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an eine gemeinsame Zukunft glaubt. Und darin erst sitzt seine volle Lebendigkeit. Ja, wir müssen noch entschiedener sagen: Ein Volk muh sich selbst eine Sendung unter den Völkern zuschreiben. Es muh daran glauben, dah es im Verein der Kulturvölker eine besondere Form dstrstellt, die nicht fehlen dürfte, imd dah in der geistigen Welt eine Lücke entstehen würde, wenn es mit seiner eigentümlichen Kraft ausgeschaltet würde. In diesem Sinne hat ein geslindes Volk immer einen Zukunftswillen, einen Lebens- g lauben, zuletzt eine W e rb ekra ft. 2n dem Zulturideal eines Volkes verdichtet sichrem ganzer 'vitaler uid geistiger Daseinswjlle. Er ist nicht nur ein Wille zu kulturellen Erobe- rungen: er ist mehr: er ist ein Ausdruck dafür, dah ein Volk sich mitverantwortlich fühlt für die Gestalt, die die Kult ir der Welt in der Zukunft tragen wird._ Mit einem Wort: Ein Volks- bewuhtscin ruht nicht nur auf gemeinsamer Sprache und ge­meinsamer Heimat, nicht nur auf gemeinsamer Ge chichte und gemeinsamer Kultur, sondern auf einem gemeinsamen Zukunftsglaubcn. Haben wir.den nicht, so haben wir kein Eristenzrecht als Volk mehr: denn wir haben! dann auch kein lebendiges Volksbewuhtsein. . j

Aber wir dürfen uns nicht im bloh Philosophischen ver­lieren. Es gehört zur nationalen Ehrlichkeit, sich klar zu machen, dah der Erziehung zum deutschen Volksbewuhtsein Grenzen gesetzt sind, die mit dem Vesten unsres Volkscharakters irgendwo Zusammenhängen: die Fülle unsrer inneren Gesichte, unsre Phantasie für Fremdes und Fernes, unser Wille und unsre Gabe, andre Volksart zu verstehen, kurz stnsrr Auf­geschlossenheit, die aus dem Reichtum unsres Innern! stammt, dies alles wird uns immer an die gefährliche Erestze führen, uns zu verlieren, ohne uns zu finden. Wir dürfe^i uns^ auch

Gerechtigkeit.

eine

Man predigt uns in jüdischen Reden und ri unbestechliche Gerechtigkeitssinn sei eine Erbtugrnd d:; ^Stammes. Gelegentlich fügt einer die Lehre hin; Der Juden Aufgabe sei es, im deutschen Volke ger>

eht

iften, der s jüdischen u, gerade zu sein.

Lassen wit diesmal beiseite, ob das Erbrecht selbst der Prüfung standhält und ob cs zulässig, taktvoll urd klug ist, dieses Recht so oft und so laut zu verkünden, trennender ist eine andere Frage. Sind wirklich wir Juden, wir ver­meintlichen Hüter und Schützer der allgemeinen Gerechtigkeit, stets auch dort gerecht, wo es uns selbst im Besonderen angeht?

Diese grundsätzliche» Betrachtungen knüpfen an Zeitereig­nisse an. in deren Mittelpunkte der ehemalige deut che Kaiser .steht. Ich habe mich im Laufe der Jahre daran gewöhnen müssen, UebeHlüssiges und Ueberdeutliches zu sagen! um geg­nerischen Wortverdrehern ihr Gewerbe nicht allzu! leicht zu machen. Rur aus diesem Grunde spreche ich vorweg als per­sönliches Bekenntnis aus. dah ich niemals ein Bewunderer des Kaisers Wilhelm gewesen bin. Von jeher (au ich seine Politik für ziellos und gefährlich, sein Auftreten in der Öffentlichkeit für grell und unzweckmähig gehalten, Isein Ver­hältnis zu den Menschen seiner-Umgebung als unbefriedigend empfunden. Zu dieser Anschauung habe ich mich schon offen bekannt, als mancher heute stramm republikanische Redakteur noch seinen andächtigen Lesern Hofbilder, auf byzantinischem Goldgrund darbot, und als jüdische Vereine, die heizte Repu- blikanertum für selbstverständliche Iudenpflicht erklären, noch Kundgebungen fürKaiser und Reich" vollbrachten, ^lnd noch mehr. Ich bekenne, dah ich niemals überzeugter Monarchist war, wie ich heute nicht überzeugter Republikaner bin. Die .Staatsform war mir stets belanglose Aeuherlichkeit, !ein totes Eefäh, das wir selbst mit belebendem Trank erfüllen müssen. Monarchie und Republik gelten mir gleich viel, wenn nur ein starker nationaler Wille besteht, ein Wille zur Erhaltung des Deutschtums, an dessen Zukunft ich glaube und dem nur des­

nichr verschweigen, dah in den letzten fünfzig Jahren auch bei uns eine Epoche der Wendung zum Praktischen, zum bloß Wirtschaftlichen und Technischen eingetreten ist. die durch die allgemeine kulturelle Weltentwicklung bedingt war. Aber wir haben auch erkannt, dah die Formen, in denen dies geschah, zum Teil einen 4fbfqll vom Besten unseres inneren SBcicrä bedeuteten. Eewih wollen wir die technische Beherrschung d r Natur und die Bewältigung wirtschaftlicher Aufgaben nn i wieder rückgängig machen. Aber das alles muh eingebaut werden in den deutschen Idealismus: es muh zum freien Dienst am Ganzen des Kultursinnes werden: denn auch ein Volk ist zu verantwortlichem Dienen bestimmt. Um frei und nicht a!> Sklaven zu dienen, dazu brauchen wir den festen deutsche, Staat. Denn der Staat ist uns die höchste. Erscheinung d.. Pflichtidee, solange wir ihn im deutschen Sinn verstehen. U:i* doch, es gibt noch-eia anderes, stark Verbindendes, an bc,.i die deutsche Kulturgemeinschaft immer wieder erstarken wird: das Ideenreich. Die Wissenschaft, die Kunst, nicht zuletzt bi,- Mitverantwortung für das Weltgeschick, die wir lebendig in uns! fühlen: das bleibt das Band, dem wir nicht entfliehen können. Unser Glaube an die deutsche Zukunft flieht aus der Idtze, der wir mit Freiheit -dienen. Nicht weil wir leiden, haben wir den andern Völkern nichts zu geben. Nicht weil wir suchen, fehlt uns der volle Anteil am Kulturgedanke». Ganz umgekehrt: Es ist noch immer so gewesen, dah nur die Märtyrer, die durch die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis und der Zweifel an sich selbst hindurchgingen, der Welt die neue erlö ende Wahrheit brachten. Das gilt von einzelnen: es gilt auch von den Völkern. Wer das Tiefste litt, hat der Welt auch Grobes und Befreiendes zu sagen!

lBerechtigter Nachdruck aus der glcichtilulieric» Broschüre des .Lercius sür das Deutschtum im iUislande'.)

Zeit »etradjtung von Max Naumann.

halb die Gegenwart nicht gehört, weil wir Deutschen von jeher um die Gestaltung des Eefähes gerauft haben, statt in hand­fester Winzerarbeit den Trank zu veredeln.

Dixi et salvavi aniniam meam. Und nun mögen meine Gegner verkünden, dah ich aus monarchistischem Knechts­sinn dem ehemaligen Kaiser die Stiefel küsse. Keine Möglich­keit einer llmdeutung meiner Worte soll mich abhalten, für Wilhelm II. zu verlangen, was jeder von uns für sich selbst verlangt: Gerechtigkeit.

Der ehemalige Kaiser > hat vor wenigen Wochen das siebzigste Lebensjahr vollendet. Fern der Heimat hat er den Tag gefeiert, umgeben von Mitgliedern der eigenen Fa­milie und einigen unentwegt Getreuen. Er hat den Tag ge feiert in den Formen, denen sich noch jeder entthronte Monarch unterwerfen muhte, wenn er nicht durch Verzicht auf dynasti­schen Schein den Verzicht auf Thronansprüche der Kinder und Enkel besiegeln wollte. Wie haben die deutschen Juden, wie haben die von Juden mahgebend beeinfluhten deutschen Zei­tungen das Ereignis ausgenommen?

Mit unverhüllter Gehässigkeit und giftigem Hohn. Mil breitem Behagen hat man jede Einzelheit aufgetischt, die den Gegensatz zwischen Schein und Wirklichkeit in grelle Be­leuchtung rückei^ konnte. Hier und dort allenfalls eine Ge­berde achselziHeNden Mitleids, jenes Mitleids, das verletzen­der wirkt, als offener Hah. Nirgends ein ehrliches Wort wahren Verständnisses für das Schicksal eines Mannes, der es als Pflicht empfand, sich in den Mittelpunkt einer pseudo­höfischen Feier zu stellen, obwohl ihm selbst gewih nicht der Sinn nach trübseliger Maskerade stand. Ist keinem der Federflinken, die! sich in billigem Spott nicht genugtun konnten, die Ahnung aufgedäHmert, dah hier in den Formen eines Jubelfestes im Erum>e ein Opfer gebracht wurde?

N^an hat wieder von der Schuld des Kaisers gesprochen. Darf .m<nt gerade ihm von Schuld reden, in einem Zeit-