Jüdisches Gemeindeblatt

für das Gebiet der Rheinpfalz

Organ des Verbandes der israeli- A tischen Kultusgemeinden der Pfalz

JL

_ Herausgeber: Verband der israel. Kultusgemeinden der Pfalz, \r \r Angemeldet beim Sonderbeauftragten des Rcichsministers für

Landau, Pfalz. Verlag: Heinrich Wildmann, Philippsburg. ^La^A Volksaufklärung und Propaganda betr. Ueberwachung der

Verantwortlich f. d. Inhalt: Kurt Metzger, Landau, Glacisstr.9 « geistig und kulturell tätigen Juden im deutschen Reichsgebiet

Erscheint monatlich 1. Februar 1938 / mm N TW \2T\ 'CN"' 1« Jahrgang / Nr. 6

Ein Brief aus Erez Jsrael an c

Von Dr. Julius M < Mit Dankbarkeit empfange ich regelmäßig das neugegründete Gemeindeblatt für die Juden in der 'Rheinpfalz. Aus dieser Juden' Schaft entsprossen, durch teuere Banden wie durch die Nähe meines früheren Wohnortes mit ihr dauernd verknüpft, verfolge ich mit wehmütigem Interesse die Nachrichten von dem Auseinanderfallen blühender Gemeinden, von dem Schwund der jüdischen Bevölkerung in Stadt und Land. Mit einem fast körperlichen Schmerz las ich die Mitteilung, daß die jüdische Volksschule in Rodalbe,n, meiner Heimat, aufgelöst wurde,unsere" undmeine" Schule, an der mein Vater, selbst ein ehemaliger Schüler dieser Schule. Jahrzehnte lang als Lehrer wirkte, und wo ich von ihm die ersten Saatkörner kind liehen Wissens empfing. Die Eindrücke, die ich in der jüdischen Schule erhielt, waren so tief, daß ich in meinem ganzen Leben ein Anhänger der jüdischen Volksschule geblieben bin auch in Zeiten, in denen die Erhaltung einer jüdischen Schule innerhalb der Juden« heit Deutschlands als Reaktion und Rückschritt galt, wo doch bür* gerliche Freiheit und gesetzliche Gleichberechtigung der Judenheit ermöglichte, ihre Kinder den allgemeinen, kontessioncll'gemischten Schulen zuzuweisen. Wie oft habe ich im engen Kreis der Familie, meinen Kindern und Enkeln, und darüber hinaus in der jüdischen Oeffentlichkcit die Vorzüge der jüdischen Schule gepriesen und an der Hand treulich bewahrter Lehr* und Lesebücher gezeigt, wie sich dort allgemeine und speziell jüdische Bildungselementc geradezu selbstverständlich vereinten - zu einem harmonischen Ganzen. Die Lehrweisc und die geistige Atmosphäre einer solchen jüdischen Schule ließen sich nie ersetzen durch den sogen. Religionsunterricht, wenn ich auch gerade an dieser Stelle gern bekenne, wertvolle Kenntnisse und Anregungen meinem Religionslchrcr im Gymnasium, dem Rabbiner Dr. Elias Grüne bäum in Landau, zu verdanken. So habe ich mich zu allen Zeiten gegenüber einer anders denkenden Umwelt zur jüdischen Schule bekannt. Und indem ich der jetzt verschwundenen jüdischen Schule meines Heimatortes diese Worte des Abschieds widme, wird mir bewußt, wie Anfang und Ende meines Lebens, Kindheit und Alter sich runden zu einer Einheit. Ja, mir ist, als ob diese Geschlossenheit eines Lebensweges, der seinen Ausgang nahm von der jüdischen Schule, an keinem Ort und zu keiner Zeit sich so .bewährt hat als seitdem ich wurzele in diesem Land^, d*?m Lsndc Israels« Man nennt v.nser l.'nd da?Hei« lige Land", weil hier die großen geschichtlichen Ereignisse unseres Volkes sich abspielten, und es ist aufs neue geheiligt durch die jü­dische Arbeit, die den alten Boden zur neuen Blüte brachte, und durch die Opfer, die das neue Leben im alten Land verlangte. Aber dieses heilige Land ist ein sprödes, hartes Land, das sich nur dem gibt, der es mit Liebe umfängt. Diese Liebe ist das Fundament jegli* eher Bewährung. Und gerade jetzt, in einer Epoche der Unruhen, deri schweren Wirtschaftslage, der Ungewißheit über die künftige po» husche Gestaltung gilt es, sich zu bewähren. Für die in den letzten Jahren zugewanderten Juden aus Deutschland ist es vielleicht am schwersten, die Probe zu bestehen vor sich selbst und vor der Ge» schichte. Viele von ihnen sind gekommen in den Jahren der söge' nannten Prospcrity 'wirklich nur sogenannten, da in einer jungen' Kolonialwirtschaft in Perioden der aufsteigenden Kurve schon die Zeichen des Rückschlages sichtbar sind sie strömten herbei in voller Unkenntnis der Verhältnisse, in Unwissenheit über die unsäglichen Mühen und Leiden', die der Aufbau erforderte, aber

las Jüdische Gemeindeblatt

s e s in Tel»Aviv.

auch ohne die geschichtliche Bewußtheit, ohne die seelische Ver» bundenheit Jetzt sind sie enttäuscht; der Zauber des schönen Landes, das ihnen sofort Ilcimatrccht und l leimatgefühl verlieh, ist verflogen. Das menschliche Gedächtnis ist kurz für unange» nehme Erlebnisse. So sind auch vergessen die Beschwernisse, Sorgen und Leiden eines grausamen, vierjährigen Krieges, vergessen die wirtschaftlichen Unsicherheiten der Inflationszeit. Fest haften nur die Erinnerungen an die verhältnismäßig kurze Zeit, in dem das Leben sich zu einem Wohlleben erhob und die Schraube des Lebens» Standards immer höher angezogen wurde. Und doch waren einmal alle jene, die ohne äußere und innere Vorbereitung sich hier nieder» ließen, überrascht, statt eines verödeten Landes blühende jüdische Kolonien zu finden und stattasiatischer" Zivilisationslosigkcit Städte, in denen auch die verwegensten Ansprüche an das materi­elle und kulturelle Leben befriedigt werden konnten.

Es geht heute wie eine Scheidewand durch den neuen Jischuv hindurch. Es -trennen sich von denen, die nur eine gute Gelegenheit beim Schopf greifen wollten, die anderen, Gottscidank auch im Lager der deutschen Alijah zahlreichen Menschen, die ihre ganze histori» sehe Verpflichtung unserem Land und unserem Volk gegenüber empfinden. Sie erkennen mit Stolz, daß alles Große, was in kaum zwei Jahrzehnten geschaffen wurde, jüdischen Händen und jüdi» schem Geist seine Entstehung verdankt, sie stellen mit Befriedigung fest, daß auch in den Jahren der politischen und wirtschaftlichen Spannungen gar nichts von jenen Schöpfungen preisgegeben wurde, ja daß inmitten der Unruhen neue Positionen geschaffen wurden, über zwei Dutzend neuer ländlicher Siedlungen, der Hafen von TeUAviv, Werke wirtschaftlicher Selbsthilfe aller Art. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Zukunft sind die erfolg' reichen Bestrebungen des inneren Zusammenschlusses innerhalb der seither getrennt marschierenden Gruppen von Bauern und > Bürgern Die Arbeiterschaft, straff Organisiert, Vhat staunenswerte Werke der Eigenhilfe in der Krisenzeit aufgerichtet, i

Aber noch herrscht die wirtschaftliche Krise, noch sind unge* klärt die politischen Verhältnisse. Auch in alten, gefestigten Staaten wechseln Flufc und Ebbe im Wirtschaftsleben ab. Wir werden wieder hochkommen, da wir über alle Mittel des Aufstiegs verfügen, über die wirtschaftlichen Mittel, aber auch über die menschlichen und ideellen Kräfte, die eine Wiederbelebung verbürgen. Nur über die politische Lage sind wir noch nicht selbst Herr. Englische Politik ist für Nicht»Engländer nicht immer leicht verständlich. Das zeigt sich nicht nur in Palästina, sondern auch in den großen Gegenwarts» fragen des Weltgeschehens. Trotz mancher Belastungen und Ent» täuschungen ist das Vertrauensverhältnis zwischen England und dem Jischuv unerschüttert. Wer, wie ich, die ganze Geschichte dc'p modernen politischen Zionismus miterlebt hat, kennt den Tiefgang dieser gegenseitigen Beziehungen. . 1

Das innere Leben im Jischuv ist voller Rauhigkeiten und Un» ausgeglichenheit. Aus freiem Antrieb oder aus Zwang sind Men» sehen aus allen Erdteilen, Menschen von verschiedener Wcftan» schauung und Lebensführung zusammengekommen; der Amalgamic» rungsprozeß hat sich noch nicht vollzogen. Aber es liegt so unge» heuer viel Reiz» und Wertvolles in dem Ringen um eine Einheit» lichkeit, um die Hochzüchtung jüdischer Ethik und Kultur.