HINWEIS AUF ZWEI BUECHER
„DER VATER ENIES MÖRDERS'; von Alfred Andersch Diogenes Verlag, Zürich
Alle Veröffentlichungen dieses 1914 geborenen deutschen Autors sind eigentlich autobiografische Bekenntnisse. Wie in seinem Buch „Die Kirschen der Freiheit“, in welchem er seine Desertion aus der deutschen Wehrmacht schildert, ist auch in „Sansibar oder der letzte Grund“, wohl sein bedeutendstes Bucn, das Thema, die erzwungene oder gewollte Flucht in die Freiheit, im Mittelpunkt. Andersch ist einer der interessantesten Autoren der Nachkriegszeit Deutschlands. Nüchtern und realistisch wird die politische und gesellschaftliche Situation aufgezeigt. Jetzt ist aus dem Nachlass — er starb 1980 — „Der Vater eines Mörders“, eine Schulgeschichte, erschienen. Die Erzählung spielt in dem Wittelsbacher Gymnasium in München. Die Prüfung des Griechisch Unterrichts durch den Schuldirektor endet für den Untertertianer Franz Kiem — der Andersch selbst ist — dramatisch, mit seiner Entlassung aus der Schule. Erregend erscheint durch den Konflikt des Direktors mit dem Klassenlehrer und dem Schüler immer stärker die Gestalt des Inquisitors, der in seinem Wesen alle Elemente in sich trägt, die dann in seinem Sohn in so grausiger Form zu gestaltender Realität geworden sind. Dieser Sohn ist nämlich Heinrich Himmler „der grösste Vernichter menschlichen Bebens“. Der Vater, Typ des Deutschnationalen, Repräsentant eines humanistisch gebildeten Bürgertums, der im Konflikt mit seinem Sohn wegen seiner politischen Anschauung steht, wird im grausigen weiteren Geschichtsverlauf doch nur tatenloser passiver Zuschauer. Die entscheldene Frage wird im Nachwort formuliert. „Schützt Humanismus denn vor garnichts?’’ Die Frage Ist geeignet, einen in Verzweflung zu stürzen.
OERTLICHKEITEN •
von Jean Amery Klatt Verlag, Stuttgart
Der ln Wien 1912 geborene jüdische Autor ist der Verfasser umfangreicher Werke, auch autobiografische wie „Jenseits von Schuld und Sühne", aber vor allem die philosophischen Abhandlungen „Über das Altern“ und „Hand an sich legen“, ein Diskurs über den Freitod. Amöry, der Jahre in Konzentrationslagern gelebt und überlebt hat, sind diese Erfahrungen das zentrale Erlebnis seines Lebens, über das er berichten muss. Das 1980 erschienene Buch „Örtlichkeiten", besteht aus 6 Prosastücken persönlicher Reflexionen, in welchen die Orte sichtbar werden und die dem Autor dort geschehenen Erlebnisse: Bad Ischl, Wien, Köln, Antwerpen, Gurs, Brüssel, Zürich, London, Paris und endliche „keine deutsche Szene“. Eine trostlose Odyssee, unterbrochen von kurzen Ruhepausen. Die Orte werden zu Schicksalsstätten eines unsteten, unerwünschten sich verfolgt fühlenden, eines nicht- und nirgends Verwurzelten. Die Wiederbegegnung mit den Stätten, die er aus unbelasten- deren Zeiten kannte, zeigen, dass es keine Verbindung zwischen dem vor über 40 Jahren erlebten und der Gegenwart mehr gibt. Dem „Reisenden in die eigene Biografie“ kommt das Grauen, wenn er in Gurs auf der Suche nach dem Internierungslager, in welchem er selbst eingesessen hat, nichts
mehr vom Gewesenen erblicken kann. Gras ist gewachsen über meine Vergangenheit, es ist wirklich Gras gewachsen, ich dachte immer, das sei unfeine Redensart. „Wahlheimat“ wird ihm Paris, es wird sein geistiges Daheim.
Aber auch dort erlangt er nicht die frühere ungebrochene Unmittelbarkeit. Es wird keine Heimkehr, keine Heimat. Wenn er auch mit Israel eine tiefe Verbundenheit fühlte, war für Amery, das Judentum, von dem er wenig wusste, kein Halt. In Salzburg beendete der Ruhelose 1978 durch Selbstmord sein Leben.
Fritz Tan
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HANS WEIGEL:
DER EXAKTE SCHWINDEL ODER DER UNTERGANG DES ABENDLANDES DURCH ZAHLEN UND ZIFFERN
(Verlag Styria, Graz — Wien 1979)
„Ich möchte ein Buch schreiben, eine Art Pamphlet gegen die Meinungsforscher, gegen die Marktforscher, gegen die Test-Mode, gegen die empirischen Soziologen und Psychologen und ihre Methoden. Bist du wahnsinnig? — rufen meine Freunde. Jetzt war endlich Ruhe, seit du keine Theaterkritiken mehr schreibst und schon wieder willst du dich bei der ganzen Welt unbeliebt machen. Alle Verleger betreiben Marktforschung. Die Zeitungen nehmen die Demoskopie ernst, sie können sich’s einfach nicht leisten, so ein Buch positiv zu beurteilen. Mit dem Rundfunk und mit dem Fernsehen wirst du dir’s erst recht verderben... schlag dir das aus dem Kopf Die überwiegende Mehrheit der Befragten war dagegen, dass ich dies Buch schreibe. Also hab’ lch’s geschrieben.’'
Also Hans Weigel selbst in seinem Buch, In dem er mit graziöser Schärfe gegen Volksbefrager und Meinungsforscher zu Felde zieht. Ein Autor wie Weigel ist unfähig, ein anderes als ein geistreiches und witziges Buch zu schreiben, gleichgültig was das Thema sei (Für mich bleibt sein wertvollstes und am meisten dauerndes Buch Jene Sammlung von sieben meisterhaften Essays über österreichische Dichter und Komponisten, Schubert, Raimund, Nestroy, Grillparzer, Stifter, Johann Strauss), das vor sieben Jahre unter dem Titel „Flucht vor der Grösse“ In Salzburg erschien). Diesmal hat sich der fanatische Individualist Weigel über die Marktlüge und die Schwindeleien der Statistik geärgert, und er beleuchtet mit Witz und Humor ihre fragwürdigen Methoden und Ergebnisse. Nicht umsonst ist dem amüsanten Büchlein des ausgezeichneten Wiener Theaterkritikers und Ne- stroy-Bearbeiters als Moto von Gabriel Laub vorangestellt: „Denn Jeder Mensch ist eine Minderheit". Im Epilog seines kurzweiligen und von kämpferischen Geist beseelten Büchleins gibt Weigel den Inhalt eines sehr bekannten Theaterstücks, erzählt genau die Handlung und stellt dann die Frage an die Meinungsforscher: Geben Sie diesem Stück Erfolgschancen? Der repräsentative Querschnitt antwortet: Nein. Und auf die Frage des Dichters Johann Wolfgang von Goethe: Soll ich den „Faust“ schreiben (denn das ist das Stück, dessen Inhalt erzählt wurde), sagen die Meinungsforscher : Nein.
Von solcher Art ist Hans Weigels, wie immer, höchst fideles und vitales Buch.
Alfred Frankenstein
DAS ZWEfTE BUCH DER ELFRIEDE OTT
„Phantasie in ö-Dur“ nannte die charmante Wiener Schauspielerin ihr erstes Buch, dessen Erfolg ihr Mut und Vertrauen gegeben hat, ihr zweites zu veröffentlichen. Wir Leser können uns dazu nur beglückwünschen, denn „Wenn man in Wien zur Welt kommt“ (Verlag Molden) ist in seinen kurzen Kapiteln, — „Anschauungen und Einblicke“ nennt’s die Autorin, — textlich nicht weniger eine Freude als in den 9 Aquarellen und 9 „Wienietten“, denn die Ott ist nicht nur eine prachtvolle Natur- Schauspielerin und eine liebevoll-ernsthafte Darstellerin ihrer Heimatstadt, sondern auch eine hochbegabte Malerin in bester impressionistischer Tradition. „Ich bin Ja auch so ein Stück in Wien, ein Eckhaus, ein Hydrant, ein Pflasterstein, ein Volksgartengewächs, eine Josefstadtkreuzung. Ein Mensch in dieser Stadt, der sich mit seinem Beruf herumschlägt. Der nur hier gedeihen kann...“
Sie erzählt vom Theater, von den Proben, von den Stücken, in denen sie zu spielen hat, von der eigenen Nervosität vor der Premiere, aber sie erzählt noch viel mehr von ihren Freunden, von „Fritz“, das ist der Maler Friedr. Hundertwasser, aber auch von einem kleinen Marienkäfer, den sie aus dem dunklen Theater und aus den steinernen Strassen ins Grüne rettet, sie erzählt von der Abschiedsvorstellung im Ronacher Theater („Der Eisenplatz"), vom Stammbuch der Mutter, als diese selbst noch ein Kind war, und den Eintragungen der Verwandten und Lehrer.
Man glaubt der Ott ihre Bescheidenheit und Einfachheit, — nur ein wirklicher Könner kann so ehrlich schlicht und bescheiden sein. — „Ich bin im Theater mit der Nichtliteratur aufgewachsen. Für mich war es immer ein Geschenk, ein Erholungsurlaub, wenn Ich Schnitzler oder Molnar oder — ich wage kaum davon zu träumen — Lessing, Shakespeare, Moliöre, Horvath spielen durfte. Zwischendurch, wie als Belohnung, wenn ich zehnmal brav war, dann durfte ich einmal".
Sie schildert mit frappanter Kunst realistischer Darstellung die Proben zu einem Unterhaltungsstück in den Kammerspielen, in dem sie eine Diebin und- Heiratsschwindlerin mit Gemüt und Liebenswürdigkeit spielt, — sie nennt nicht das Stück, es ist „Rendezvous in Wien" von Fritz Eckhardt, und wer die Aufführung selbst gesehen hat und sein Vergnügen an den famosen Schauspielern hatte, der geniesst jetzt noch einmal beim Lesen des Berichts aus gleichsam erster Hand all die köstliche Aufregung um die Proben und die Premiere. Das Buch von Elfriede Ott ist eine Delikatesse für alle Wien-Liebhaber.
Alfred Frankenstein
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AUSSTELLUNG IM „BETH HATFUZOTH”,
TEL AVIV
Im Museum der Diaspora, auf den Namen von Dr. Nachum Goldmann, das die Geschichte des Judentums von seinen Anfängen bis zur heutigen Zeit aufweist, ist augenblicklich eine besondere Abteilung: „Synagogen in Deutschland im 19. Jahrhundert“ zu sehen. Diese Schau ist mit Liebe und Ehrfurcht zusammengestellt. Es sind viele Fotos von den leider zerstörten Synagogen Deutschlands, zu sehen. Aussen- und Innenansicht und leider auch Bilder nach der Zerstörung. Tief gerührt ist der Besucher, da er sich die Schönheit der G’ttes- häuser noch einmal vor Augen führt. Jedem ist der Besuch zu empfehlen. Das Museum befindet sich im Rahmen der Universität Tel Aviv.
Der würdige Katalog der Ausstellung ist im Museum erhältlich.
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