EMEINDEB1ATT

FÜR ME JÜDISCHEN GEMEINDEN PREUSSENS

VERWALTUNGSBLATT DES PREUSSISCHEN LANDESVERBANDES JÜDISCHER GEMEINDEN

15. Jahrgang Berlin, den 1. Mai 1937 Nr. 5

Zur Psychologie der Einwanderung

Von Hans Heinrich Peyser, Porto Alegre (Brasilien). JP"

Welche Aussichten bestehen für einen Kaufmann itp Ihrem Lande?Kommt man gegebenenfalls auch mit Deutsch durch?Können Leute bei Ihnen untergebracht werden? Diese Fragen, von den verschiedensten Seiten immer wieder, schriftlich und mündlich, an einen heran­tretend, menschlich durchaus verständlich, offenbaren die grundverkehrte £instellung und Verständnislosigkeit, die allgemein heute noch bezüglich des Einwanderungs­problems in ein anderes Land herrscht. Die Zeiten der überstürzten Abreisen, des auf die Mildtätigkeit anderer Angewiesenseins, um über die ersten Monate hinwegzu- konunen, sind heute, vier Jahre nach Eintritt der neuen Ver­hältnisse, wohl längst vorbei. Wer sich heute zur Auswan­derung entschließt, hat reichlich Zeit gehabt, darüber nachzudenken und sich entsprechend vorzubereiten. Es ist deshalb an der Zeit, einige prinzipielle Dinge dazu auszuführen und besonders die verkehrte psychologische Einstellung, mit der viele gerade in unsere Länder kommen,' richtigzustellen.

Das Problem des jüdischen Einwanderers in den süd­amerikanischen Ländern ist gar kein jüdisches Problem, sondern das Problem des Einwanderers fiberhauptl Einwanderer hat es hier seit über 100 Jahren alljährlich viele tausend gegeben und mit ihnen die entsprechenden Fragen und Überlegungen. Wird sich der jüdische Ein­wanderer von heute auch aus naheliegenden menschlichen Gründen zunächst an andere deutsch-jüdische Kreise wen­den und an die entsprechenden eventuell bestehenden Orga­nisationen, so hüte er sich vor-allzu großer Einseitigkeit.

Sein Problem ist nicht anders als das jedes anderen Einwanderers anderer Rasse und Nationalität auch; das sich Hineinversenken in eine, garnicht bestehende Tragik und Problematik desdeutschen Juden in Brasilien (um gerade von den hiesigen Verhältnissen zu sprechen) würde nicht nur sein Gesichtsfeld sehr verengen, ihn un­tüchtig machen, es würde auch dem Rhythmus und Stil dieses Landes zuwiderlaufen, das ein freies Nebeneinander­her aller Nationen und Rassen kennt.

Wir haben hier heute schon in gewissen Kreisen etwas wie eine deutsch-jüdische Inzucht. Dieses stete Zusammenhocken das die Leute, um nur nebenbei einen der vielen Nachteile zu erwähnen, meist die Landes­sprache nie richtig lernen läßt dieses niemals Los­kommen von den Geschehnissen des alten Landes ver­sperrt den Leuten meist' von seihst den Weg zum wirk­lichen Aufstieg. Sie kommen an mit der GrundeinsteUung, in der tragischen Lage eines jüdischen Emigranten zu sein, für den nun -eben die besser gestellten Glaubens­genossen in irgend einer Weise sorgen müßten. Diese see­lische Zwangsvorstellung läßt ihnen ab höchsten Wunsch den Posten des Ökonomen an 'dem vielleicht gerade neu gegründeten deutsch-jüdbchen Verein erscheinen.

Wie kurz eingangs bemerkt, wird es nur natür­lich sein, daß der Neuangekommene sich erst einmal mit

den entsprechenden jüdischen Stellen und Persönlichkeiten in Verbindung setzt. Ist er aber ein Kerl, hat er wirk­lich das Zeug weiterzukommen und Karriere zu machen, so mache er sich möglichst schnell von der Psychose des emigrierten Juden frei! Er betrachte sich wie jeder an­dere Einwanderer in diesem großen Lande, in dem, wie in ganz Amerika, der Spruch gilt:Selbst ist der Mann! Und er sei sich vor allem, wie jeder andere Einwanderer, über eines klar: um wirklich weiter zu kommen, um nicht in einer armseligen Mitleidsstellung zu vegetieren, muß e r den' Leuten etwas zu bieten haben! Dieser Gesichtspunkt, einer der wichtigsten überhaupt, wird von den meisten Ankommenden völlig vergessen. Sie kommen an mit dem Gedanken: wie kann ich hier irgendwie Unterkommen? Anstatt sich zu fragen: was habe ich zu bieten, was könnte einen Unternehmer reizen, mich zu nehmen? über welche besonderen Kenntnisse verfüge ich, die ich vielleicht nutzbringend verwerten'könnte? j

Man denkt in der Welt sehr nüchtern. Wer jemanden engagiert, will auch wissen, was er von ihm hat. Mit­leids- oder Gefälligkeitsstellungen, gelegentlich von jüdi­schen Stellen oder Persönlichkeiten gegeben, sind selten und garantieren auch nur vereinzelt ein Weiterkommen. Wer aber positiv etwas kann, kommt in diesen Ländern weiter, in denen noch so vieles fehlt. Besonders wenn er sich auf den Charakter der Länder einzustellen versteht und auf den ihrer Bevölkerung.

Deshalb .berührt auch in Ländern wie den hiesigen, in denen, nach den Einwanderungsbestimmungen, der ins Land Gekommene kaum mehr irgendwelche gesetzliche Einengung in Bezug auf Tätigkeit vorfindet, die Frage immer so entsetzlich töricht:Welche Aussichten, hat ein Kaufmann bei Ihnen? Man möchte ihnen am liebsten antworten:Sie können ganz Rio Grande do Sul kaufen. Sie können es auch verkaufen. Ich zweifle nur, daß Sie die entsprechenden Fähigkeiten haben! Es gibt wohl kaum ein nichtssagenderes Wort ab das WortKauf­mann. Der ankommende junge Mann, der sich mit den Worten vorstellt:Ich bin Kaufmann, könnte auch nicht

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