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Redaktion und Verlag: Wien I., Petersplatz 7 • Telephon U-210-17
2. Jahrgang Tischri 5695 - September 1934 Nummer 11
Von Prof. Michael Irrgang Hikkon iikrat eloha, Israel!
Rüste dich, deinem Gott zu begegnen, Jsrael!
Die geschichtliche Macht unserer Religion, die Lehre und Glaube zugleich ist, wird uns nur selten bewuht. Tage des Unglücks müssen kommen, damit wir jene spüren. Das Erleben der großen Weihestunden wird zu kostbarem Gut; es gibt uns den Mut zu weiterem inneren Leben und den Stolz des Bekenntnisses: Ich bin Jude! Aber die Bereitschaft mufj vorhanden sein, die Schauer eines höheren Seins zu empfangen, sich vom Zauber der Gebete, wie sie seit Jahrhunderten aus dem Mund der Gemeinde, des Sängers, des Predigers kommen, beseligen zu lassen.
Seit Jahrhunderten klingen sie ...
Die Melodien wecken Jugenderinnerungen noch bei denen, die alle Festessymbole bereits als erstarrt empfinden. Man steht im Gotteshaus, dem Feiertag hingegeben, dem Tag des Gerichts und dem Tag der Versöhnung, und wessen Seele sich breit öffnet, der fühlt den Zusammenhang mit den Geschlechtern aus jener Zeit, da die Bibel von den Urvätern erzählt. Und wieder ist ein Jahr vergangen und wieder beginnt ein neues. Das neue jüdische Jahr 5695.
Ein Rückblick: Das Volk Israel hat wieder ein Galuthjahr hinter sich, ein schicksalvolles, an Ereignissen reiches. Wir haben Stunden schwerster Besorgnis durchlitten. Falten tiefster Erschüttertheit haben sich in die Stirn jedes einzelnen Juden eingegraben, dem das Sein und der Glaube des Judentums am Herzen liegt. Es gab blutige Attacken in Polen und Rumänien, unbeschreibliche Wirtschaftsnot da und dort, antisemitische Parolen in Frankreich, antijüdische Exzesse in Griechenland und in Türkisch-Thrazien, seelisches und physisches Drangsal in Sowjetruhjand, grauenhafte Pogrome in Algerien. Ueberall in der Welt grausame Schläge gegen uns. Der Vernichtungsproze^ des Judentums im nationalsozialistischen Deutschland hat jüdische Ehre und Würde an der Wurzel zu untergraben versucht und selbst in Palästina, in Erez Israel, gibt es Kräfte, die unseren nationalen Willen zur Wiedergeburt unterminieren wollen.
Würden wir die uns von Gott her überantwortete Stellung innerhalb der Völker nur äußerlich sehen, nur als Objekt der Geschichte das Judenvolk betrachten, so müfjte uns Verzweiflung übermannen. Denn Worte und Wert des alltäglichen Lebens könnten uns keinen Trost bringen; sie könnten uns nur noch im Gefühl des Verlorenseins bestärken. Aber es gibt etwas, das uns über diese Zweifel und Aengste erhebt — der Glaube an die Unzerstörbarkeit des jüdischen Wesens, der Glaube an die Allmacht unserer jüdischen Lehre. So wird sie, wieder an der Wende eines neuen Jahres, zur unversiegbaren Kraftquelle für eine neue Hoffnung, für eine neue Entfaltung. Unsere grofje Geschichte — das ist unsere unerschütterliche Ueberzeugung — wäre sinnlos, hätten nicht wir, die Lebenden, die Gegenwärtigen, und sie, unsere Söhne und Töchter und Brüder und Schwestern, die Aufgabe mitbekommen, eben dieser Geschichte und allen großen Gedanken des jüdischen Genius die Treue zu wahren.
Das kommende Jahr wird eine Aera einleiten, die von der Ewigkeit unseres Seins Zeugnis ablegen wird. Wir sind hoffnungsvoll. Wir haben unseren unzerstörbaren jüdischen Glauben. Er ist die seelische Vorbereitung, die Hachscharath hanefesch für das kommende Jahr.
Und schon dringt ein neuer, ebenso anheimelnder Akkord an unsere Ohren . . .
Die Hohen Feiertage
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