BRILLING
Die folgende Arbeit von Brilling gilt seinem alten Forschungsgebiet: Breslau. Schon vor einigen Jahren hat er in den Hamburger mittel- und ostdeutschen Forschungen seine Geschichte des jüdischen Goldschmiedegewerbes in Schlesien veröffentlicht (Hamburg 1967, Bd. VI Seite 163 bis 224). Jetzt bringt er im nächsten Band VH dieser Zeitschrift (Hamburg 1970 S. 129 bis 152). 95 Regesten zur Geschichte der Juden in Breslau vom 16. bis 18. Jahrhundert (1555 bis 1749). Diese Arbeit hat ihre Geschichte. Sie sollte eigentlich schon vor bald 35 Jahren erscheinen. Die vor 60 Jahren von Eugen Täubler und Georg Herlitz herausgegebenen “Mitteilungen des Gesamtarchivs. der deutschen Juden” sollten 25 Jahre später von dem damaligen Leiter des Archivs Jacob Jacobson weiter - geführt werden, und in ihnen sollte diese Arbeit von Brilling erscheinen. Die damalige "Reichsschrifttumskammer” hatte zwar 1936 die Genehmigung gegeben, aber die Zensur hatte die Veröffentlichung anscheinend untersagt. So kann die Arbeit erst jetzt unter Berücksichtigung der inzwischen erschienenen Literatur herausgegeben werden. Brilling selber hat ja innerhalb dieses langen Zeitraums mehrere gründliche Arbeiten zur Geschichte der Juden in Schlesien, speziell in Breslau, und gerade für diesen Zeitraum verfasst, sodass man sich bei der Lektüre erinnert, Einiges schon mal gelesen zu haben. Dies gilt insbesondere für die “Schammesse”, ein hebräisch unmögliches Wort, die keinesfalls Synagogendiener waren, sondern Honorarkonsuln sehr vergleichbar; während die anderen Juden nur zu den Messen in Breslau sein durften, konnten diese Schamesse dauernd in Breslau wohnen, um die geschäftlichen Angelegenheiten der Messebesucher zu regeln. Es gab 1713 nicht weniger als acht "Schammesse” aus Zülz, Lublin, Lissa, Kalisch (zugleich für Lunczütz und andere Ortschaften), aus Lemberg und Krotoschin und zwei Schammesse, die ganze Landschaften vertraten, den Schammes des Fürstentums Krakau und den Mährischen Schammes.
Wiederholt wird über Synagogen (Schulen) berichtet, die für die Messjuden eingerichtet sind. Wer nur einigermassen in Breslau vertraut ist, wird sich freuen, bekannte Strassennamen wiederzufinden, wie das "Goldene Rad”, Graupenstrasse', Elisabethmarkt und Antonienstrasse, welche, wie man hört, früher Hundegasse hiess.
NEUE LITERATUR UBER
JONATHAN EIBENSCHUTZ
Während Brilling sich zumeist auf seine Spezialgebiete Schlesien und Westfalen konzentriert, bringt er neuerdings unbekanntes Material aus dem damals zu Dänemark gehörenden Schleswig- Holstein über die vielumstrittene Persönlichkeit des Oberrabbiners Jonathan Eibenschütz. Ein wesentlicher Teil der rabbinischen Tätigkeit war damals die Leitung des Rabbinatsgerichts, dessen Vorsitzender der Oberrabbiner als Aw Bet Din war. Nicht nur in Religionsgesetzlichen Fragen, sondern auch in persönlichen Streitigkeiten hatte das Rabbinatsgericht zu entscheiden. Die dänische Regierung hielt an dem Prinzip fest, sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Juden einzumischen und daher alle Beschwerden an das Rabbi- nat zu verweisen. Daher blieb die Autorität von Jonathan Eibenschütz trotz der Angriffe, die von jüdischer Seite auf ihn gerichtet wurden, bei den dänischen Behörden unerschüttert.
Brilling zeigt dies an drei verschiedenartigen Beispielen aus dem Reichsarchiv Kopenhagen, die sich auf Altona, Rendsburg und Fridericia beziehen. Brillings Forschung erscheint in der Zeitschrift “UDIN”, deren erstes Heft von der Rabbinerkonferenz in der Bundesrepublik Deutschland
herausgegeben wurde (Frankfurt a.M. 1970. 114 S.). Diese gediegene Zeitschrift erfordert eine kritische Besprechung. Ich möchte jedoch aus persönlichen Gründen davon Abstand nehmen, weil ich selber zu den Mitarbeitern gehörte und im Anhang über die Gründung der Rabbinerkonferenz in Deutschland 1952 berichtet habe.
Rabbiner Dr. Neufeld
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Noch eine weitere Arbeit von Brilling über Schlesien erscheint schon jetzt: Friedrich der Grosse und der Waad Arba Arazoth. (Theokratia. Jahrbuch des Institutum Judaicum Delitzschia- num I 1967—1969. Leiden 1970 E.J. Brill S. 97—143).
In Polen bestand im 16. bis 18. Jahrhundert eine Art jüdischer Gesamtorganisation mit Parlament, Waad Arba Arazoth, Vierländersynode. Die Vierländer Polens: Grosspolen (Hauptstadt Posen), Kleinpolen (Krakau), Reussen (Lemberg), Litauen (Wilna), hatten sich auf Anregung der polnischen Regierung zusammengeschlossen, weil die Regierung glaubte, mit Hilfe einer straff organisierten Gemeinschaft auf leichtere Weise höhere Steuern aus der jüdischen Gemeinschaft herauszuholen. Im Laufe der Zeit erwies sich diese Einrichtung als eine autonome Organisation, die selbständig ihre inneren Angelegenheiten regeln konnte.
Da Juden in Polen in wirtschaftlicher Verbindung mit Schlesien standen, bedienten Sie sich der Autorität dieser Organisation und bekamen allmählich feste Beziehungen zu den österreichischen Behörden, die damals Schlesien verwalteten. Als Friedrich der Grosse bald nach seinem Regierungsantritt in Schlesien einmarschierte, musste der Waad anstatt mit den Österreichern nunmehr mit den preussischen Behörden verhandeln. Dies ging ziemlich reibungslos. Aus Nützlichkeitsgründen sah es die Regierung Friedrichs gern, wenn in Breslau an Stelle der bisher nur ausnahmsweise zugelassenen Juden eine grössere Anzahl amtlichen Status bekamen und viele Andere als Bedienungspersonal und unter anderen Vorwänden nach sich zogen. Friedrich erliess daher schon 1744 ein Gesetz, in dem er einer grösseren Anzahl Juden volles Einwohnerrecht gab und viele Andere halb stillschweigend duldete. Schon 1742 zählte man in Breslau 910 Juden, 1744 — 1035 Seelen, 1766 waren es schon 2254 Seelen. Wichtig ist auch, dass Friedrich die Genehmigung zur Gründung einer Gemeinde gab, das Recht, einen Saal für gottesdienstliche Zwecke zu mieten, und “ausserhalb der Stadt einen Platz zu einem Kirchhofe anzukaufen”. (Es handelt sich um den Friedhof in der Classenstras- se, in der Nähe des Hauptbahnhofs). Ausserdem wurde ein amtlich anerkannter Rabbiner bestellt: Baruch ben Rüben Gomperts aus Wesel. Dieser war schon seit 1728 als Rabbiner tätig, allerdings nicht in der Stadt selbst, sondern in einem Vorort auf dem ELBING vor dem Odertor.
Seit 1744 war er amtlicher Rabbiner, hatte sogar den Titel eines königlichen Landrabbiners und war als solcher für alle Juden Schlesiens ausser den Städten Glogau und Zülz zuständig. Die Gemeinde und das Rabbinat haben also zweihundert Jahre bestanden. Die schon früher wiederholt erwähnten Schammesse, welche eher Konsuln zu vergleichen waren, blieben weiter tätig, nur "wurde ihre Zahl vermindert, und ihr Tätigkeitsfeld erstreckte sich daher über einen weiteren Bezirk. Ausser der amtlich genehmigten Synagoge bestanden schon vorher eine Anzahl Synagogen der zur Messe kommenden ausländischen Juden, die, ebenso wie in Leipzig und Frankfurt an der Oder, ihre landsmannschaftlichen Synagogen mit ihren eigenen Bräuchen hatten. Wir erfahren schon jetzt vertraute, Namen wie: Landschul, Skloverschul (für Litauische Juden) u.s.w.
Über die weiteren Beziehungen der preussischen Behörden zum Waad bis zu seiner Auflösung 1764 berichtet Brilling mit der ihm gewohn
ten Genauigkeit. Nur ist Eines zu bedauern: die Arbeit erscheint vielleicht zu früh. Denn seit längerer Zeit wird immer wieder angekündigt, dass der dritte Teil von Selma Sterns grossem Werk: “Der preussische Staat und die Juden” erscheinen solle. Er wird die Zeit Friedrichs des Grossen umfassen (1740 bis 1786) und soll, wie man hört, nicht weniger als drei Bände haben. Es ist zu hoffen, dass dieses lang erwartete Werk endlich erscheint. Es wird dann sehr wertvolle Ergänzungen zu dem bisherigen Material bringen, besonders für die Gebiete, die unter Friedrich dem Grossen zu Preussen kamen, also seit 1741 Schlesien, seit 1772 der Netze-Distrikt (Bromberg) und Westpreussen ohne Danzig und Thom.
Aber auch ohne die nicht erreichbaren Akten ist das Werk von Brilling wiederum eine wesentliche Bereicherung.
Rabbiner Dr. Neufeld
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MHRM UND ANDERE FORSCHUNGEN VON BRILLING
MHRM diese Buchstaben sind offensichtlich wie ähnliche (z.B. MGWJ, DJGB), die Anfangsbuchstaben eines Namens und bedeuten Morenu Haraw Rabbi Meir. Sie könnten auch Mosche oder Mordechaj bedeuten, aber es ist fast immer ein Meir gemeint und zwar der bedeutendste in der mittelalterlichen Geschichte, Rabbi Meir von Rothenburg. Wir kennen auch einen Maram Padua, das ist Rabbi Mose aus Padua, womit der aus Mainz stammende, in Padua lebende Mose Minz gemeint ist, dessen weitverbreitete Nachkommen auch in Jsrael stark vertreten sind. Aber im Allgemeinen deutet die Abkürzung Maram auf Meir von Rothenburg hin und hat sogar zu dem einmaligen Vorgang geführt, dass in Süddeutschland und der Schweiz der Name Maram oder Marum als Vorname und sogar als Nachname gebraucht wird und immer auf Nachkommen des Meir von Rothenburg hinweist.
Nun hat Bernhard Brilling bei seinen vielseitigen Forschungen über den Namen MHRM (maram, marum) in der Festschrift: “Forschung am Judentum” berichtet, die die Vereinigung für religiös-liberales Judentum in der Schweiz zum 60. Geburtstag von Rabbiner Dr. Lothar Rothschild (St. Gallen) herausgegeben hat. Brilling weist nach, dass sämliche Träger dieses Namens auf Rabbi Meir von Rothenburg zurückgehen. Damit hängt auch zusammen, dass sie fast ausschliesslich in Süddeutschland und in der Schweiz wohnen. Einem aus Meseritz stammenden Rabbiner der nachher in Bayern tätig war, fällt der Name auf, den er nie zuvor gehört hatte, er wendet sich mit einer Anfrage an einen süddeutschen Gelehrten und erhält die Auskunft, “das alle Träger des Namens Maram nach dem MHRM von Rotenburg heissen, da sie alle zu seiner Familie gehören. Sie werden Maram genannt, aber zur Thora werden sie mit dem Namen Meir aufgerufen”. Diese, wohl älteste schriftliche Auskunft stammt aus dem Jahre 1667. Die erste Nachricht aus der Schweiz über Maram stammt erst aus dem Jahre 1741 aus der alten Gemeinde Lengnau. Es gelingt Brilling, 48 Träger des Namens für die Zeit von 1567 bis 1831 festzustellen, wobei er jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Zu den Nachkommen des Maram rechnen sich auch die Träger der Namen Guggenheim und Weil, die uns in anderem Zusammenhang bekannt sind. Florence Guggenheim schreibt über ihren Namen, der aus einer Kleinstadt im Landkreis Strassburg stammt. Ich habe nachgewiesen, dass der Name Weil auf Weil der Stadt im Kreis Leonberg zurückgeht.
Der bekannteste Träger des Namens ist der Sozialdemokratische Staatsrat Rechtsanwalt Dr. Ludwig Marum aus Karlsruhe, der schon 1934 von den Nazis umgebracht wurde. Natürlich hat sich (Forts. S. 3)
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