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JÜDISCHES GEMEINDEBLATT FÜR DAS GEBIET DER RHEINPFALZ
Nr. 2
den Eintritt dieser noch Außenstehenden. Dem Kulturbund Treue ZU halten, dem Kulturbund neue Mitglieder zu werben, scheint uns gemeinsame Ehrenpflicht aller Juden."
' Dieser Aufruf von allen jüdischen Organisationen in Deutsch« land unterzeichnet, erschien in den letzten Wochen in allen jüd Zeitungen als Auftakt einer Werbeaktion der Kulturbünde.
Das Ziel des jüdischen Kulturbundes.
Im Rahmen dieser Werbeaktion erscheint es wohl auch richtig und wichtig einmal der jüd. Bevölkerung der Pfalz auseinander' zusetzen, was das Ziel eines Kulturbundes ist. Die folgenden Ausführungen sollen über alles ins Bild setzen, über das Angel' nehme, aber auch aufmerksam machen auf die Fehler, auf das, was unbedingt änderst werden muß; denn nur so ist ein gedeih« liches Weiterarbeiten möglich, iso nur kann die große Aufgabe, die sich jeder Kulturbund stellt, restlos erfüllt werden). Es soll geprüft werden warum vielfach einem begeisterten Aufschwung, einem starken Widerhall innerhalb der Gemeinden ein plötzlicher Stillstand folgte, ein merkliches Abflauen des Interesses, eine unbe« greifliche Müdigkeit. Es wird wichtig und richtig sein einmal zunächst, ganz kurz, etwas über die Organisation des Kultur* bundes zu sagen: denn daraus ergibt sich schon, daß die Arbeit eine begrenzte sein muß, keine freie, für den jeweiligen Ort be* stimmte sein kann. Die Organisation der Kulturbünde umfaßt alle Schattierungen und Weltanschauungen innerhalb des Juden* tums, sie ist vielleicht noch die einzige neutrale Organisation, überhaupt, sie ist ein Sammelbecken für Alle, sie soll alle Juden in Deutschland einen in ihren geistigen und künstlerischen, ja auch, in ihren gesellschaftlichen Beziehungen. Der Kulturbund soll zu einem anregenden Heim aller Gemeindemitglieder werden. Im Kulturbund sollen wir immer wieder neue Kraft schöpfen, sollen wir Erholung und geistige Auffrischung finden, im Kulturbund soll vor allen Dingen ein gegenwärtiges, reges, jüdisches Leben herrschen. Vielfach ist es doch so, daß weite Kreise unserer Ge» meinschaft nur noch in der Vergangenheit leben, ein Leben führen, das fast ausschließlich der Erinnerung angehört. „Heute sind es 3 Jahre, daß mein einziger Sohn nach Ercz ausgewandert ist, vorige Woche waren es 2 Jahre, daß wir unser Geschäft verkauft haben, vor 4 Wochen ist meine Tochter mit Familie nach Avig« dor ausgewandert, usf." Diesen Menschen, die sich in Sehnsucht und Herzeleid verzehren, muß etwas gegeben werden, das ihnen das Leben wieder lebenswerter macht. Im Kulturbund sollen alle ohne Unterschied gern gesehene Gäste — nein sollen alle wirkliche Schwestern und Brüder einer Familie sein, sollen alle empfinden, daß noch jüdisches Leben in uns pulsiert, daß wir noch da sind und, daß wir auch bereit sind' für die Gegenwart und für die Zukunft unserem Leben Sinn und Inhalt zu geben. Wir unter» stehen der Kontrolle, wir - unterstehen aber auch dem Schutze des 1 Staates, das ist für uns Pflicht und Recht zugleich. Wir werden beides halten, beides wahren wie bisher. Durch die Nürnberger Gesetze ist klar gesagt, daß die Gesetzgebung nicht etwa erreichen will, daß alles jüdische Leben in Deutschland verkümmert. Man wollte vielmehr gerade durch, diese Gesetzgebung einen Weg finden und schaffen, auf dem ein unbeschwertes, wenn nur ein Neben» einanderleben und nicht Miteinanderleben der, Juden in Deutsch» land und ihrer Umwelt möglich ist. Man kann kein Interesse daran haben und man hat es wohl auch nicht, daß der noch in Deutschland lebende Jude eingeschüchtert mit krummem Rücken hcrumschlcicht und ein Dasein fristet ohne Sinn und Inhalt, ledig« lieh auf ein Ende wartend. Wir sollen unser Eigenleben führen, sollen uns wie körperlich im Sport, so auch geistig und seelisch im jüdischen Kulturbund eine neue Lebensform gestalten.
Will man sich ein klares Bild schaffen, was der Kulturbund im allgemeinen leistet und was er sich als Aufgabe gestellt hat, so muß man sich kurz die Situation bis und im Jahre 1933 vor Augen führen. Die Juden in Deutschland haben immer ein sehr starkes Interesse für künstlerische Veranstaltungen jeder Beziehung gezeigt. Es ist kein Vorwurf für uns, wenn man festgestellt hat, daß Juden eifrige Besucher von Theatern und Konzerten waren, es beweist nur, daß das Interesse für die schönen Künste immer in gesteigertem Maße in der jüdischen Bevölkerung da war. Wir dürfen diesen Maßstab auch auf die Pfalz anwenden, wir wissen zu gut ein wie starkes Kontingent als Abonnenten in Theater und Konzerten die Juden stellten. Soweit die passive Seite. Die
aktive Seite ist nicht anders gewesen. Wir haben Juden überall gefunden, am Theater, als Musiker, am Dirigentenpult, als Sänger, als Regisseur usw. Und nun kommt das Jahr 1933. Eine Welt bricht für uns zusammen, wir Juden sind isoliert. Dem Künstler ist dje Bühne, das Pult, der Konzertsaal versperrt, dem Interessierten sind die Theater« und Konzertsäle mehr oder weniger verschlossen. Hier hat dann die Tätigkeit des Kulturbundes schlagartig ein« gesetzt. Einmal galt es den jüdischen Künstler vor Not und Elend zu schützen, zum andern aber dem jüdischen Menschen Ersatz) zu bieten. Jetzt also sollte man durch die äußeren Vorgänge viel» fach erst aufmerksam gemacht zu einer neuen Form zivilisatorischer, kultureller und seelischer Gesamthaltung kommen. Der Kultur* bund als Organisation - sollte nun dem jüdischen Menschen in Deutschland ein neues Kulturleben erschließen. Er war dabei immer auf die festgelegten Bestimmungen angewiesen, mußte seine ganze Aufbauarbeit also begrenzt durch die gegebenen Tatsachen be« ginnen. Es sollte an Stelle des Gewohnten ein 'Neues, etwas Jüdi« sches treten. Es fehlte bis dahin doch fast vollkommen das Wissen um die Grundlagen des Judentums, seiner Literatur und Ethik, es fehlte der Sinn für die Eigenkultur der Juden in östlichen Ländern, es fehlte jeder Glaube an die Existenz gegenwärtiger Kulturmög* lichkeiten aus dem Geist jüdischen Wesens heraus. Schon lange vor 1933 wurde vielfach der Versuch gemacht zu deutscher Kultur der Juden in Deutschland das Geschenk jüd. Tradition -zu ver» mittein. Wir haben ja auch bei uns wie allenthalben in der Nachkriegszeit diesen Versuch in den jüd. Jugendbünden gemacht. Wenn auch vereinzelt einzelne Führer erstariden, sie blieben meistens Einzelerscheinungen mit kleinem 1 oder sehr geringem An» hang. Vielfach glaubte man doch den Bedürfnissen nach jüd. Kulturarbeit und jüd. Kulturinteresse schon dadurch 'gerecht zu werden, daß man sich einmal „die 5 Frankfurter" ansah, oder bestenfalls an einem literarischen Abend auch ein Gedicht eines jüdischen Schriftstellers rezitierte. Das war das jüdische Leben in Deutschland bis 1933 und so war auch das jüd. Publikum bis 1933. Vertraut mit der Kunst mancher Völker, mancher Jahr» hunderte, beglückt an diesem Reichtum teilhaben, 'mitarbeiten zu können, ohne .jede Sehnsucht nach einem -eigenen jüd., Stil; — denn man hatte ja alles was man brauchte. Vollkommen interesselos für jüdische Dinge auf allen Gebieten. So ruhig, so unbeirrt, so'"überraschend zugleich traf die deutschen Juden die neue Gesetz» gebung, die wie bereits erwähnt, aus «allen Theatern, aus allen Konzertsälen, wissenschaftlichen Anstalten, jüdische Künstler, Ge» lehrte und Geistesarbeiter entfernte. In diesem Augenblick gab es nicht lange Diskussionen, nicht lange Erwägungen, welcher Weg beschritten werden soll, jetzt mußte augenblicklich gehandelt wer* den. So ist der Kulturbund entstanden als eine wahre Not» und Schicksalsgemeinschaft und hat dadurch sofort eine ganz bestimmte Aufgabe rasch zu erfüllen. Es galt unverzüglich den brotlos ge» wordenen jüd. Künstler vor der ärgsten Not zu schützen, indem man ihm die Möglichkeit gibt vor einem jüdischen Publikum sich zu betätigen.
Das 'war kein leichtes Beginnen. Mit einem gewissen, be» rechtigten, inneren Groll ist der jüdische Schauspieler, Musiker, Regisseur etc. an diese neuen Aufgaben herangetreten. Einer großen Welt hat er bis jetzt angehört, Städte haben ihm zugejubelt und jetzt soll dieser gleiche Künstler plötzlich vor einem ganz be* stimmten Kreis nur noch sein,e große Kunst beweisen können. Für diesen jüdischen Künstler ist in jener Zeit gewiß seine Welt vollkommen in sich zusammengebrochen. Müde, resigniert und ohne innere Freude ging er zunächst ans Schaffen. Sehr bald aber schon empfanden diese Menschen, daß sie eine hohe Mission zu erfüllen haben, daß es eine höchste Aufgabe für sie ist, Menschen, die isoliert in einer Umgebung leben durch ihre begnadete Kunst aus Verzweiflung und niederdrückendster Verzagtheit emporzu* reißen und ihnen, gerade ihnen neue Lebensfreude einzuflößen). Mit einer beispiellosen Begeisterung hat der jüd. Künstler seine Sendung erkannt und für seinen Kreis nicht etwa „auch gewirkt", sondern mit soviel Liebe und soviel Schwung seine Leistungen nun erst zu einem Höchstmaß gesteigert. Diesem jüd. Künstler stand ein gleiches Publikum gegenüber und steht leider auch heute vielfach noch ein jüd. Publikum gegenüber, das diesen inneren Groll noch nicht überwunden hat. Die Menschen, die einst die Parketts der Theater« und Konzertsäle füllten, glaubten und glauben,
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