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Das Jüdische Echo

Nr. 4

beendeten Prüfung unterzogen. Jedenfalls erklärte Minister Zaleski, daß die Regierung die allge­meine Gültigkeit dieser Klagen anerkenne; er gab auch weiter zu, daß die Regierung die anti­jüdische Bewegung gewiß unterschätze. Er behaup­tete, daß die polnische Allgemeinheit den Antise­mitismus ablehne und daß auch die Nationaldemo­kraten verglichen z. B. mit dem deutschen Hit- lertum keine ausgesprochen antijüdische Partei wäre? (? Red.) Die Regierung sieht die Juden als wertvollen Faktor an und tue alles, um ihr Los zu erleichtern, man dürfe jedoch im gegenwärtigen Zeitpunkte nur mit größter Vorsichtigkeit Vor­gehen, um nicht den Vorwurf allzu großer Judenfreiund Schaft auf sich zu ziehen. (!)

Minister Zaleski erwähnte noch die Arbeit des beim Institut für Nationalitätenforschungen bestehenden Komittes zur Untersuchung der wirt­schaftlichen Bedürfnisse der polnischen Judenheit. Die Mitglieder des Komitees, dem hervorragende polnische und jüdische Wirtschaftskenner angehö­ren, haben das Ziel ihrer Forschungen in folgenden Punkten formuliert; 1. Aufhebung des Boykotts in Handel und Industrie. 2. Förderung des Exports jüdischer Erzeugnisse. 3. Vergrößerung des Kre­dits für jüdische Darlehenskassen. 4 .Reorganisie­rung des jüdischen Berufslebens.

Zum Abschluß bringt der Bericht eine allge­meine Analyse des jüdischen Lebens in Po­len. Das Komitee stellt darin fest, daß die Konsti­tution zwar alle sozialen kulturellen und wirt­schaftlichen Rechte der Juden voraussetzt, diese aber in der Praxis nicht angewendet werden. Die Juden werden in Polen zu staatlichen Stellungen überhaupt nicht und zu privaten Posten nur unter großen Schwierigkeiten zuge­lassen. Das Komitee hat niemals an demgu- ten Wüllen des herrschenden Regi­mes, den jüdischen Bürgern eine gerechte Be­handlung widerfahren zu lassen, gezweifelt, doch hegt es den Wunsch, daß dieser gute Wille endlich reale Formen annehme. In Polen läßt sich nämlich ein ungeheurer Unterschied zwischen offiziellen Er­klärungen und der Wirklichkeit bemerken, was vielleicht nur den niederen ausübenden Organen als Schuld beizumessen ist. Als Ergebnis dieser Sachlage führt der Bericht folgende Schlußfolge­rung an;

Es besteht kein Zweifel, daß der Regierung an dem guten Willen der Juden in und außer­halb Polens sehr viel gelegen ist. Ebenso zwei­fellos ist die Regierung auf das Prestige Polens als eines modernen und fortschrittlichen Staates be­dacht. Die jüdische Bevölkerung hat die völlige Bereitschaft, ihr Los mit dem des Landes zu ver­knüpfen bewiesen.

Eine gerechte Behandlung würde die jüdische Bevölkerung zweifelsohne zu einem mächtigen Faktor in der wirtschaftlichen und kulturellen Ent­wicklung Polens machen. Man darf jedoch von jü­discher Seite keine willige Mitarbeit erwarten, so­lange man diesen Teil der Bevölkerung nicht mit ganzen Herzen im das politische und kulturelle Le­ben des Landes aufnimmt und seine Mitglieder als gleichberechtigte Teilnehmer in allen Chancen und Verpflichtungen der Bürgerschaft anerkennt; so­lange man die Behandlung der Juden als fremde Eindrinlinge in ein Land, in der sie seit nahezu 10 00 Jahren le­ben, nicht aufgeben wir d. -n.

Raubmord an 6 jungen Juden in Rumänien

Kisch in eff, 11. Januar. Ein grauenerregen­der Fall von Massenraubmord hält die Judenheit in Beßarabien und im übrigen Rumänien in Erre­gung. Fünf jüdische junge Leute und ein Mädchen im Alter von 16 bis 20 Jahren, Kinder angesehener jüdischer Kaufleute in Soroca, in der Nähe der beßarabisch-russischen Grenze, wurden von Grenz­gendarmen aufgegriffen, an die Grenze geschleppt, dort durch Schüsse getötet und beraubt. Es wurde dann die Meldung ausgegeben, daß fünf Kommu­nisten und ein Schmuggler, der sie über die Grenze nach Rußland bringen sollte, von rumänischen Grenzgendarmen erschossen worden seien, als sie über die Dmjestr-Grenze nach Rußalnd entfliehen wollten und auf den Anruf der Grenzgendarmen, stehen zu bleiben, nicht achteten.

Es hat sich herausgestellt, daß die Erschossenen durch einen Schmuggler, der im Einverständnis mit Grenzfunktionären handelte, an die Grenze gelockt wurden und auch in die ihnen gestellte Falle gegangen sind. Für die Grenzgendarmen wäre es ein Leichtes gewesen, die jungen Leute zu verhaften, da der die Grenze bildende Dmjestr an dieser Stelle nicht zugefroren war und ein Ent­weichen nach Rußland gar nicht in Frage kam. Es steht überhaupt noch nicht fest, ob die jungen Leute die Absicht hatten, nach Rußland zu gehen. Den­noch wurden sie in bestialischer Wfeise erschossen und dann ausgeraubt. Tzichinowski, einer der sechs von den Grenzgendarmen erschossenen jungen Juden, der 14 Stunden nach dem Massacre noch gelebt hat, hat dem ihn vernehmenden Staatsan­walt noch wichtige Mitteilungen machen können. Aus seinen Aussagen geht hervor, daß die jungen Leute tatsächlich in eine Falle gelockt worden sind. Tzichinowski erzählte, er wie seine ermordeten Kollegen hätten sich auf die Arbeitssuche begeben wollen. Ihnen näherte sich der Schmuggler Papu- soju und sagte ihnen, sie mögen Geld mit sich neh­men, er werde sie über die Grenze führen, wo sie Arbeit finden werden. Papusoju setzte sich mit einem Korporal der Grenzgendarmerie in Verbin­dung. Beide hatten sich offenbar verabredet, die jungen Leute an die Grenze zu locken, sie dort zu erschießen und zu berauben; als dann die jungen Leute sich der Grenze näherten, wurden sie für verhaftet erklärt, in ein Außenviertel der Stadt Soroca geführt und aus einer Entfernung von etwa fünf Metern erschossen, wobei auch einige Hand­granaten geworfen wurden. Das Geld war ihnen vorher abgenommen worden.

Daß es sich nicht um eine Erschießung auf der Flucht, sondern um ein beabsichtigtes Massacre handelt, geht schon daraus hervor, daß fast sämt­liche Schüsse Brustschüsse waren.

Die Erregung über die sechsfache Mordtat in der Stadt Soroca selbst ist so ungeheuer, daß der Be­lagerungszustand über die Stadt verhängt worden ist. Der jüdische Deputierte für Beßarabien, Dr. Michael Landau, ist in Soroca eingetroffen, und hat einen Aufruf an die Bevölkerung erlassen, die Ruhe zu bewahren.

Gleich nachdem der Mord und die näheren Um­stände dieses Mordes bekannt geworden sind, wurde im der gesamten rumänischen Öffentlichkeit und in der Presse die Forderung laut, daß die Un­tersuchung den Militärbehörden, zu deren Metho­den man schon nach der erstem offiziellen Verlaut-