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Seite 2 JÜDISCHES GEMEINDEBLATT FÜR DAS GEBIET DER RHEINPFALZ Nr. 6

Wer abseits steht, weil er sich zum Verschmelzen für zu gut halt oder weil er die schwierige hebräische Sprache nicht erlernen will, begibt sich des schönsten seelischen Besitzgutes. Er wird sich aus der Emigranten«Psychc nicht herauswinden. Aber seine Kinder werden einmal volle Bürger des Landes sein.

So vollzieht sich vor unseren Augen stündlich und täglich ein Streben und Kämpfen, ein Auf und Ab der politischen und wirt« schaftlichen Bewegung, ein Bauen und Gestalten, eine vollge« ladene Dynamik des Lebens auf kleinem, aber eigenem Raum. In diesen Intercssenkrcis hineingestellt zu sein, an dieser Neuformung

eines nationalen Lebens in bescheidenem Umfang mitwirken zu können, empfinde 'ich als eine Begnadung meines Alters.

Und damit wendet sich mein Blick zurück auf den Ausgangs« punkt. Die Keime zu einer Lebensauffassung, die mich befähigte, hier vor mir selbst und vor dem Land zu bestehen, wurden dort gelegt, von wo diese Blätter zu mir wandern. Und ich gedenke noch einmal jener jüdischen Schule, die jetzt der Geschichte angehört, in der ein Ruhmesblatt geziert ist mit dem Namen meines ersten Lehrers, der mich hineingeführt hat in das Menschsein und Jude« sein, meines seligen Vaters.

Erklärung des Präsidialausschusses und Rates der Reichsvertretung

der Juden in Deutschland.

Di« Reichsvertretung der Juden in Deutschland hat in Zu» sammenarbeit mit den jüdischen Landesverbänden, Gemeinden und Organisationen sich bemüht, den Raum, der den Juden in Deutsch' land geblieben ist, mit Sinn und Inhalt zu erfüllen, In ihren Maß' nahmen durfte sie sich auf die Zustimmung und Mitwirkung des weitaus größten Teils der Judenheit in Deutschland stützen. So hat sie den geschichtlichen, oft so schwierigen Umwandlungspro« zeß auf fast allen Gebieten des jüdischen Lebens maßgebend bc einflußt.

Seit Jahren steht die Auswanderung, die Schaffung von Ein» fichtungen, die ihr und ihrer Vorbereitung mittelbar oder unmittel' bar dienen, im Vordergrund des Sorgens und Handelns der Reichs' Vertretung. An die Stelle der unruhigen und ziellosen Auswande' rung wurde mehr und mehr das Prinzip der Ordnung und Planung gesetzt.

Die Reichsvertretung sieht es als ihre Pflicht an, auch dem Verlangen nach Beschleunigung der Auswanderung Rechnung zu tragen. Sie sieht sich aber genötigt, vor übertriebenen Erwartungen zu warnen. Die Möglichkeiten der Auswanderung hängen nicht nur von ihrem Willen und der Arbeit der Wanderungsorganisatio« nen ab, sondern vor allem von der Bereitwilligkeit der anderen Länder, ihre Tore für die Juden aus Deutschland, ebenso wie auch für die aus Osteuropa, offen zu halten. Darauf hat aber die Reichs' Vertretung keinen bestimmenden "Einfluß. Sie kann nicht Wunder tun und sie vermag nicht, die Bedingungen, die ihrer Absicht in der Welt entgegenstehen, zu ändern. Bei einer planlos sich voll' ziehenden Auswanderung kann sie eine Verantwortung für ihren geordneten Vollzug nicht übernehmen.

Die Reichsvertretung richtet in 'dieser Stunde einen Appell an die Palästinareglcrung, den Juden in Deutschland, vor allem den

ausgebildeten jungen Juden, die sich für den Aufbau Palästinas einsetzen wollen, den Weg dorthin nicht zu verlegen. Sie richtet ihren Appell an die überseeischen Länder, insbesondere an die mit dünn besiedelten Gebteten, durch Gestaltung und Handhabung der Einwanderungsbestimmungen eine größere Zahl nützlicher Ein« wanderer aufzunehmen.

Ein erheblicher Teil der in ihrer Zusammensetzung stark über« alterten Judenheit in Deutschland ist auswanderungsunfähig und wird seine Tage in Deutschland beschließen müssen. Soll er nicht der öffentlichen Wohlfahrt anheimfallen, so dürfen ihm die Erwerbs« wege nicht völlig verschlossen werden. Auch die Fortsetzung ge« ordneter Auswanderung und nur diese hält die Einwänderungs* tore auf die Dauer offen ist nur möglich, wenn die wirtschaftliche Existenzfähigkeit der, Juden in Deutschland nicht noch weiter ge« schmälert wird. Nachdem die Juden aus dem staatlichen, kultur­ellen und gesellschaftlichen Leben und aus allen führenden wirt« schaftlichen Stellungen ausgeschaltett sind, bitten wir deshalb die Reichsregicrung, daß der Verringerung der Erwerbsmöglichkeit für die Judenheit in Deutschland Einhalt getan werde. Wir hoffen ferner, daß die Möglichkeit des persönlichen Verkehrs zwischen den Ausgewanderten und ihren Angehörigen, die in Deutschland zurückbleiben müssen, nicht unterbunden wird.

An die Juden in Deutschland wendet sich die Reichsvertre* tung mit der Bitte, Geduld zu bewahren und angesichts der ge« steigerten Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht müde zu werden. Ohne Lebensmut und Selbstachtung sind unsere Aufgaben nicht zu lösen.

In der Erwartung, daß diese Erklärung mit Verständnis, Ver­trauen und Hilfsbereitschaft beantwortet werden wird, verbindet sich die Reichsvertretung mit jedem einzelnen Juden in Deutschland.

Grundsätzliches zur Berufswahl.

Die Berufsentscheidung gehört zu den wichtigsten Entschei» düngen im menschlichen Leben, der Beruf weist dem einzelnen Menschen seine Stellung im sozialen Organismus zu, bestimmt sein wirtschaftliches Schicksal und legt auch die Lebensbedingungen der Angehörigen des Berufstätigen fest.

Die Berufsentscheidung des Einzelnen übt aber auch ihren Ein' fluß auf das politische Schicksal der Gemeinschaft aus, der er ange hört. Diese Erkenntnis wurde uns Juden durch das Geschehen der letzten Jahre besonders deutlich vermittelt.

Die Anomalie des jüdischen Lebens findet unter anderem auch darin ihren Ausdruck, daß die Vorwerfbarkeit der Berufsausbildung bedeutend stärker eingeschränkt ist als bei anderen Gemeinschaften.

Die Ungewißheit über den Ort, das Land der Ausübung des künftigen Berufes, kennzeichnet die eigentümliche Schwierigkeit, in der sich die jüdische Jugend in ihrer Berufswahl befindet. Es ist zwar richtig, daß der Inhalt der einzelnen Berufstätigkeiten in den verschiedenen Teilen der Welt nicht wesentlich von einander abweicht, daß ein Maurer in Palästina ähnlich arbeitet wie in Argen» tinien, ebenso richtig aber ist es, daß die Berufsvorbereirung sich nicht auf die eigentliche Fachausbildung beschränken kann und daß auch die sprachliche und kulturelle Einführung in den neuen Lebens» kreis unentbehrlich ist.

Der von der Logik vorgezcichnctc Weg der Berufsentscheidung kann aber nicht zu Ende gegangen werden, weil der für eine auf Auswanderung eingestellte Jugend besonders wichtige geo» graphische Faktor nicht beständig, sondern mindestens zur Zeit stets wechselnd ist. Wie bei* einem großen Stellwerk schließen sich dauernd eben noch offene Gleise und öffnen sich überraschend leider nur selten solche, die lange Zeit nicht befahren wurden.

Wer sich noch eben in voller Fahrt zu einem aussichtsreichen Ziel befand, steht plötzlich auf einem toten Gleis, von dem es nur noch einen Weg zurück gibt, um wieder von vorn anzufangen.

Dabei aber handeln die Menschen im Stellwerk nach einem vorher aufgestellten, einheitlichen Plan, der nur den einzigen Zweck verfolgt, den Verkehr aufrecht zu erhalten und zu erleichtern, während die Wcichensrellung für den jüdischen Auswanderer aus Deutschland nicht nur von dem Zentralstellwerk der Auswande» rungsplanung, sondern gleichzeitig von jedem Einwanderungsland her und oft genug mit dem Ziele erfolgt, dauernde Schranken auf« zurichten, den Verkehr für lange Zeit unmöglich zu machen.

Das ist z. B. bei der Landwirtschaft der Fall. Wegen der sozi« alen Bedingungen der Ausübung des landwirtschaftlichen Berufs kommt dieser Beruf mindestens zur Zeit nur für solche Menschen in Betracht, die sich für ein Leben in Palästina oder in einem an« deren Lande vorbereiten, in dem sie sich auf eine große leistungs« fähige und leistungswilligc jüdische SiedlungS'Gesellschaft stützen können.

Umgekehrt kann, wer sich für ein Leben in Palästina cntschlos« sen hat, nur einen solchen Beruf ergreifen, für den vom Standpunkt des Aufbaus einer jüdischen Volkswirtschaft im Lande ein Bedarf ist.

Für die Berufsentscheidung sind die gesellschaftlichen Bcdin« gungen der künftigen Ausübung des Berufes von wesentlicher Bc deutung. Es geht dabei also um die Frage, ob der Beruf betätigt werden kann in einem Lande mit einer gut organisierten Wirtschaft, mit staatlich geregelten Arbeitsbeziehungen wie in Australien oder in einer Konkurrenz mit einer nicht der weißen Rasse angehörenden Landarbeiterschaft wie in Teilen Südafrikas, ob in einem industriell hoch entwickelten Lande wie in den Vereinigten Staaten vön Nord»

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