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.Reichebote*.
Nr. 22.
Außer diesen internationalen Friedensgesellschaften, die der Initiative der hochidealen Frau B- v. Suttner ihr Entstehen verdanken^ soll demnächst ein ethischer Bund geschaffen werden zur Förderung und Festigung strengster Moral und umfassender Menschenliebe, und wie Rom nicht an einem Tage gebaut worden, so können auch die Zwingburgen des Fanatismus und finsteren Verfolgungswahns nicht auf einmal niedergerissen werden, aber kommen wird und muß dereinst der Tag, an dem vor dem mächtigen Posaunenschalle der echten und rechten Freiheit, wie vor Jericho, die die vollständige Versöhnung hemmenden und hindernden Schranken und Scheidewände unversehens fallen werden, die da den Menschen vom Menschen, den Bürger vom Bürger, den Bruder vom Bruder trennen und ferne halten, und vereint und versöhnt werden, die bisher sich feindlich Gegenüberstehenden, zu gemeinsamem löblichen und friedlichen Thun und Wirken sich verbinden und verbrüdern, „en Elijahu bo, ela lekarew hameruchakim biseroa", im Sinne und Geiste der messianischen Zeit, der goldenen Aera des Gottesreiches!
Und dieses Reich der „Gottesfurcht und frommen Sitte" ist nicht beschränkt auf Oesterreich, etwa gar nur auf das deutsche Reich, nein, vielmehr soll es sich auf das ganze Erdenrund erstrecken, es soll ein Weltenreich werden, u. zw. ein Reich zweier Welten und nicht bloß auf das vergängliche, flüchtige und hinfällige diesseits Rücksicht zu nehmen. Das Kriterium aber, als Angehöriger dieses Gottesreiches zu gelten, den Maßstab zur Bestimmung der Mitgliedschaft des „Gottesvolkes", der Gemeinschaft der Edlen, der Elite aller Völker, gibt uns der Prophet Micha, indem er sagt: „Es ist dir kundgethan, o Mensch, (nicht, o Jsraelite!) was gut ist und was der Herr von dir fordert, nichts anderes, als Recht üben, Gnade lieben und sittsam wandeln auf Grund des Gottesglaubens!" Ohne religiöse Gesinnung, durch eine bloße philosophische, ästhetische Anerkennung der Moralprincipicn, hat die Sittlichkeit nicht immer den besten und festen Halt, den die Kämpfe des Lebens erfordern.
Also nicht in bloßen monumentalen Prachtbauten von Bet- und Gotteshäusern manifestirt sich das Judenthum der Zukunft, denn^ dann müßte unsere moderne Zeit, die in dieser
Richtung alles bisher Dagewesene weitaus übertrifft, als vorgeschritten in religiöser Beziehung angesehen werden, und doch muß jeder Unparthei- ische, angesichts und trotz dieser offenbar zur Schau getragenen lapidaren Frömmigkeit, unwillkürlich an das Wort des Propheten sich erinnern: Wenn Israel seinen Gott verläßt und verstößt, dann baut es Tempel! (Lapieoti sat.!) /
&ie Zugehörigkeit zum Reiche Gottes wird vielmehr von ganz anderen moralischen und geistigen Factoren abhängen und selbst mit dem unschwer geleisteteten Obolus am Altäre der Humanität wird man künftighin keine Absolution erkaufen können, keine Beschönigung der Sünden, Schwächen und Gebrechen auf anderem Gebiete, keine Beschwichtigung der Gewissensbisse.
Hier im Bunde und Lande der wahrhaft Frommen und Gerechten kennt man keine Philo- und keine Antisemiten. Denn „Zion wird durch Gerechtigkeit erlöst und seine Gefangenen sind durch Tugendhaftigkeit befreit" und wie der treue Hirte seine Schafe mustert, so wird Gott „am Tage des Gerichtes" mit seinem Szepterstabe große Musterung halten und strenge Rechenschaft fordern (Nennannetokek), namentlich von den Angehörigen seines Volkes, der Heerde Jakobs, denen sich aber die „Gerechten aller Völker" anschließen und zugesellen werden zu einer gottgefälligen Gemeinschaft, zu einer heiligen und seligen Gemeinde der Gut- und Gleichgesinnten, beseelt und erfüllt, und durchdrungen und durchglüht vom heiligen G e i st e der Wahrheit, von edler Begeisterung für alles sittlich Schöne, Gute und Erhabene, fördernd und verwirklichend schon auf Erden das himmlische Reich wahrhafter Freiheit, beglückenden Fortschritts und beseeligenden Fried e ns im „Reiche des Allmächtigen!" Grün
Die Ethik im Talmud.
(Pirke Aboth).
Bon Rabbiner H. L. Reich.
XVIII. (Nachdruck verdaten.) Schamai lehrt: Mache, daß deine Thora von Dauer bleibe; versprich wenig und halte viel; empfange Jeder- mann mit freundlicher Miene. „Kaboah"