sein ganzes, bis in letzte Einzelheiten anschauliches Bild aus nur sieben Sätzen der Bibel gewonnen! Freilich, Auerbach stützt sich auch auf vorangegangene Forschungen, er stützt sich in seinem Buche ferner auf die Ergebnisse der Ausgrabungen. Aber all das würde nicht genügen, würden ihm nicht eine tiefe Liebe zum Gegenstand seiner Darstellung und eine wissenschaftliche Fantasie — „exakte Fantasie“, wie ein Gelehrter dies nennt — beflügeln.
Diese beiden seelischen Kräfte zwingen ihn aber auch,
außer der äußeren politischen Geschichte auch die inneren Zustände im alten Israel zur Zeit der Könige zu ergründen. Er schildert die Organisation des Heeres und des Beamtentums und betont, daß dieses letztere (im Gegensatz zu manchen anderen Völkern des Altertums) kein erbliches war. Die Juden dieser Zeit stellt er als freies, weit über das Land verstreutes Bauerntum dar. „Durch Arnos und Hosea“, so schreibt er dann über die sozialen und sittlichen Zustände (S. 87), „hören wir von den elfenbeingeschmückten Palästen der Großen in Samaria und von dem schwelgerischen Leben ihrer Bewohner. Aber es war ein Reichtum, der nicht das ganze Volk hob und zufrieden machte, sondern die sozialen Gegensätze vertiefte und einen mächtigen Auftrieb für die prophetische Bewegung schuf.“
Diese zweifellos ungewöhnliche Darstellung hängt mit der ganzen Auffassung Auerbachs über das Endschicksal jener Zeit zusammen. Auerbach lehnt nämlich die Ansicht ab, die sich auf die vielen Strafpredigten der Propheten stützt und daraus ableiten will, das alte Israel sei eben „infolge seiner sittlichen Fäulnis“ untergegangen. Er führt das Wesen der Prophetie überhaupt auf besondere soziale und ethische Empfindsamkeit zurück und glaubt daher, daß man aus den Strafreden der Propheten nicht ohne weiteres auf die inneren Zustände im Volke schließen darf. Israel und Juda sind untergegangen, einfach weil sie von den Großen, Assur und Babel, verschluckt worden sind, nicht aber, wie die Propheten uns glauben lassen, infolge ihrer Sündhaftigkeit. Zweifellos ist diese Auffassung historisch haltbar, dennoch müssen meines Erachtens die Zeugnisse der Propheten über die inneren Zustände im alten Israel nicht als Übertreibungen, sondern als Spiegel der Zeit angesehen werden.
Auf außenpolitischem Gebiet kann das Charakteristikum dieser ganzen Epoche darin erblickt werden, daß immer mehr die nordischen Nachbarn Palästinas — zuerst Damaskus, dann in immer bedrohlicherer Weise Assur und Babel — sich in den Vordergrund des Geschehens schieben. Die Kunst, zwischen diesen Machten und Aegypten zu lavieren, nimmt fast das gesamte politische Denken der nachsalomonischen Könige in Anspruch, ohne daß es ihnen am Schlüsse gelingt, die Katastrophe abzuwenden. Wie Auerbach diese Kunst im einzelnen darstellt, kann natürlich im Rahmen dieser Skizze nicht wiedergegeben werden. Nur das sei hervorgehoben, daß er der landläufigen Meinung entgegentritt, die „zehn Stämme“ seien „verbannt worden aus ihrem Heimatlande“. Dieser Meinung hält er, außer gewissen Zahlenschätzungen, die historische Tatsache entgegen, daß es stets assyrischer Kriegsbrauch war, vor allem nur die Vornehmen aus dem eroberten Lande zu deportieren. Hält man nun diese Ansicht mit derjenigen von Harnack und manch anderen zusammen.
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