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Wunder Seele, schreien es oft, wenn der Schmerz uns übermannt: ״ Gefallen ist die Krone unseres Hauptes. Wehe uns! Denn wir haben gesündigt, darob ist unser Herz krank, darum sind unsere Augen verdunkelt." Die Geschichte der Gegenwart hat uns gelehrt, die Geschichte unseres eigenen Volkes inniger zu verstehen.

Aber nicht nur das, was Megillas Echoh mit seinen; trau- rigen Tönen und ivehen Stöhnen uns vor die Seele führt, wird in gegenwärtiger Zeit besonders lebendig in uns und tief verstanden durch uns. Auch ein anderer א י כ ה Ruf, den wir am Sabbath vor Tischobeaw lesen, und den der große Führer und Lehrer unseres Volkes gesprochen, beginnen wir zu begreifen: Echoh, esso lewadi? ״ Wie soll ich allein tragen eure Mühseligkeiten, eure Last, euren Streit." In der Wüste sprach Moses also zum Volk. Und da Moses so sprach, da sprach er also zu einem Volke, das noch nicht in langer, langer Golusnacht zermürbt worden war, das noch nicht Spielball der Nationen gewesen, sondern er sprach's zu einem jungen, frischen, lebensmut'gen Volk, das noch ganz stand unter dem Eindruck einer unmittelbar ihm kundgeivordenen Gotteswaltung und dennoch war ihm die Bürde zu schwer, ihm den unvergleichlich geduldigen, er- tragungsfähigen Führer.

Denn nicht nur die Mühe, die an sich die Leitung eines großen Volkes im Gefolge hat, mußte Moses erdulden, nein, auch ihre Last mußte er tragen, ihren Streit nicht nur schlichten, nein, er drückte ihn, als wenn's sein Streit gewesen iväre. Alles, was das Volk beschwerte, warf es auf Moses Schultern. In seinem Zank und in seineut Hader sucht es ihn hineinzuzerren, und Moses mußte aus- rufen: Echoh, ״ wie soll ich das tragen!" Und nun das jüdische Volk der Gegenwart?! Gleicht's nicht auch Israel in der Wüste? Wir wünschten, daß es ihm gliche; den»; wenn es ihm nur ähnelte, dann würde über allem Zank und Streit, über allem Auseinander der Meinungen das große, zusammcnhaltende Erlebnis eines Aus- zuges aus Ägypten, einer sinaiitischen Offenbarung stehen. Dann würde das Bewußtsein: Bald, und ivenn es auch nach Kämpfen ist, ziehen wir ein ins gelobte Land, es zusammcnketten und des Einenden würde mehr sein als des Trennenden. Hinter uns liegt tausend- und abertausendjähriger Golusschrecken, vor uns die Un- gewißhcit!

Die Judenfrage beschäftigt die Gemüter, aber wir Juden sind ein Volk von Fleisch und Blut, wir sind nicht ein Problem. Die