Das Jüdische Echo
Nummer 16_ 22. Hpril 14. Jahrgang
Redaktlonsschlufl für die nächste Nummer: Dienstag abend
Die liberalen Rabbiner und der Zionismus
Die letzte Tagung des liberalen Rabbinerverbandes hat in den Mittelpunkt ihrer Aussprache das Verhältnis zwischen Zionismus und religiösem Liberalismus gestellt. Damit ist der Notwendigkeit Rechnung getragen worden, eine prinzipielle Auseinandersetzung zwischen zwei Ideen herbeizuführen, welche beide, wenn auch auf verschiedenen Gebieten, eine Erneuerung des Judentums anstreben. Der Liberalismus, ursprünglich in diesem Sinne gedacht, verlor jedoch mit der Zeit seine Bedeutung als wesentlicher Faktor der Erstarkung des jüdischen Lebens und wurde zum Fahnenträger einer Assimilation, welche gerade das Gegenteil, den Untergang des lebendigen Judentums, herbeizuführen drohte. Die Führer des Liberalismus übersahen vollkommen, daß religiöse Wiederbelebung undenkbar ist ohne einen lebendigen Träger der Idee — das jüdische Volk. Der Zionismus wäre, wie keine andere Bewegung, imstande, die sittliche und religiöse Renaissance zu unterstützen und zu fördern. Nun hat sich in den Kreisen der Anhänger des so mißverstandenen Liberalismus eine bewußt antizionistische Tendenz herausgebildet, die mit der Zeit zur unumstößlichen These führte: Zionismus sei direkt als Gegensatz des Liberalismus aufzufassen. Die Berechtigung dieser Auffassung zu prüfen war der Zweck der Aussprache auf der Tagung der liberalen Rabbiner.
Die von allen Teilnehmern gefaßte Resolution gibt kein klares Bild von den dort herrschenden Stimmungen. Sie besagt infolge ihres Kompromißcharakters lediglich, daß sie es „dem Verantwortungsgefühl eines jeden überläßt, welche Stellung er zum Zionismus einnimmt“. Aber auch das ist schon ein wichtiges Resultat, denn damit wird der propagierten Definition, religiös-liberal bedeute antizionistisch, der Boden entzogen. Aber das wesentliche Ergebnis der Tagung zeigte sich in den vom offiziellen Bericht mitgeteilten Diskussionsreden. Da zeigte sich, daß mit Ausnahme eines Redners, des Rabbiners Dr. Vogelstein (Breslau), der sich den bemerkenswerten Satz leistete: „...das Judentum ist mit jeder Nationalität vereinbar, bloß nicht mit der jüdischen“, die überwiegende Mehrzahl der Teilnehmer die ungeheure Bedeutung des Zionismus im jüdischen Leben voll und ganz anerkannte. Ja, nach dem Sinne der meisten Reden müßte die Resolution direkt eine Förderung der zionistischen Bewegung verlangen. Daß dies nicht der Fall war, erklärt sich daraus, daß die Resolutionen nicht mit Stimmenmehrheit, sondern einstimmig angenommen werden mußten. Aber trotz alledem ist die Tagung ein Beweis dafür, daß sich die Erkenntnis von der Kraft des Zionismus als der Erneuerungsbewegung par excellence im Judentum Bahn bricht.
Dieser offenen, in der Resolution nicht ausgesprochenen Zustimmung der liberalen Rabbiner
folgte allerdings bald darauf eine erneute Kampfansage der „Jüdisch-liberalen Zeitung“, die in den bemerkenswerten Schlußsätzen gipfelte: „Müssen wir den Kampf gegen den Zionismus ohne die Vereinigung der Rabbiner führen: gut, man wird uns auf dem Posten finden. Die Motive dieses Kampfes sind deshalb nicht weniger jüdisch und nicht weniger religiös.“
Wir haben es also immer noch mit der großen Masse der unbelehrbaren, auf ihre Assimilationstendenz eingeschworenen Gegner zu tun, die sich durch den Zionismus in ihrer Ruhe und ihrem Bestand bedroht fühlt. Die Feststellung, daß es jedoch kein weltanschauliches Hindernis im Liberalismus gegen die Mitarbeit im zionistischen Werk gibt, wird jedoch, wie wir hoffen, auf weite Kreise ihre Wirkung nicht verfehlen und sie zu seiner positiven Förderung veranlassen. S.
Aus der Diskussion
auf der Tagung des liberalen Rabbinerverbandes
„Der Zionismus ist ein großer Versuch, die Unnatürlichkeit eines verdorrenden Daseins in heroischer Anstrengung zu wenden. Wir begleiten das Aufbauwerk in Palästina darum mit herzlichster und tätiger Teilnahme.“ Dr. Wiener (Berlin).
„Die Blutsgemeinschaft ist der alleinige Boden der jüdischen Religion. Der altliberale Missionsgedanke hat sich für die Praxis als nicht gut brauchbar erwiesen; die Chaluziuth in Palästina aber ist pure Realität. Der Liberalismus muß Anschluß finden an die jüdische Volksgemeinschaft und im Sinne der nationalen Wiedergeburt wirken.“ Dr. Elk (Stettin).
„Man müsse dem Zionismus dankbar sein, daß er viele indifferente Kreise wieder der jüdischen Religion zugeführt habe.“ Dr. Galliner (Berlin).
„Bestimmen unter anderm Stammes- und Blutsgemeinschaft das Judentum mit, so ist auch durch diese die geschichtliche Kontinuität des Judentums mit bestimmt. Somit ist auch für das religiöse Judentum, ja gerade für das religiöse Judentum, der praktische Zionismus in seinem Rechte erwiesen. Aber auch aus einem anderen Grunde müssen wir uns mit dem Zionismus befreunden. Er verändert die Wirklichkeit, er tut also das, wozu der religiöse Liberalismus in seiner bisherigen Gestalt nicht imstande war.“
Dr. Grünewald (Mannheim).
„Wenn sich die liberale Theologie, die die Renaissance des Prophetismus will, verbindet mit den Kreisen, die die nationale Renaissance wollen, geht sie den Weg, der in ihren ureigensten Ideen angezeigt ist. Denn der Chaluz ist der jüdische Mensch, der bestehen kann vor den Idealen unserer Propheten.“
Dr. Maybäum (Bingen a. Rh.)