Jüdisches Gemeindeblatt
für die Israelitischen Gemeinden in Württemberg
Verlag und Redaktion:
OSTERBERO & STERNHEIM ISRAELITISCHE VERLAOSANSTALT Fcraipr. 23328 STUTTOART-N Kasernenstr. 13
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RM. 1.13 vierteljährlich, zuzüglich Polt- und Zustellgebühr , Postscheckkonto Stuttgart 38258
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Erscheint
monatlich zweimal, am 1. und 18. Bei Nichterscheinen int. höherer Gewalt bestebt kein Anspruch a. Nachlieferung d. Blattes oder Rückgabe des Bezugigeldes
Angemeldet beim Sonderbeauftragten des Reichs- ministen für Volksaufkllrung und Propaganda betr. Ueberwachung der geistig und kulturell Hilgen Juden Im deutschen Reichsgebiet
XIV. Jahrgang
Stuttgart, den 1. Oktober 1937
Nr. 13
Der Weg in das Galil
Der K.K.L. ist Garant des Aufbaus Erez Israels.
40 Jahre sind verflossen, seitdem Theodor Herzl von der Tribüne des ersten Zionisten- kongresses zum jüdischen Volk gesprochen hat. Heute stehen wir vor folgenschweren Entscheidungen. Der Herzische Traum vom Judenstaat soll Wirklichkeit werden, wenn auch vorläufig in einer Form, die unsern Ansprüchen nicht gerecht wird. Wie auch die Entscheidung ausfallen mag, wir spüren doch, daß in diesem Augenblick die Geschichte uns wiederum eine Chance gibt, einen großen Schritt nach vorwärts zu tum Einwanderung und neue Kolonisation sind Forderungen, die die Judenheit der Galuth an diesen Staat stellen werden und nur diese Judenheit wird imstande sein, die Mittel dafür aufzubringen. Die Last der Erlösung unseres Volkes kann nicht .auf Palästina allein ruhen, sie ist nur dann 'tragbar, wenn das ganze jüdische Volk sein Hejm baut.
Bei der ganzen Diskussion um das Palästinaproblem hat sich herausgestellt, daß die Bodenfrage die Lebensfrage der jüdischen Kolonisation ist. Wir sind gezwungen, den Boden Stück für Stück zu erwerben, denn er gehört den arabischen Eigentümern, die ihre Rechte auch dann nicht verlieren, wenn sie selbst Bürger eines jüdischen Staates werden. Der Regierungsboden beträgt nur etwa 200 000 Dunam, so daß durch ihn der jüdische Landhunger keineswegs gestillt werden kann.
Die Arbeit des Keren Kajemeth Lejisrae!, des Jüdischen Nationalfonds, die nunmehr auf eine fünfunddreißigjährige Tätigkeit zurückblicken kann, muß daher in weitaus größerem Umfange als bisher fortgesetzt werden, wenn wir wollen, daß Millionen von Juden in Palästina leben. Die neue und große Aufgabe ist die Erlösung des Bodens in Obergaliläa und im Hule-Tal. Damit wird ein Gebiet in die jüdische Kolonisation einbezogen, in dem es seit 1917 keine Neugründung von Kolonien mehr gegeben hat. Dieser Landstrich, der sich von der syrischen Grenze bis nach Rosch Pinah erstreckt mit seinen fruchtbaren Tälern und seinen für Ansiedlung geeigneten Berghöhen soll nunmehr seinen Anschluß an das übrige jüdische Palästina finden und für eine umfassende Kolonisation erschlossen werden. Nach dem Vorstoß in die Jordansenke, durch den die Grenze unserer Kolonisation weit hinausgeschoben wurde, soll jetzt Galiläa, das Grenzland nach Norden wieder zu neuem Leben erweckt werden. Hier liegen 420 000 Dunam kolonisierbaren Bodens und nur acht jüdische Dörfer. Heute gibt es in den Zentren der bisherigen Kolonisation einen Kranz von über 200 jüdischen Siedlungen, morgen kann
Helft uns helfen!
Unter dem obigen Leitwort wandten sich die Reichsvertretung der Juden in Deutschland, der Israelitische Oberrat und die jüdische Nothilfe in Württemberg vor kurzem au alle Gemeindemitglieder mit einem Aufruf, der auch der letzten Ausgabe des Gemeindeblattes beilag. In diesem Appell an die Opferbereitschaft unserer Gemeinschaft wurde an Hand eines reichen Zahlenmaterials auf die weitgespannte, bedeutungsvolle Tätigkeit des Zentralausschusses für Hilfe und Aufbau bei der Reichsvertretung der Juden in Deutschland hingewiesen und dessen außerordentliche Leistung für die Juden in Deutschland auf den Gebieten der Wohlfahrtspflege, des Schulwesens, der Wirtschaftshilfe, der Berufsumschichtung und der Wanderung dargetan. An diese Leistungen, die nur durch die verständnisvolle Unterstützung ausländischer jüdischer Hilfsorganisationen und nicht zuletzt durch das Verantwortungsgefühl aller Schichten der jüdischen Bevölkerung In Deutschland ermöglicht wurden, soll auch an dieser Stelle nochmals erinnert werden. „Die Sammlungen des Zentralausschusses*, so heißt es in dem oben erwähnten Aufruf, „wenden sich an diejenigen Menschen unserer Gemeinschaft, denen ein günstigeres Geschick noch die Möglichkeit wirtschaftlichen Erfolges Ihrer Arbeit gibt." Mögen sich die Gemeindemitglleder in Stadt i nd Land, wenn in diesen Tagen bei ihnen um eine Spende für das große Hills- und Aufbauwerk der Juden in Deutschland gebeten wird, ihrer Verpflichtung bewußt sein, mögen sie daran denken, daß die lebenswichtige Arbeit des Zentralausschusses nur fortgeführt werden kann, wenn jeder fühlbare Opfer für seine Gemeinschaft bringt.
der Traum eines jüdischen Galiläa Wirklichkeit werden, wenn wir den KKL. die Mittel zur Verfügung stellen, um im Laufe von 5 fahren erhebliche Teile dieses Gebietes zu er- 'ösen. Die Hule-Konzession, die 1935 der Anfang war, wird erst dann wertvoll sein, wenn es gelingt, das Bergland und die Täler um sie herum zu erwerben. Das ist eine Aufgabe, deren Verwirklichung ausschließlich, von den Juden abhängt und keine politische Entscheidung der Zukunft kann die Erfüllung dieses Planes verhindern, es sei denn, daß wir versagen.
Mehr als 40 000 jüdische Einwanderer aus Deutschland leben in Palästina, 9000 von ihnen haben sich auf dem Lande niedergelassen. Ein großer Teil dieser Einwanderer, darunter eine Reihe von Jugendgruppen, deren Ausbildung bereits beendet ist. warten auf Ansiedlung. Auf die Hule-Ebene und das Galil richten sich zahlreiche Hoffnungen. Die
luden in Deutschland, die durch zahlreiche Bindungen mit F.rez Israel verknüpft sind, haben in den letzten Jähren einen bedeutenden konstruktiven Beitrag für den Aufbau des Landes und insbesondere für die Erlösung des Bo-tens geleistet. Sie haben sich damit ein moralisches Recht auf Ansiedlung erworben und gleichzeitig die bewundernde Anerkennung des Weltjudentums und Palästinas erworben.
Es gilt nunmehr diese Leistungen fortzusetzen und. zu verstärken. In einer Zeit von geschichtlicher Entscheidung für unser ganzes Volk wird das Judentum in Deutschland nicht versagen und die friedliche Eroberung von. Galiläa, mit der eine neue Periode im schöpferischen Aufbau unserer Heimstätte beginnt, wird hier nicht ungehört verhallen.
Die diesjährige Rosch-Haschanah-Aktion, die der Keren Kajemeth traditionell jedes Jahr durchführt und bei welcher Gelegenheit er an sämtliche Juden herantritt, um sie an die Er; lösung des Landes zu mahnen, soll unter der Parole „Hagalilah" durchgeführt werden. In allen Ländern, wo sie bereits begonnen und durchgeführt wurde, hat sie den stärksten Widerhall gefunden. Jeder Jude wird es verstehen, wenn wir seine Mitwirkung fordern zu unserer nächsten historischen Aufgabe. Sicherung des Grenzlandes in Nordpalästina durch Erlösung des Bodens im Galil!
Die jüdische Mutter
Aus dem Einleitungskapitel des Buches „Jüdische Mütter" (Vortrupp-Verlag, Berlin).
Eine Mutter darf ihr Kind schelten, sagt man bei uns, ä*ber wehe dem Fremden, der es wagt!
Und wer dürfte es wagen, die Mutter zu — loben? Der Fremde . ..? Sind wir so fremd geworden, daß wir anfangen — müssen die Mutter zu loben? Wir sind unterwegs, und wenn es ein guter Tag ist, so ist es der Heimweg „zu den Müttern". Wir hatten uns verloren, und wie könnten wir uns selbst wiedergewinnen, wie könnten wir heimfinden, wenn wir nicht unsere Mütter wiederfinden ...
Wir haben nicht bloß in der Psychologie und Literatur eine „Vatermord'-Epoche hinter uns. Sollen wir sie durch einen Mutterkult wiedergutmachen? Aber unsere Mutter war nie eine Madonna, und so wenig wir meinen, durch eine Erbsünde zur Welt gekommen zu -sein, so wenig sollen und wollen wir, die uns das Leben gab, in die Unerreichbarkeit des Himmlischen entrücken. Auf Erden sollen wir sie ehrfürchten, nicht in den Himmel hinauf heiligsprechen, zu lieben, nicht zu loben sind wir da» Unsere Mutter ist keine Göttin, vor deren Bild wir niederknien, aber wir stehen auf. wenn sie ins Zimmer tritt, ein