III. Jahrgang.

n'jmrlmsrhks ©rgatt für bk gksSmrplrn Inlsressen ites Iudknihums.

Pränumeration

ir Ocfterreich-Ungarn pro Quartal: fl 1.50, Lr dir Lchwkij » Frei , für Lkutschland « Rk. Man abonntrt bei allen Poftan- ftalten oder bei der Expedition der ״Neuen . J4r»eliti!chen Zeitung" in Zürich.

Herausgegeben von:

Rabbiner vr. Alerandier Lisch in Zürich.

Erscheint jeden^. Freitag.

Zürich, den 5. Mrz 1880. '

Inserate

werden pro geipaltene Petitjeile,der deren «aum in der Schweix mit 15 St«., lanb 10 Ps., Oesterreich tlikreuxerberechnet und sowohl bei der Expedition der ״Neuen Israelitischen Zeitung" in Zürich, als bei allen europüischen Annoncenbüreaux a»i genommen.

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Inhalt.

Leitartikel: In Sacht» des Prof. Treilschke. II.

Correspondenzen und Nachrichten aus Schweiz, Deutschland, Oesterreich-Ungarn, Frankreich, Rußland, Amerika, Asien.

tyrern geworden waren, traten ungescheut auf ~ ' ' Er'

Vermischtes. Literarisches.

Feuilleton: Adderabbeh, oder Gegen den Strom.

In Sachen des Professor Treitfchke.

11 .

P

Professor Treitfchke ist kein schlechter Tak- tiker. Er kennt die Juden Deutschlands, die mit einer dem Stainme von seinen Gegnern bestrit- lenen Kriegsfreudigkeit sich in dem letzten deutsch- französischen Kriege nun auch wie 1813, 14 und 15 als eifrige Patrioten auf das Schlachtfeld drängten. Leider waren die Juden Deutschlands wie alle anderen Deutschen nach dem letzten Feldzuge ebenso .wie nach den napoleonischen Kriegen von einer' Teutomanie erfüllt, die dem berüchtigten Chauvinismus des zweiten Kaiser- rejchS^ganz ebenbürtig zur Seite gestellt werden ' Wrfte."^Äle 'Delktschen^ahen 'mir einer Veracht" tung auf die Frauzöslein herab, als wären sie in Kultur und Wissenschaft, in Philosophie und gesellschaftlichem Tone nie bei den Nachbaren im Westen in die Schule gegangen. Das Volk der Denker begann zu vergessen und die Nation der Kritiker legte jede unparteiische Kritik in Acht und Bann. Das Jahr 1848 wurde nun selbst in liberalen Blättern als eine Zeit der Träumerei und Gefühlsdirselei behandelt, und was weniger liberal war, scheute sich nicht, jene Zeit des gei- stigen Aufschwungs als Schmach zu bezeichnen.

Männer, die damals für die Freiheit zu Mär-

Seite der Anbeter des Erfolges. Alles was bis dahin über die Jahre dex Schmach und Er- Niederung Deutschlands in.'der ersten Hälfte un- seres Jahrhunderts gesagt worden war, sollte vergessen und aus den Büchern der Geschichte gestrichen werden.

Heine und Börne, biß dahin die Lieblings- schriftsteller der Deutschen, wurden geschmäht und gemieden.

Weil viele der in der Tagesliteratur tonan- gebenden Personen den Mantel gewechselt hatten, verlangten sie, Alles müsse-sich der Mode fügen und die alten Gewänder an Lumpenhändler und Bettler abtreten. ; j,

Treitfchke weiß sehr nvhl, daß diese Wand- lung, die er am gründlichsten und nicht gerade am ehrenhaftesten qntgem«ht, auch bei vielen Juden Platz gegriffen Hai» -Es war also ein ganz geschickter Wurf, daMr* gegen die Behaup- tung, die Juden des deuMen Reiches sejen gute Deutsche, nach einer Wa^Miff, die Spaltung unter seine Geaner brina « M H «^ eil die efitria

w^re m l ^ riM^Ar^^^ ^ ^M^ k r A nE

bens viele Jahrhunderte länger Deutsche sind, als seine sorbo - slavischen Ahnen; dieser Mann, der den Juden die Nationalität in ihrem Vaterlande abspricht, dieser selbe Herr Professor schlägt ans Grätz mit Keulenschlägen los, weil er als unparteiischer Historiker die Epoche Deutsch- lands, wo die Treitschke'sche Verblendung und. spießbürgerliche Engherzigkeit die maßgebende Strömung war, unparteiisch und im vielleichtי nicht ganz berechtigten Bewußtsein, daß es anders, geworden sei, schonungslos, wie es dem Ge- schichtsschreiber zukommt, dargestellt hatte.

Leider hat Treitfchke bei einem Theil der deutschen Juden das erreicht, was er wollte.- Trotzdem Grätz großmüthig erklärt hatte, was er' , persönlich geschrieben, dafür solle man i ^ ° - nicht alle Juden verantwortlich machen, stürzte» rA versteckte und offene ftühere Gegner, sowie over» '4 flächliche Eiferer, die sich kaum die Müh« gäben,' i die aus dem Zusammenhänge gerissenen Citatt» V Grätz's zu lesen, über das ihnue biuZrworfe«e T-& Opfer und zerfleischten die unpaWU^i'TWi-. ' $ nung des Breslaues: Gelehrten, miren: ״Geliebte - deutschL^rüMMM^ZHx^sy'

Der einstmalige Preußenfresser und sächsische Partikularist Treitfchke schotte sich nicht, gegen die Juden und deren Patriotismus das Urtheil in's Feld zu führen, welches Professor Grätz im eilften Bande seiner ״Geschichte der Juden" über die Emanzipationsbewegung in Deutschland ge- fällt hatte.

Es ist kaum glaublich, der Professor Treitfchke, das Urbild der judeufresserischen Teutomanen, der mit Verblendung und Blindheit, mit dem unsterblich engherzigen Michelthum gegen seine Mitbürger kämpft, die trotz ihres jüdischen Glau­

deutsche;

dem Wehrwolf in Breslau, wir sind gute' wir können kriechen, kriechen, kriechen!"

Und wir jenseits der schwarz - weiß - rothen Pfähle sagen: nein. Und wenn es je einen Zweifel gab, ob Grätz Recht habe, so hat Treitfchke und seine Konsorten bewiesen, daß er richtig ge- urtheilt und das ״Kreuzigetihn" der Grätzgeguer beweist höchstens, daß die deutschen Juden wahr- Haft und durch und durch jüdische Deutsche gemor- den sind. Ein Argument mehr gegen den Ber- liner Professor.

Ist es ja so weit gekommen, daß man an

Feuilleton.

DM- Neueintretende Abonnenten erhalten die Erzählung, nachzeliefert.

״Ad-erabbeh!"

"oder

Hege» de» Strom.

Charakterbild aus dem jüdischen Volksleben.

Bon vr. Ehren theil, Rabbiner in Horic.

. (Nachdruck verboten.)

(Fortsetzung.)

. Geh' schnell, bringe dies dem alten. Taglöhner

" Christoph!, zu dem ich schon seit zwei Wochen mir die Füße ablaufe; die Medikamente muß er bezahlen, die kosten mich mein eigeijeS Geld, ' für die Visiten soll Gott zahlen. Lange werde ich diese» Patienten ohnehin nicht mehr zu be- > 0 suchen haben. Der alte Lastträger wird die Last

< deS Erdenlebens nicht lange mehr zu tragen

haben, hat sich genug abgemüht aber die Medikamente hörst du Zirile? muß er dir sofort bezahlen^ wenn man auch sagt, ״der Tod ist umsonst." Das ist nur ein Tod ohne : Medikamente hörst du Zirele?"

״Ich höre, ich höre, Vaterle!" sagte das - seelengute Mädchen, packte die Medikamente in ihre Handtasche, ging zum alten Christophel, r nicht jedoch ohne zuvor in ihrer besonderen Mild-

Herzigkeit, ohne daß es Jemand im Hause merkte, aus dem Speisekämmerchen im Vorhause einige Lebensmittel in ein Tuch gewickelt, mitgenommen zu haben, um der armen Taglöhnerfamilie ein wenig hilfreich beispringe» zu können; was sie während der Krankheit des Alten schon öfter ge- than, da der Wundarzt ihr von der Armuth des kranken Christophel Mittheilung gemacht, und sie Verstand und richtige Erkenntniß genug besaß, in ihrem echt humanen, wahrhaft jüdischen mildem Sinne zwischen Juden und Nichtjuden keinen Unterschied zu machen.

Der alte Kranke erhob sich ächzend und nur sehr mühsam auf seinem sehr ärmlichen Lager, nahm die Medikamente aus der Hand der guten Zirele, als diese ihm dann die mitgebrachten Liebesgaben, begleitet vom freundlichen Lächeln, auf die Bettdecke niederlegte, und ihm, als er ängstlich nach dem Preise der Medikamente frug, lächelnd erwiderte, macht euch darüber keine Sor- gen, die sind schon bezahlt.

Da Zirele bereits den Vorsatz gefaßt hatte, dem strengen und sehr sparsamen Papa die 36 Kreutzer aus ihrer Sparbüchse zu bezahlen und ihn im Glauben zu belassen, als.chätte Christoph daS Geld gegeben da sagte der. arme Kranke, obwohl auch er nicht wußte, wer die Medika- mente bezahlt hatte, ״brave gute Seele! Sie sind bei Gott so brav, als wären Sie eine gute

reine Christensee le." Das war damals das höchste schmeichelhafteste Kompliment, das man den Juden machen zu können glaubte ״ daß ein jüdisches Herz für einen armen, kranken Christen so viel liebevolle Güte haben könne, hätte ich all' mein Lebtag nicht gedacht."

Plötzlich hielt der Kranke inne, wendete sich um und drückte das fieberheiße Gesicht gegen die kalte Wand, und ächzte tief, einige Male nur die Worte hervorstoßend: 0 ״ mein Gott! 0 mein Gott! DaS drückt schwer, das bringt mich um!" - ״ Christophel! was ist Euch? Habt Ihr jetzt mehr Schmerzen? Soll ich meinen Papa holen? Nehmt doch schnell ein wenig Medizin oder ein Pülverchen", rief Zirele ängstlich besorgt.

Doch der Kranke stöhnte nur tief, ergriff die Hand des Mädchens, und sprach: ״ DaS, was da drinu brennt auf meinem Herzen, löscht keine Medizin ans einer Apotheke, mit mir geht's zu Ende ץ aber so wahr ein barmherziger Gott im Himmel lebt, der sich meiner armen sündigen Seele erbauten möge, ich will's nicht in'S Grab mitnehmrn, ich kann nicht ruhig sterben ich bin ein guter Christ gewesen all' mein Lebtag, arm, aber ehrlich bis zuletzt der Böse mich in seine Schlinge kriegte» ich sollte als Ka° tholik mir jetzt den Geistlichen kommeu lassen, aber nein! Sie sind eine reine sündenfreie Seele, zuerst sollen Sie meine Beichte hören."