MITTEILUNGEN DES VERBANDES EHEMALIGER BRESLAUER IN ISRAEL 48-49H981
GBRMANIA
JUDAICA
Gemeindegeschichtliche Nachklänge
Nachtrag zu # 48/49
Von E. G. LOWENTHAL
Im Spätsommer 1980 wurde in Hannover — in mannigfacher Gestalt — das tausenjährige Bestehen der ehemaligen niederschlesischen Stadt Glo- gau gefeiert. Hannover ist die bundesdeutsche Patenschaft von Glogau. Ob dabei auch die einstige, nicht unwesentliche Existenz von Juden in dieser Stadt zur Geltung kam? Das ist eine Frage, die man sich stellt, wenn man bedenkt, dass um 1800 etwa ein Fünftel aller schlesischen Juden in Glogau residierte und dass die 1500 Seelen zählende Jüdische Bevölkerung zur Zeit der Einführung der Städteordnung (1808) nicht weniger als 15 Prozent der Gesamteinwohnerschaft von 10 600 ausmachte. Das sind unumstössliche Fakten, die eigentlich ebensowenig übersehen werden dürften, wie die Tatsache, dass das Glogauer „Fridericianum“, das 1626 von Jesuiten gegründete humanistische Gymnasium, im 19. und 20. Jahrhundert auch evangelischen und Jüdischen Schülern offenstand.
Auch wäre es nicht abwegig, in diesem Zusammenhang daran zu denken, dass (der 1872 in Marburg geborene) Dr. Leopold Lucas von 1898 an mindestens vier Jahrzehnte lang der Rabbiner der Synagogengemeinde Glogau war und diese in der Stadt zu grossem Ansehen brachte — 1943 ging er in Theresienstadt elend zugrunde.
Das alles gehört zur 100-jährigen Geschichte Glogaus! Stets hatte Dr. Lucas’ Herz auch an wissenschaftlicher, an Bildungsarbeit gehangen. Seit 1901, als er die ersten Vorarbeiten zur Gründung der „Geselschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums" energisch betrieb, war er mit Jüdisch-wissenschaftlicher Forschung auf historischem und theologischem Gebiet befasst, Ende 1905, im sechsten Jahr seiner Glogauer Amtszeit, umrlss er in Berlin in einem Referat die Ziele und Aufgaben der Jungen Organisation. Bis ins hohe Alter ist er der Wissenschaft treu ergeben geblieben. Noch in den Jahren 1940 bis 1942 gehörte er, mit und neben seinem Freund und Altersgenossen Dr. Leo Baeck, zu den allerletzten Dozenten der Hochschule (Lehranstalt) für die Wissenschaft
In Kalifornien ist Rabbiner Dr. Hans (Harris) Hirschberg gestorben, 72 Jahre alt. Er hatte die Hälfte’ seines Lebens in den USA verbracht, im Dienste Jüdisch-liberaler Gemeinden in den Bundesstaaten Maryland, Virginia, New York, Missouri und, seit 1952, in Kalifornien, zeitweise auch als Militärrabbiner. Geboren in Berlin, hatte er an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums und an der Universität seiner Vaterstadt studiert und dort auch seine Laufbahn begonnen. Als Höhepunkt seiner Tätigkeit in Deutschland wird er zweifellos das Jahrfünft 1934/39 betrachtet haben, das er als Rabbiner in Oppeln (wo ein Menschenalter vor ihm sein Lehrer Dr. Leo Back amtiert hatte) und als Bezirksrabbiner für Oberschlesien verbrachte. Abgesehen von seinem englisch geschriebenen Hauptwerk “Hebrew Humanism” (1946) hat Dr. Hirschberg durch Jüdisch-historische und religionsphilosophische Beiträge u.a. zur Zeitschrift „Emuna“ (Frankfurt/M.) sich auch wissenschaftlich einen Namen gemacht. 1970 widmete er in „Gegenwart im Rückblick", der Fest-
des Judentums (Berlin), und zwar, als Nachfolger des spät ausgewanderten Professors Dr. Eugen Täubler, für das Fach biblische Literatur und Geschichte des Mittelalters.
Bemerkenswert ist auch, dass nach Dr. Lucas, der einst an der Universität Tübingen zum Dr. phil. promoviert wurde, ein Preis benannt worden ist, der seit einer Reihe von Jahren von dieser alten Hochschule, an solche Wissenschaftler vergeben wird, die sich besonders um die Förderung der Beziehung der verschiedenen Religionen und Völker verdient gemacht haben. Erster Preisträger war — 1974 — Schalom ben Chorin (Jerusalem). Ob das die Glogauer (noch) interessiert oder berührt hat? Wie dem auch sei — die Erinnerung daran sollte nicht untergehen!
II.
Wer wie Max P. Birnbaum kürzlich seinen Fünfundsiebzigsten begehen konnte, in Jerusalem und gleichzeitig den lange erwarteten Abschluss seines „opus magnum“, nämlich der Geschichte des einst von ihm ln Berlin mitgestalteten Preus- sischen Landesverbandes jüdischer Gemeinden, vor sich sehen durfte, kann mit Genugtuung auf mindestens 50 nutzbringend-tätige Jahre zurückblicken, wenn auch die Emigration (über Amerika nach Israel) eine gewisse berufliche Diskontinuität mit sich brachte — kein Einzelfall! Dass Birnbaum, in Jungen Jahren engster Mitarbeiter von namhaften Juristen und jüdischen Politikern, wie der Breslauer Dr. Ismar Freud (1876—1956) und Dr. Arthur Lilienthal (1899—1942), aber im Geist und in Gedanken den Bestrebungen und Leistungen Jener Organisation nahe geblieben ist, das wird sein in der einschlägigen Literatur bereits angezeigtes, umfangreiches Werk deutlich machen; es erscheint demnächst in der Reihe wissenschaftlicher Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts (Verlag J. C. B. Mohr/Paul Siebeck, Tübingen) und verspricht, in seiner Grüdlichkeit ein in vielfacher Hinsicht wichtiger Beitrag zur Geschichte und Organisation des deutschen Judentums in seiner Endphase zu 6ein.
Schrift zum 25jährlgen Bestehen der Berliner Nachkriegsgemeinde, seinem Lehrer und Mentor, dem erblindeten Dr Julius Galliner (1872—1949), der von 1898 bis 1939 als akademischer Religionslehrer und Rabbiner in Berlin wirkte, ein dankbar-verehrungsvolles Gedenken.
Anfang 1981 hätte der frühere (in Pirmasens residierende) Zweibrückner Bezirksrabbiner Dr. Dagobert (David) Nellhaus seinen 90. Geburtstag begehen sollen — es war ihm nicht vergönnt: In Boston, in dessen Nähe (Roslindale) er in einem Altersheim wohnte, ist er heimgegangen. Bis zuletzt war er um das geistige und religiöse Leben in dieser Einrichtung bemüht. Bevor Nellhaus, gebürtiger Breslauer, 1931 in die Pfalz kam, hatte er nacheinander in Rybnick/Oberschleslen, Stettin und Hirschberg/Niederschlesien als Rabbiner amtiert. Nach seiner Einwanderung in die USA war er u.a. am “Hebrew Teachers’ College” in Brook- line (Maas.) als Bibliothekar tätig.
Dr. E. G. Lowenthal (Berlin)
NACHRICHTEN AUS SYDNEY UND FRANKFURT/MAIN
Rabbiner Dr. Alfred Fabian, Sydney, anlässlich des Geburtstags der englischen Königin kürzlich mit dem O.B.3.-Orden (Order of the British Empire) ausgezeichnet, ist ein gebürtiger Breslauer, der Sohn des Waisenhausdirektors und Rabbiners Leon Fabian. Ursprünglich Student der Rechte, brachte es Fabian jun. 1933 bis zum Referendar und Dr. jur. Dann besuchte er das Breslauer Jüdisch-Theologische Seminar, von dem er 1939 die Rabbinerqualilikation erhielt. Auf dem Auswanderungsweg nach Schanghai konnte er sich nach Australien retten. Dort hat er 35 Jahre lang als Rabbiner amtiert, nacheinander in Adelaide (Südaustralien), Brisbane (Queensland) und Sydney. Von 1962 an war Dr. Fabian, im Range eine* Obersten, auch australischer Militäroberrabbiner.
E.G.L.
Das Paul- Ehrlich-Institut in Frankfurt wird nach Langen in Hessen verlegt werden, wo es einen Neubau erhält. Dieses Bundesamt für Sera und Impfstoffe gehört zu den wichtigsten medizinischen Einrichtungen in Deutschland. Es trägt den Namen des 1915 in Homburg v.d. Höhe gestorbenen Entdeckers des Salvarsan (zusammen mit dem Japaner Hata). Schon 1908 hatte Professor Ehrlich, 1854 in Strehlen geboren, den Nobel- Preis für Medizin erhalten. e.gl.
DREIMAL
HERBERT WEICHMANN
Die nach Inhalt und Form sehr unterschiedlichen, aber sich doch ergänzend und auch deshalb so bemerkenswerten Ansprachen, die der Hamburger Altbürgermeister Professor Dr. Herbert Weichmann und der inzwischen in New York verstorbene Dr. Einest Hamburger vor etwas mehr als zwei Jahren im Rahmen der Veranstaltung zum Gedenken an Otto Braun, den letzten demokratischen preussisehen Ministerpräsidenten, in Berlin hielten, liegen nunmehr im Druck vor: Im neuesten Jahrbuch der Stiftung preussischer Kulturbesitz (Band XV., Gebrüder Mann-Verlag, Berlin 1980) ist der Wortlaut der Reden in Aufsatzform wiedergegeben auf diese Weise werden die Äusserungen der beiden Jüdischen Mitarbeiter und Freunde Brauns für die Nachwelt festgehalten. In Hamburg ist Weichmann, heute ein „Eider Staatsmann“, mit der grossen goldenen Medaille der patriotischen Gesellschaft der Hansestadt ausgezeichnet worden. In den vergangenen 80 Jahren ist die Medaille nur an drei oder vier hervorragende Hamburger Persönlichkeiten verliehen worden. In Juli 1980 nahm auch Professor Weichmann im Institut für Zeitgeschichte in München an einer Diskussion „Erfahrungen des Exils“ teil. Diese Aussprache fand anlässlich der offiziellen Präsentierung des etwa 4000 kurze Lebensbeschreibungen (insbsondere von Politikern und Wirtschaftlern) umfassenden ersten Bandes des „Biographischen Handbuchs der deutschsprachigen Emigration nach 1933“ (K G. Saur-Verlag, München) statt. Seit 1972/73 ist dieses Werk von dem Münchner Institut, gemeinsam mit der „Research Foundation for Jewish Immigration" (New York), vorbereitet worden. Professor Weichmann, einst Richter in Breslau, später in Berlin. Ministerialrat und persönlicher Referent des preussisehen Ministerpräsidenten Otto Braun, stammt aus Landsberg/Oberschlesien (Jahrgang 1896); 1957 legte er seine Eindrücke von einer Reise durch Israel in einer Schrift „Das Werden eines neuen Staates“ nieder.
E.G -thal
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EINST RABBINER UND LEHRER SN OBERSCHLESIEN
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