uns die Eignung und die Neigung iür einen bestimmten Bcrui entgegen. Die Auslese nach diesen beiden Richtungen hin ist verhältnismäßig leicht. Es soll zunächst abgesehen werden von der Betrachtung einer an vielen Stellen geübten apparativen Prüfung der Berufseignung des einzelnen, die leicht zu einer schematisierten Wahl des Berufes führt, weil sie außer der Eignung alle Berufsgründe unberücksichtigt läßt. Diese Prüfungen sollte man unter allen Umständen nur als letzte notwendige Ergänzung einer im Grunde bereits getroffenen Bernfswahl ansehen. Die Vermittlung eines genauen Berufsbildes und die Bewulltmachung aller Licht- und Schattenseiten sollte im allgemeinen zu einer Prüfung dieser beiden berufsentscheidenden Faktoren führen.
Weit größer als, die Zahl der subjektiven Berufsgründe ist die Anzahl der objektiven Gründe zur Ergreifung eines Beruies. Als erstes ist hier die Lage des Arbeitsmarktes und die voraussichtliche Entwicklung der Wirtschaft zu betrachten. Absterbende oder völlig aussichtslose Berufe sind nach Möglichkeit zu meiden; ebenso ist es gut, sich genau darüber zu informieren, wie. es mit der Uebcrfüllung der einzelnen Berufe steht. In allen jenen Fällen, in denen eine unbedingte Erfüllung des Berufswunsches nicht möglich erscheint, ist die Berufswahl mit einer ganz besonderen Vorsicht vorzunehmen. Meist ist es nicht notwendig, nunmehr von dem in Aussicht genommenen Beruf völlig in eine andere Berufsrichtung abzuwandern, sondern es bleibt sehr oft noch die Ergreifung eines ähnlich gearteten Berufes übrig. ' " Der zweite objektive Berufsgrund ist die Einstellung der Gemeinschaft zu dem gewählten Beruf. Als erste Gruppe dieser Gemeinschaft sei hier die Familie des Berufsanwärters genannt. Gerade bei Menschen unseres Kreises steht der Berutswunsch. den die Familie iür den jungen Menschen hat, oft in schärfstem Gegensatz zu seinem eigenen Berufswunsche. Die Ergreifung des geliebten Berufes bedeutet oft revolutionäre Tat, die Nichtergreifung schwerste Versagung. Wie weit die Verwirklichung des eigenen Berufswunsches hier richtig ist. muß unter allen Umständen von der Kraft des einzelnen und von der restlosen Erfüllung der subjektiven Berufsgründe abhängig gemacht werden. Außer den genannten Faktoren spielt gerade bei uns der Einfluß der Gemeinschaft innerhalb i des Bundes bei der Berufsentscheidung eine wesentliche Rolle. Wie die Einstellung des in einer Gruppe der Jugend- bewegun^ gebundenen Jugendlichen zur Gemeinschaft überhaupt eine besonders zu kennzeichnende ist, so ist seine Stellung zum Beruf durch seine Zugehörigkeit zum Bund entscheidend beeinflußt. Hier muß immer wieder an das Verantwortungsgefühl des Führers appelliert werden, der zu verhindern hat, daß aus Gründen der Zugehörigkeit zum Bunde Berufe ergriffen werden, die mit Eignung und Neigung des Jungen oder des Mädchens nicht übereinstimmen.
Die über den Rahmen der Jugendgemeinschaft hinausgehende jüdische Gemeinschaft stellt an jeden von uns in bezug auf seine Berufswahl bestimmte Anforderungen. Es sei in diesem "Zusammenhang nicht von jenen Einschränkungen in der, jjerutswahl gesprochen, die sich aus der Befolgung der religiösen Vorschriften — Sabbattreue usw. — ergeben, sondern es sei an jene wirtschaftlichen Zusammenhänge gedacht, die sich hier aus der Tatsache unserer Zugehörigkeit zum Judentum ergeben. Es handelt sich hier im wesentlichen um den Ausschluß von Juden aus bestimmten Berufen, ferner um. den immer mehr zunehmenden Boykott jüdischer Angestellter, darüber hinaus um die Aufgabe der wirtschaftlichen Selbständigkeit zugunsten der Annahme der Angestellten- Stellung. Es wird für jeden jungen jüdischen Berufsanwärter notwendig sein, sich in den nächsten Jahren ernsthaftest mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, da sie für seine Berufs- entwicklung entscheidend sein müssen.
Diese Fragen treten jedoch nur in der Galuth an uns heran, für Menschen unseres Kreises ist jedoch die Forderung, die Palästina für unsere Berufswahl stellt, oft entscheidender. Obwohl auch hier Eignung und Neigung für den Entschluß des einzelnen maßgebend sein müssen, so müssen doch gerade hier die objektiven Gründe für alle jene, die diese Motive für maßgebend für ihre Berufswahl halten, weitestgehend berücksichtig: werden. Handelt es sich doch
um die Erfüllung der höchsten jüdischen Aufgaben, um die Einsetzung des einzelnen für die letzten Dinge der Gemeinschaft, um Sein und Nichtsein des jüdischen Volkes. Hier treffen sich letzte. Gemeinschaftsforderungen mit den Erfordernissen des persönlichen Lebens, und es muß wohl so sein, daß in dem Maße, in dem man sein eigenes Leben den Bedürfnissen der Gesellschaft unterordnet, die objektiven Berufsgründe die subjektiven überwiegen. Wesentlich ist, daß man über den Forderungen der Gesellschaft in bezug auf die Berufswahl Eignung und Neigung nicht vergißt, weil sonst leicht der umgekehrte Erfolg als der gewünschte auch für die Gemeinschaft eintreten dürfte.
Probleme der lewish flgency
Von Dr. Siegfried Kanowltz. Berlin
Wir beginnen die Auseinandersetzungen über ilie Fräsen uml den I'roblemkreis der lewish Agoiuy mit den Darlegungen des bekannten jungzioni-tischon Führer* Dr. Siegfried Kano- witz, der außerhalb des Verbundes steht und auf der ersten Tagung der Jewish Agency in Zürich anwesend war. Wir brauchen nicht zu betonen, daß diese Ausführungen lediglieh die persönliche Meinungsäußerung von Ilcrrfri Dr. Siegfried Kanowitz darstellen. Wir hoffen, daß durch diesen Artikel die Diskussion über den Auf- gabenkreis der Jewish Agency in Fluß kommt und fordern unsere Mitarbeiter -auf, sieh recht rege an der Diskussion zu beteiligen. Die Verbandsleitung wird sich vorbehalten, zu geeigneter Zeit die Meinung des Verbandes in einem Schlußartikel wiederzugeben.
I.
Ehe wir Zeit landen, in der Judenlieit die Kunde von d»r historischen Tat in Zürich, der Erweiterung der Jewisli Agency, zu verbretten, überraschten uns die blutigen Ereignisse in Palastina. Durch die ganze Judenheit ging eine Welle der Trauer, der Entrüstung, ihr Wille jedoch, das \V« rb in Palästina fortzusetzen, die Errichtung des nationalen Hehns mit allen Kräften durchzuführen, blieb unerscliüttert. 1 »er Bund, den wir in Zürich schlössen, wurde schneller als «it es alle ahnten, einer furchtbaren Belastungsprobe ausgesetzt: er hat die Belastungsprobe bestanden. Skeptiker glauben, den Zionisten definieren zu müssen als den Juden. • ler in gnten und schlechten Zeiten unbeirrt an Palästina festhält, den „Nichtzionisten" als den, der nur in Zeiten des Er-
olges unser Weggenosse bleiben würde. Die letzten Wochen haben bewiesen. daß der Rund von Zürich von allen Part-
icrn ms vollem Herzen, mit besten Absichten geschlossen wurde/ Unser W,>rk in Palästina schien in diesen Tagen
ul- höchste gefährdet, die Grundlagen, auf denen wir das nationale Heim bauen wollen, schienen erschüttert. Aber das Wunder geschah: der Enthusiasmus der Juden' wuchs, ihre Solidarität mit dein Werke wurde stärker, die Kräfte des Judentums steigerten sj c h. und es gelang, in einer großen gemeinsamen Aktion dem Ansturm standzuhalten. Stärker als der Austausch von Beden; stärker als noch so gut gemeinte Gelöbnisse hat »Ii«- gemeinsame Sorge um Palästina in diesen Tagen uns zusammengeführt. Es ist jetzt erwiesen, daß der Bund von Zürich keine Fiktion, keine Fassade ist, hinter der -ich ein uninteressiertes und laues Judentum verbirgt, sondern daß er der wahre Ausdruck der Stimmung in der ■Indenheit ist: Palästina um jeden Preis zu bauen.
II.
Der Stärkste Eindruck, den wir alle in Zürich empfingen. w.ir die Erkenntnis, daß .die Einheit des Judentums existiert. Bisher immer nur gefordert, aber in den seltensten Fällen bewährt, bisher immer nur ein Vorwurf im Munde von Feinden, wurde hier zum ersten Male in unserer langen Golnsgeschiebte die Einheit des Judentums als eine ungeheure Kraft sichtbar. Bisher war es schwer, diese Einheit lies Judentums zu definieren. Die Bande der Religion und des Rituals waren zerrissen, die konstituierenden Merkmale der Nation: gemeinsames Land, gemeinsame Sprache, fehlten. Das Judentum war aufgesplittert in eine Reihe von Gruppen, bei denen es zwar eine Parallelität ihrer Entwicklungen, eine Gemeinsamkeit ihres Schicksals, aber kein sichtbares Symbol ihrer Einheit gab. Du sos Symbol haben wir wieder gefunden. Das Judentum hat sich zusammengefunden, um
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