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Das Breslauer Jüdische Gemeindeblatt
1924-1938
ln der Geschichtsschreibung steht der Darstellung jüdischen Gemeindelebens in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus in nicht wenigen Fällen die dürftige Aktenüberlieferung entgegen, die den Holocaust überdauert hat. Dies gilt selbst für die in Deutschland immerhin drittgrößte Synagogengemeinde zu Breslau (1937 noch immer 16 665 Mitglieder). Von ihr ist zwar ein umfangreicher, heute im Jüdischen Historischen Institut in Warschau aufbewahrter Archivbestand überliefert, dieser weist aber für die Zwischenkriegs- und NS-Zeit erhebliche Lücken auf.
Dies allein ist schon ein Grund, dem Breslauer Jüdischen Gemeindeblatt, das in einer Auflage von anfänglich ca. 7-8 000 Exemplaren zwischen 1924 und Juni 1934 monatlich und dann bis zum Novemberpogrom 1938 zweiwöchentlich erschien, als Quelle besondere Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Während aber die ebenfalls in Breslau erschienene »Jüdische Zeitung für Ostdeutschland« die tagesaktuellen politischen Ereignisse aus einer jüdischen Perspektive betrachtete (vgl. zur »Jüdischen Zeitung« das lesenswerte Buch von Joseph Walk), reflektierte das Gemeindeblatt, das viele Jahre vom Verwaltungsdirektor der Gemeinde, Dr. Ernst Rechnitz, herausgegeben wurde, sämtliche wichtigeren Ereignisse der Gemeinde in ihren Höhen und Tiefen.
Die fünfzehn Jahrgänge mit einem Gesamtumfang von ca. 4-5000 Seiten, auf denen regelmäßig so namhafte Autoren wie Leo
von Dr. Ingo Loose
Baeck und Gemeinderabbiner Hermann
Vogelstein, aber auch der bekannte Breslauer Publizist und Historiker Willy Cohn und der Gemeindearchivar Rabbiner Aron Heppner schrieben, dokumentieren jüdisches Leben auf eine Weise, wie sie Jakob Kurt Ball-Kaduri sehr treffend auf den Punkt gebracht hat: »»Das Leben einer Zeit besteht nicht nur aus den »erschütternden« Ereignissen und der Organisationsgeschichte, sondern ebensosehr und fast noch mehr aus den »banalen«, aber für die Zeit charakteristischen Vorgängen des täglichen Lebens.«
Die Besonderheit der Breslauer Gemeinde lag in ihrer Einheit, die in der Folge des berühmten Geiger-Tiktin-Streites der Jahre nach 1842 erreicht worden war und im Gegensatz zur Separierung der Orthodoxen beispielsweise in Frankfurt am Main stand. Dies bedeutete zwar nicht die gleichberechtigte Berichterstattung über liberale, orthodoxe und zionistische Aktivitäten, aber zumindest blieben die Konflikte der Gruppen untereinander von den Seiten des Gemeindeblattes weitgehend verbannt. Allerdings wird man sich im Gemeindeblatt vergeblich auf die Suche nach einer ausgewogenen Berichterstattung der verschiedenen jüdischen Gruppierungen machen. Das Blatt blieb dominiert von einer liberalen, am »Centralverein« (CV) orientierten Linie, wohingegen der Zionismus und seine Vertreter, Veranstaltungen und Aktivitäten deutlich zu kurz kamen.
Vor allem nach 1933, als ausnahmslos alle Juden
von den Diskriminierungen der Nationalsozialisten gleichermaßen betroffen waren und das Gemeindeblatt noch stärker zu einem Sprachrohr aller Juden werden sollte und musste, stieß seine Ausrichtung auf wachsende Kritik.
Es ist hier nicht der Ort, um alle wichtigeren Themen und Tendenzen des Blattes für die Zeit seines Erscheinens nachzuzeichnen. Von Interesse jedoch wird es sein, auf welche Weise die allgemeine Lage der schlesischen und insbesondere Breslauer Juden in der Weimarer Republik und später im Nationalsozialismus den Weg auf die Seiten des Gemeindeblattes fand. Die Folgen des Ersten Weltkrieges und die neuen, umstrittenen Grenzen in Schlesien setzten Breslau und seinem Umland in wirtschaftlicher Hinsicht schwer zu. Nach der Inflation 1923 jedoch stellte sich vorübergehend eine optimistischere Stimmung ein, der sich offenbar zum Teil auch die Gründung des Breslauer Jüdischen Gemeindeblattes verdankt. Zumindest war man der Auffassung, dass wenn selbst so kleine Gemeinden wie Nürnberg ein eigenes Gemeindeblatt besäßen, dies auch bei der drittgrößten Gemeinde im Deutschen Reich der Fall sein müsste.
Im Vordergrund standen neben Informationen aus der Breslauer und den übrigen schlesischen Gemeinden Artikel über jüdisches Leben in Deutschland sowie auch historische Beiträge und solche zur jüdischen Kultur. Spätestens 1926 jedoch gelangte die Auseinandersetzung mit Antisemitismus, wirtschaftlicher Krise und
(Fortsetzung auf Seite 3)