90 den eine normale Entwicklung voraüssetzen könnten . Das aber ist bekanntlich nicht immer , ja häufig nicht der Fall . Die angekränkelten , bereit ? verzogenen oder auch nur schwankenden Gestalten pflegen uns tausenderlei Mühen zu bereiten ; ja oft peinigt uns ein einziger Junge mehr als eine ganze Claffe - Es werden durch die mißgeleiteten und geradezu verzogenen Kinder Correctionen und Strafen nöthig ; nicht bloß der natürlich » Leichtfinn der Jugend , nein , auch ' schon ihre vereinzelte Verdorbenheit und Verstocktheit ver - urtheilt uns zu einem Mederbeugen , wodurch der Schwer - purckt unseres Gemüthes auf kurze oder längere Zeit hin - und hergeworfen wird . Jngleichen entmuthigt uns nicht selten die Resultat - lofigkeit unserer Ermahnung , unserer Führung , die uns häufig gerade dann entgegenzutreten pflegt , wenn wir nach allen anfänglichen Anzeichen des Erfolges unserer Thätig - keit am fichersten sind . Ja , wer an der Spitze eines er¬ ziehlichen Ganzen , steht und sich um dieses Ganze bis ins Einzelne hinein bekümmert , wird von tagtäglichen schweren Anfechtungen der Art zu erzählen wissen . Froh und heiter , wohlpräparirt und wohlgestimmt , ja mit den begeistertsten Vorsätzen angefüllt , betritt - der Dirigent - am frühen Morgen seine Werkstatt . Er hat die Alltagsschuhe irdischer Sorgen und Erwägungen ausgezogen ; denn der Ort , wo er steht , erscheint ihm als ein , heiliges Land . Da plötzlich dringen laute Mißhelligkeiten auf ihn ein ; Klagen ertönen von ver¬ schiedenen Seiten über die strauchelnden Gesellen , die sich von der Macht des Geistes und der . Ueberzeugung nicht leiten lassen wollen : Anfragen bei schwierigen Fällen find zu beantworten — * Unangenehmes häuft sich zu Unange¬ nehmem . Dahin ist die - Uneingenommenheit des Kopfes , dahin find Frohsinn und Heiterkeit . Und dennoch find diese verschwundenen Genien festzuhalten ; denn der erste Schritt ins Klassenzimmer ist schon ein verfehlter , wenn er von ihnen nicht begleitet wird . Woher neu wieder schaffen , was momentan verlören . gegangen war , verloren gehen mußte ? Durch nichts weiter , als durch den allergrößten Grad der Selbstbeherrschung . Er ist der allergrößte Grad ; denn leichter ist ' s , die herumirrenden und irrlichterirenden Gedanken wieder auf einen Punkt zu richten , dem schwanken¬ den Willen eine bestimmte Bahn anzuweisen , als die Wogen und den Sturm des Gemüths zu beschwichtigen , jener ' dunkeln Tiefe unseres seelische « Lebens , die der Dichter sehr treffend mit dem Meere vergleicht , mit seinem Sturm , seiner Ebbe , seiner Fluth . Diese Aufgabe zu erfüllen , ist das Sauerste und Anstrengendste im Erzieherleben . Ihr Menschen außerhalb der Schulräume urtheilt gar häufig über die Thätigkeit der - Männer , die innerhalb derselben stehen ; haltet fie für zu wichtig oder unwichtig , für zu poetisch oder zu prosaisch , für zu leicht oder für zu schwer . Wisset denn ihr , die ihr unsere Arbeit eben für keine allzu leichte haltet , daß ihr anstrengendster Factor nicht zu suchen 1 ist in der geistigen Arbeit , die uns reichlich zugemeffen ist , nicht in dem fortwährenden Gebrauch der Lungen und der Stimmbänder , sondern vor Allem in den unausgesetzten Schwingungen und Exaltationen des Gemüthes und in der unumgänglicben und dringenden Aufgabe , Wind und Wellen des inneren Lebens ' eben so oft , eben so schnell wre ent - . schieden und erfolgreich Schweigen und Ruhe zu gebieten . Des Erziehers Seele muß nach des Dichters Wort stets „ im glatten Bette das Wiesenthal hinschleichen , und in dem glatten See müssen ihr Antlitz weiden alle Gestirne . " Je mehr er die schwerste aller Lebensproben , die Selbstbezwingung , bestanden , um desto mehr leuchtet auch in seiner Seele das Ewige und Unvergängliche , erhebt ihn dauernd über das Zeitliche und Vergängliche und alle zeitweilige Jrmmerhaf - tigkeit des Lebens und der einzelnen Menschen . Das ist der Frieden , den die Welt nicht gibt , nach dem aber der Erzieher zu ringen hat , als nach 1 > er köstlichsten Palme . Und sieht er auch , wie die Welt nach vielen Seiten hin gar wenig eingerichtet ist nach denjenigen Idealen , die er seinen Zöglingen vorhält ; ja muß er auch erleben , daß Manche , die zu seinen Füßen saßen , andere Wege wandeln als die , auf welche er hinwies : er wird stets von einem Glauben beherrscht und belebt , von dem er nimmer lassen kann , » Von jkNkm Glauben , der sick , stets erhihtcr , Kalo kühn hrroordrängt , bald geduldig schm egt , Damit das Gute wirke , wachse , fromme , Damit der Tag dem Edlen endlich komme . " Diesen Glauben müssen wir erwerben und behalten . Ec gründet sich auf die Ueberzeugung von der hohen Ab¬ kunft der Menschennatur , von dem Seelenadel unseres Ge¬ schlechts , der da berufen ist , sich immer schöner zu entfalten . Letztere Ueberzeugung thut uns in allen Fällen noth , auch den irrenden und schwankenden Gestalten gegenüber . Wir dürfen unter keinen Umständen das Vertrauen zu ihrem besseren Selbst und die Hoffnung aus den entschiedenen Sieg desselben verlieren , so oft diese Hoffnung ailch von einzelnen Individuen getäuscht werden mag . In unserm Eifer für das Gute unserer erziehlichen Aufgabe überhaupt und das Wohl eines Irrenden und Fehlenden insbesondere lassen wir uns sehr leicht zu voreiligen und zu harten Ur - theilen , zu einer gewissen Schwarzmalerei Hinreißen , und wiederum sind wir zu entzückt und zu sicher Anderen gegen¬ über , die unsere Anerkennung verdienen . Ja , es gibt ex¬ centrische Gemüther unter den von Hause aus zur Er¬ ziehung berufenen Gemüthern , welche die kleine Schaar , die ihrer Leitung anvertraut ist , eintheilen in Engel und Teufel , denen sogar ein und derselbe Mensch heute pechschwarz , morgen schneeweiß erscheint . Der junge Mensch ist in der Regel weder ein Äusbund im Guten noch im Schlechten , sondern so eine Art Mittelding und angethan mit dem Vemögen steten Forschritts nach der guten Seite hin . Sieht man ihn also klar und ruhig an , so trifft man im Ganzen das Richtige . Die eben erwähnten ercentrischen Gemüther verhauen sich gar leicht in Betreff ihrer erziehlichen Ma߬ regeln . Sie brechen , wo sie nur biegen sollen ; sie vereiteln und erregen den Dünkel , anstatt das moralische Selbstge¬ fühl zwar wirksam , aber doch mit Maßen zu heben . Den Menschen zu brechen , d . h . ihn innerlich zu verwunden , sein Ehrgefühl abzustumpfen , seine Lust zur Arbeit an dem innern Menschen , seinen sittlichen Muth zu hemmen oder zu lähmen , ist gar leicht ; jeder einigermaßen kräftige nnd consequente Mann kann dieses leidige Werk mit geringer Mühe und in unglaublich kurzer Zeit vollbringen . Schwer aber ist ' s , jener Devise zu folgen , die an der Spitze dieser Arbeit steht . ES ist dazu zunächst erforderlich , eine große |