so absurd mag heute noch vielfach die Idee erscheinen, daß
Gewöhnung an gemeinsames Nacktsein nicht aufregend, sondern abregend, seelisch abkühlend wirkt. Mit Nacktheit allein sei freilich der zweifellos vorhandenen großen sittlichen Not nicht beizukömmen. Geschickte Aufklärung von klein auf, frühe Erwerbsmöglichkeit, um ' früh a zur Ehe schreiten zu können, luftige Wohnung, reizlose Kost, Alkohol und Nikotinabstinenz, befriedigende Tätigkeit, geistige und künstlerische Interessen, Zugehörigkeit zu einer sittlich hochstehenden Jugendgruppe, herzhafte, ermutigende Vorbilder ringsum: all das muß zusammenkommen, wenn das Kunststück, das Kunstwerk des Lebens gelingen soll. Im Plenum entspann sich ein heftiger Kampf tan das Problem Eros und Verantwortung. Und wenn man auch hier eine Vision von Lösungen der Not sah, in der man sonst versinkt, dann ist das dieser unbedingten Ehrlichkeit, dieser Kameradschaftlichkeit zuzuschreiben, die alle in ihren Bann zwang.
Von der jüdischen Jugend der Welt hat wohl nur die palästinensische Notiz von diesem Weltjugendtreffen genommen, die in einem Begrüßungsschreiben ihre Sympathien ausgedrückt hatte. Ueber eine prozentual schlechte Beteiligung jüdischer Köpfe — selbst aus Amerika — kann ich nicht klagen. Leider wird aber als einzige jüdische Organisation nur unser Verband vertreten gewesen sein. Wenn -unser Verband auch durch eine würdigere Person vertreten sein durfte, als durch den, der ihn vertreten mußte, dann tut mir das des Verbandes wegen leid. Daß ich daran teilgenommen habe, tut mir weniger leid, denn es war für mich ein außerordentliches Erlebnis.
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Im Anschluß an vorstehenden Bericht unseres Vertreters bei der Freusburg-Tagung veröffentlichen wir noch folgenden, sicherlich für alle Freunde besonders interessanten Brief von Kurt Hirsch, Hamm,
Die Schriftleitung.
.....Ihr habt mich gebeten, meinen ersten Freusburg-Bericht noch in einigen Punkten zu ergänzen. Ihr wünscht vor allem noch mehr aus der Arbeit der Lebensanschauungs- und religiösen Arbeitsgemeinschaft zu hören. Es ist nun gerade das Neue und Ueberraschende des Weltjugendtreffens auf der Freusburg gewesen, daß sich über die Arbeit der Arbeits-* gemeinschaft für Lebensanschauung und Religion nicht mehr sagen läßt als ich bereits berichtet habe. Gerade sie war nämlich die erste und einzige, die auseinanderflog. Und der Grund dafür lag nicht so sehr in den Gegensätzen, die sich hier schnell und stark bemerkbar machten, als in dem aktivistischen Grundwillen der Freusburg-Tagung, der scharfen und unromantischen Zuwendung zur Wirklichkeit. Ich war im Anfang sehr überrascht, nichts mehr von der Sentimentalität der älteren deutschen Jugendbewegung zu finden. Ich glaube, daß die Freusburg-Tagung den Schlußstein gesetzt hat hinter eine Jugendbewegungszeit, die durch eine sentimentale Beschaulichkeit und romantischen Passivismus charakterisiert ist. Vielleicht lag das stärkste weltanschauliche Bekenntnis der Tagung, d. h. der deutschen und europäischen Jugendbewegung von heute in der Zuwendung zur Politik und der ihr nicht fernstehenden Pädagogik und in der Abwendung von den Versuchen, die heutige Welt nach Gesetzen zu ordnen, die ihr nicht immanent sind. Dieser praktische, klare, bestimmte Wille war das außerordentlich Neue und Starke, was die Teilnehmer der Tagung ohne Ausnahme in seinen Bann schlug. Es ist auch meine Ueberzeugung, „daß Nikolaus Ehlen zwischen seinen doppelten Bindungen, der an seinen Glauben und der an die Zeit und ihre größte Not, eine wahrhaft tragische Gestalt nur war", wenn es auch manchmal so schien, als ob er die Seele des Ganzen wäre.
Wir, die jüdische Jugend, müssen diese Situation erkennen. Entschuldigt, wenn ich es für wichtiger halte, euch darauf aufmerksam zu machen, daß die Jugend anderer Lager daran ist, ein neues Ziel und Arbeitsfeld zu finden, und daß es auch Zeit für uns ist, den Anschluß an diese ganz praktisch eingestellte Jugend zu finden. Der Ruf Max Gellhorm in seinem Bericht
über da* süddeutsche T-«Ren in Eberbacn m, ,
Pathos ist nicht unberechtigt. Ich möchte wünschen, daß er nicht „ziemlich vereinzelt dasteht". . Aber — ich will ja'nicht ganz der Versuchung erliegen, die Stellung unseres Verbandes an dem Neuen zu messen, das auf der Freusburg sich zum ersten Male zeigte. Ich w 11 nur hoffen, daß wir der Wendung der nichtjüdischen Jugend zu folgen wissen, wie wir es bisher • langsam, aber sicher, auch immer gemacht haben, so daß sich auch unser Verantwortungsgefühl für die Fragen des Tages mehr steigert und damit nicht unsere unmittelbare Wirkung im Gesamtleben des Judentums gleich Null ist.
Anschließend an die. Freusburg-Tagung fand in Chevreux (Frankreich) ein großes internationales Jugendtreffen statt. Von Teilnehmern an dieser Tagung hörte ich, daß die Judenfrage auch einen Vormittag die Menschen beschäftigt hätte . .
Die Gewinnung der jüdischen Studenten zur Mitarbeit im lugeldbunde
Von stud. jur. Heinz Gerling, Görlitz.
Dem jungen jüdischen Studenten, der fremd in eine Universitätsstadt kommt, geschieht etwa folgendes: Zwei oder drei Tage, nachdem er auf dein, Sekretariat der Universität seine Personalien zur Immatrikulation angegeben hat, wird er von einem Chargierten des K. C. besucht, der ihm kurz die Ziele dieser Verbindung auseinandersetzt und ihn einlädt, an einem der nächsten Abende an einer Zusammenkunft teilzunehmen, sich den Betrieb einmal anzusehen und eventuell dann- einzutreten. Eine ähnliche Einladung geht ihm vom K. J. V. zu. Aus den verschiedensten Gründen kann er sich nun entschließen, diesen Einladungen nicht Folge zu leisten oder aber jedenfalls in keine der jüdischen Verbindungen einzutreten. Entweder er sieht sich die Sache an, und der Betrieb oder die Menschen sagen ihm nicht zu. Oder er ist nicht in der Lage, die finanziellen Opfer, die das Korporationsleben fordert, zu bringen. Oder er will sich gesinnungsmäßig nach keiner Seite hin festlegen. Schließlich, und das ist bei den meisten der Fall und kommt oft ausschlaggebend zu einem der anderen Gründe hinzu, ist es möglich, daß er den äußeren Zwang des Korporationslebens nicht auf sich nehmen, daß er sogenannter Freistudent bleiben will. In ganz wenigen, vereinzelten Fällen ist dieser Wille zur Freistudentenschaft gleichbedeutend mit einer Ablehnung jeder Gemeinschaftsbindung überhaupt. In der Regel kann jemand, der den Korporationen ablehnend gegenübersteht, durchaus bereit sein, in einer anderen, freien Gemeinschaft, sofern sie ihm nur sonst zusagt, mitzuarbeiten. In sehr vielen Fällen wird sich der jüdische Freistudent sogar nach einer solchen Bindung sehnen, denn seine Lage in den ersten Wochen des Semesters ist oft durchaus nicht beneidenswert. Ist er das erste Mal von zu Haus fort, so leidet er allein in der fremden Stadt oft unter Heimweh, und es ist für ihn auch durchaus nicht so leicht, den richtigen Anschluß zu finden, wie man sich das vielleicht vorstellt. Abgesehen davon, daß es überhaupt nicht jedem gegeben ist, sich so schnell anzufreunden, und daß die Ver
schlosseneren meist auch
der junge Mensch in begreiflicher Unsicherheit sich in sich
selbst zurückzieht und all
kennt den Antisemitismus besonders vorsichtig, weil
die Wertvolleren sind, daß ferner
s andere als entgegenkommend ist,
kommt als gravierendes Moment noch sein Judesein hinzu. Er
an den Universitäten und ist ganz er ja niemals genau wissen kann, an wen er kommt. • Es setzt dann 'das sehr komisch wirkende, aber im Grunde psychologisch verständliche und für unsere Lage bezeichnende „Suchen nach Glaubensgenossen" ein. In den Kollegs beschäftigt man sich damit, von einem Menschen»- der einen interessiert, herauszubekommen, ob er wohl Jude ist, in Gesprächen beginnt m: n vorsichtig die Fühlhörner auszustrecken, und die Kunst, die man anwendet, bis man endlich heraus hat, daß man zueinander gehört, ist so groß, daß der gewiegteste Diplomat etwas davon lernen könnte. In den Grundzügen ebenso, nur durch den Wegfall der Vereinigung in Korporationen noch ers< hwert, ist die Lage der studierenden
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