weniger zum Ausdruck bringen, wenn er sagte:Gestatten Sie, ich bin Mensch, und der Leiter des Hilfskomitees einer großen südamerikanischen Stadt sagte mir, daß sie derartige Leute (es sind leider die meisten) in ihren Listen alsungelernt führen. Denn was ist Kaufmann? Der Leiter einer Fabrik, sein Buchhalter, der Kommis im Kleiderladen, der Millionen umsetzende Exporteur, der Versicherungsagent, der Schwerindustrielle, der Stadt­reisende in Nähmaschinen, der Häuteaufkäufer in der Provinz, der Leiter eines Sandwichstandes: alle sind sie Kaufleute ! Die Kenntnisse des einen haben kaum etwas mit denen des anderen zu tun. Und die'meisten sind unverwertbar, da sie auf der Sprache des Landes und Kenntnis ihrer besonderen Verhältnisse beruhen. Und weil sie besonders bei Leuten ohne Geld zu wenig bieten"! Kunden im Laden bedienen, die Bücher füh­ren. auf Provision reisen, das sind Kenntnisse, die zu durchschnittlich sind, um' zu reizen. Die von tausenden und tausenden Durchschnittsmenschen des Gastlandes auch besessen und verwertet werden, meist sogar durch Sprach- -und Landeskenntnissc in überlegener Weise, und worin kein Mangel besteht. Kommt der Einwänderer aber mit irgendwelchen Spezialkenntnissen, wertvollen Ge­schäftsverbindungen. und hat er die Fähigkeit, sich auch (lurchzusetzen, so-ist an seinem Erfolg nicht zu zweifeln.

Sonderbarerweise aber kommen die wenigsten so an. Sie kommen meist mit der unklaren Vorstellung, irgendwo einekleine Stellung zu finden. Die von drüben her ver­kündeten großartigen Kenntnisse auf fast allen Gebieten zerfließen bei näherem Zusehen in Dunst und Nebel. Und die noch mangelnden Kenntnisse der Landessprache in Wort und Schrift lassen dann auch meist die restlichen .Aussichten zerflattern. Erwähnt sei in diesem Zusammen­hang, daß die wirkliche reelle Beherrschung irgend eines Handwerkes jeden in kürzester Zeit eine Anstellung finden ließe!

Viele beißen sich durch. Viele vegetieren schlecht und recht. Und manche gehen auch ganz vor die Hunde. Womit ich auf meine Anfangsthese zurückkomme: das Auswanderungsproblem ist kein Massen- sondern ein Einzel problem ! Und die jüdische Emigrationsfragc ist keine jüdische Frage (von kolonialen Siedlungen ahgeseheni, sondern das gewöhnliche Auswandererproblem überhaupt. Der eine schaffts, der andere bleibt zeit­lebens ein armer Hund.Die kaufmännischen Aussichten in Ihrem Lande?Das kommt auf Sie an, verehrter Herr!

Muß so der Einwanderer in seinen Kenntnissen etwas zu bieten haben, was ihn über den Durchschnitt der an­deren stellt und was ihm auch seelisch Selbstvertrauen gibt, so kann auf der anderen .Seite nicht genug vor einer anderen Stellungnahme gewarnt werden: das Gastland als eine Art Ausbeutungsobjekt zu betrachten! So sehr Neu­gründungen und Aufbau diesen Ländern dienen, so uner­wünscht ist es, wenn Leute mit Geld ankommen, wie der Westeuropäer in das Land der Wilden (für das sie Süd­amerika halten), sich breitbeinig hinsetzen, um einen dann zu fragen:Sagen Sie, da könnte man doch hier...?, Sagen Sie mal, das wär dochne großartige Sache! (Meist handelt es sich um irgendein neuartiges Projekt, mit dem sie glauben, enorm viel Geld herausschlagen zu können, das sie dann später in besseren Gegenden ver­zehren können.)

Einwanderung ist nicht nur ein ökonomisches, es ist auch ein seelisches Problem. Der Einwandemde soll von Anfang an dem neuen Lande Achtung und Liebe entgegen­bringen. Er soll versuchen, gefühlsmäßige Beziehungen zu ihm zu bekommen, in seinem Interesse zu arbeiten und es nicht nur zum Objekt seiner kaufmännischen Spekula­tionen zu machen. Mag selbst die einwanderade ältere Generation sich bis an ihr Lebensende mehr Europäer als Südamerikaner fühlen (erst die zweite Generation fühlt sich erfahrungsgemäß ganz als Angehörige dieses Landes)! Anstand und Dankbarkeit verlangen das und auch das Bedürfnis des Menschen nach seelischer Verbindung mit dem Lande, in dem er wohnt. Deshalb ist die eingangs erwähnte Frage:Kommt man auch mit Deutsch durch? menschlich und beruflich so falsch. Selbst im hiesigen Lande mit dem starken Einschlag von 1520'/*

Deutschsprechender (eine sehr hohe Zahl) ist die Idee, die übrigen 8085*/# der Bewohner entbehren zu können, völlig unsinnig. Davon abgesehen aber soll der Neu­ankommende sich gar nicht auf so etwas einstellen. Mag er im Familien- oder Bekanntenkreise so viel Deutsch sprechen, wie er will. E r soll sich dem Lande anpasaen, in dem er jetzt leben will, nicht das Land ihm! Und dazu gehört vor allein die Sprache. Ebenso wie man die neuen Einwanderer gar nicht genug darauf aufmerksam machen kann, daß die Bewohner jedes Landes ihre eigene Mentalität haben, der man sich anpassen und mit der man sich abfinden muß, selbst wenn man einzelne Bräuche oder Eigenschaften für sehr schlecht hält. Es hat keinen Zweck und ist ganz falsch, sich darüber zu ärgern und immer Vergleiche mit .Europa heranzuziehen. Die Leute ändern sich nicht, denen gefällt das so! Die Konsequenz ist nur Mißerfolg und Verbitterung.

Es würde im Rahmen dieses Artikels zu weit führen, alle Einwanderungsfragen zu streifen. Es sollte hier nur auf einzelne psychologische Kardinalfehler eingegangen werden. Die jüdischen Organisationen und Beratungs­stellen sind soweit sie selber richtig informiert werden natürlich nur imstande, das rein Tatsächliche (Einwan­derungsvorschriften, Adressen, Zahlenmaterial etc.) mitzu­teilen. Für sie, in ihrer enormen Inanspruchnahme und Beschäftigtheit, muß die Auswanderungsfrage notgezwun­gen zu einer Massenfrage werden, ihre Auskünfte müssen allgemein und summarisch sein. Daß darüber hinaus die Auswanderungsfrage doch mehr eine Einzelfrage, eine Frage der individuellen Persönlichkeit ist, die sie von jeher war, glaube ich durch diesen Artikel dargelegt zu haben. Und selbst die sehr wichtige religiöse Frage spielt in dies Gebiet hinüber: die ins Land kommenden Juden sollen sich den bestehenden jüdischen Gemeinden und Organi­sationen anscbließen, dann haben sie am jüdisch-religiösen Leben Teil und fördern .zugleich ihre Einordnung in das Land sowie die Aneignung der Sprache. Das wird ihnen auch für ihr soziales und wirtschaftliches Weiterkommen nützlich sein.

Natürlich gibt es gewisse allgemeine wirtschaftliche Normen. Wie bereits erwähnt, kommen befähigte Hand­werker immer unter. Unmöglich ist es für Juristen (sofern 9ie sich nicht völlig umstellen). Auch älteren Leuten ohne nennenswerte Geldmittel kann nur dringend abgeraten werden. Kaufleute, die sich die Vertretung renommierter Export- und Importhäuser besorgt haben (letzteres nur bei Unterhaltung von Consignationslagem möglich, da die Bestellung auf Muster zu lange dauert und deshalb nicht reizt), existieren allgemein gut. Musiker finden Stellung, Schauspieler garnicht, bei Sängern ist es verschieden. Leute, die Geld haben und die Ruhe, sich die Sache erst einmal eine Weile anzusehen, werden sich immer nutzbringend an irgendeinem Unternehmen betei­ligen können, oder auch selbst ein Unternehmen ins Leben rufen können. Die Kolonistenfrage erfordert eine beson­dere Betrachtung.

Innerhalb dieser allgemeinen Normen nun gibt es die tausendfach verschiedensten Einzelschicksale. Persönliche Begabung und Klugheit, Glück, die Fähigkeit, sich dem Lande und seiner Art anzupassen, bestimmen wie überall im Leben über das Schicksal des einzelnen. Vor zwei Jah­ren lernte ich hier einen Berliner Herrn kennen, der, völlig mittellos, monatelang in ärmlichster Weise sich durchschlug. Er ist heute einer der größten hiesigen Exporteure, die von ihm im hiesigen Hafen expor­tierten Waren hielten in mehreren Monaten des vorigen Jahres die Spitze vor selbst den großen brasilianischen Exporthäusern! Einen anderen, den ich um die selbe Zeit in ähnlichen Verhältnissen kennengelernt hatte, traf ich zufällig vor zwei Tagen wieder. Er war inzwischen in Montevideo, Rio und San Paulo gewesen, nirgends hatte er Fuß fassen können, überall hatte man ihn nach kurzer Zeit wieder gehen lassen, er war jetzt völlig zum Stroamer herabgesunken.

Diese Beispiele könnte ich beliebig erweitern. Diese zwei mögen als typisch für viele dienen und das, was ich sagte, bekräftigen. Jeder trägt sein Schicksal mit sich selbst! Es gibt keine kollektive Lösung des Auswanderer­problems! Nur tausende von Einzelschicksalen.

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