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Zur Beleuchtung aller Juden- thmn u. Juden betreffenden li- terarischen Erscheinungen auf dem Gebiete der Philosophie,Ge- schichte,Sthn-zroxhir,Theologie, Brientalia, Exegese, Homiletik, Liturgik, Pädagogik.

Herausgegeben

von Rabbiner Di׳. Moritz Rahmer. Magdeburg, LS. April L87S

Bücher der einschlägigen Lite- ratur, welche der Red. de» ״Jid. skiteraturblalt" in Magdeburg (ober der ״Zrrael. Wochenschr." in Stettin) ;»gesandt werden, finden in diesem Platte ein- gehende Besprechung.

Nr.8.9

Erscheint zweimal monatlich. Preis pro Jahrgang 4 Mark. Für die Abonnenten der ״Israelitischen Wochen- schrift" (die jährl. 9 Mark kostet) g r a t i s. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen; in Leipzig durch Robert Friese

4. Jahrgang.

Veranlaffung und Zweck -er Kanon- fammlung.

Bon I. S. Bloch, Rabbiner der israel. Gemeind« zu Rendsburg.

(Fortsetzung.*)

-Die Schriftforschung erstreckte sich so auf das einzelste Einzelne. Ein Gedanke, der auch anders ausgedrückt werden konnte, ein Satz, der schärfer oder kürzer hätte lauten sollen, ein Wort, das überflüssig schien, ein unpasiender Buchstabe, ein stilistisches Hilfswort: das Alles, dachte :nan, kann nicht zufällig sein, das muß auf ein Gesetz, eine neue Verordnung hindeuten, es sind bedeutsame Fingerzeige zur Gesetzesent- Wicklung. ״Das Grundgesetz eines Staates wird, je höher es in den Augen der Bürger steht und je tiefer sich die Achtung vor dem Gesetze in ihnen eingelebt, mit der genauesten Sorg- fall durchlesen und durchforscht; jeder Ausdruck, jedes Wort wird abgewogen, aus einem diakritischen Zeichen zuweilen Auf- schluh gesucht; man fragt, warum der Gesetzgeber diesen tsr- minus gewählt, ob das Gesetz nicht in kürzeren Worten wäre zu fassen gewesen u. s. w. und schließt hieraus auf Sinn und Deutung des Gesetzes. Kann es befremden, wenn auch in der Schriftforschung ein solches Verfahren eingeschlagen wurde? Lag doch hier eine größere Berechtigung hierzu vor, als hixr der größte Gesetzgeber spricht, bei dem Prägnanz und Schärfe nicht vermißt werden können, und diese Berechtigung steigerte sich zur höchsten Verpflichtung, als hier die Gottheit spricht, sie Gesetze und Vorschriften ergehen läßt." **) Unter der- artigen Umständen konnte natürlich die richtige Erklärung und Anwendung der heil. Schriften nicht Jedermanns Fertigkeit überlassen werden. Die S ch r i f t g e l e h r t e n von Beruf unter- zogen sich dieser Aufgabe mit allem Eifer, aller Arbeitsamkeit

*) Di« hier folgende Note ist durch Versehen des Setzers zum S ch l u ß der Anmerk. t. in vor. Nr. Seite 26 Spalte a fortgeblieben, und ist nur im Zusammenhang- mit derselben zu verstehen. (Red.)

... Alle die, welche Mischehen eingegangen, mußten Frauen wie Kin- der fortschicken. Esra 10, 3. 44. Daß am Sabbath oder Feiertage nichts gelaust oder verkauft werden dürfe, davon steht im Pentateuch wie ,m älteren prophetischen Schristthum nichts. Beza 27 d, 37 a wird bie« eine ״ rabbinische Verordnung" ( גדרה דרבנן ) genannt. Nehemia aber drängt schon auf genaue Einhaltung dieser Verbote (Neh. 13, 1718) und es erhellt, daß diese Verordnung schon damals ein gewisses Alter- thum hatte.

**) Frankel, Palästinensische und Alexandrinische Schriftforschung. BreSl. 1854 p. I.

und Ausdauer, aller Mannesstärke und Geistesschärfe, welche diese Männer in wahrhaft bewundernswerther Weise auszeich- nen, ihr ganzes Leben lang. Die Propheten waren begraben, Priester und Leviten Tempeldiener geworden, die ״Schriftge- lehrten" erhielten die Leitung und Lehrschaft des Gott und dem Gesetze treu ergebenen Volkes.

Aber nicht allein die eigentlichen religiösen Gesetze, son- dein auch alle Einrichtungen der Gemeinde, des Tempels und des Gottesdienstes, die Pflichten jedes einzelnen Gemeindeglie- des nicht häufiger als die öffentliche Rechtspflege, die einzelnen Rechtsmaterien zogen sie in den Kreis ihrer Forschung. Die vorherrschende Richtung Mer altmischnaischen Zeit war: alles gesetzlich Bestimmbare auf das Genaueste, ja bis ins Kleinste und Geringste hinab zu bestimmen. Die Schriftgelehrten waren im eigentlichen Sinne Gesetzgeber, die Leiter und Führer der eccle3ia magna, welche alle neuen Gesetze sanctionirte. Ei- gentlich war es streng verboten, Neues festzusetzen; ein Pro- phet, wenn er herunterstiege, heißt es, er dürfte am Gesetz nichts ändern, geschweige ein neues Gesetz schaffen;') allein die Schriftgelehrten waren keine Propheten, hatten auch nicht neue Verordnungen schaffen, sondern das alte Gesetz aus- legen wollen. War diese Auslegung richtig, worüber die So- pherim der ecclesia magna genau wachten, so mußten die Gesetze befolgt werden. In der That haben die Schriftgelehr- ten es weniger als ihre Aufgabe angesehen, relativ oder ab- solut gute Gesetze zu schaffen, sondern dasjenige, was sich im Rechtsbewußtsein des Volkes oder doch im Rechtsgefühl der großen Mehrzahl derselbe» bereits entwickelt hatte und als ihren Bedürfnissen adäquat angesehen wurde, in Form des Gesetzes zu bringen. Hat aber das Gesetz noch vor deffen Formirung inl Rechisbewußtsein sich eingebürgert, wie konnte es fehlen, daß er nicht im Gottesbuch wenigstens der Idee nach ange- deutet wäre? Es ist bekannt, daß nicht blos häufig, sondern fast bei jeder Gesetzesbestimmung die Meinungen der einzelnen Lehrer weit auseinandergingen; ganz genaue Berichte sind uns zwar nicht erhalten, aber die Mischnah referirt getreulich so- weit ihre Kunde reichte, die verschiedenen Voten, di« häufig diametral entgegengesetzter Natur waren: allein die endgiltige Entscheidung traf die ecclesia magna, die Art, wie dies ge- fchah, lehrt der UsuS der späteren Schulen, welche alle alten Einrichtungen zu conserviren suchten. Die Entwicklung der

1) Vgl. Megilla 2 8. Theinura 16 a, SchekaUm jer. :>, 1. u. a. a. St.