JÜDISCHES GEMEINDEBLATT
FÜR DIE NORD-RHEINPROVINZ UND WESTFALEN
NUMMER 4 24. MAI 1946 1. JAHRGANG
Wiedergutmachung?
Wenn man an diese FragO herantritt, so erfüllt einen diese nicht nur mit Wehmut, sondern auch mit bangen Zweifeln. Gibt es überhaupt eine Wiedergutmachung für all die ungeheuerlichen Leiden und für all die Verluste, die wir an Leib und Seele bringen mußten, für alle die Grausamkeiten, die man uns zugefügt und für das Viele, was wir verloren haben und wenn wir uns als jüdische Gemeinde heute zusammenfinden in einem gemeinsamen Bestreben, um jedenfalls materiell einen kleinen Teil von dem wieder gutzumachen, zu dem Menschen in der Lage sind, so lassen wir uns nicht von Gedanken der Rache und des Hasses tragen, sondern von dem Gedanken der Gerechtigkeit. Wir wollen von dem anständigen Teil des deutschen Volkes und von denen, die auch in den schärfsten Zeiten zu uns gestanden haben, keine übergroßen Opfer fordern. Wir fordern aber von denen, denen das System des Nationalsozialismus unverdienten Gewinn gebracht hat, daß diesen der Gewinn fortgenommen wird, um damit einen kleinen Teil dessen wieder gutzumachen, was sie schlechtgemacht haben. Hier haben wir die Möglichkeit, eine Quelle zu erschließen, die dem Volksganzen keine neuen großen Opfer bringen und der Gerechtigkeit entsprechen. Diese Beträge sollten weggesteuert und einem Zentralfond unter Kontrolle der Militärregierung zugeführt werden.
Wir haben zu unterscheiden die drei großen Kathegorien jüdischen Besitzes:
1. Das jüdische Gemeindeeigentum.
2. Das Eigentum unserer Glaubensgenossen, die entweder selbst oder deren Erben die Schrecken des Hitlersystems überlebt haben.
3. Die großen Massen derjenigen Beträge und der Güter, die denen gehören, die nicht mehr unter uns weilen.
Zu 1. Es ist klar, daß wir nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, auch das letzte Stück jüdischen Gemeindeeigentums zurückzufordern von jüdischen Gemeinden, die in unserem Landesverband organisiert sind, die Rechtsnachfolger derjenigen Gemeinden, die durch die Hitlerzeit so stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Wir sind auch berechtigt, unsere Ansprüche anzumelden für diejenigen Beträge, die die von der Gestapo geschaffene Reichsvereinigung der Juden in Deutschland teilweise unter Zwang, teilweise auch so sich angeeignet hat, und wie es auch sei, wir melden unsere Rechte an. Wir sind erfreut, festzusteiien, daß die englische Militärregierung uns zur Wiedererlangung unserer Rechte weitgehendste Hilfe zugestanden hat. Die Gesetze sind in Vorbereitung, und wir hoffen bald Näheres hierüber berichten zu können.
Zu 2. Inzwischen hat die Militärregierung das jüdische Eigentum gemäß Artikel 52 blockiert. Wir müssen uns etwas in Geduld fassen, aber auch hier haben wir das volle Verständnis der Militärregierung und ihre wohlwollende Unterstützung. Wir sind uns der großen Schwierigkeiten bewußt, die uns auf diesem Gebiete bevorstehen, und trotzdem lassen wir uns in keiner Weise irgendwie entmutigen. Wir werden gemeinsam mit den Gemeinden der amerikanischen und französischen Zone, wie wir es bereits axif zwei gemeinsamen Sitzungen in Stuttgart getan haben, die Ziele ausarbeiten und dann mit Hilfe unserer anglo-ame- rikanischen Freunde auch gemeinsam unsere Wünsche den hohen Militärregierungen vortragen. Wir sind auch hier gewiß, auf volles Verständnis zu stoßen. Vermeiden wollen und müssen wir, daß sich nicht außerhalb der deutschen Grenzen geschäftstüchtige Menschen zusammenfinden, die
glauben, mit der Not ihrer Brüder Geschäfte machen zu können, denn wir haben nur eine Antwort darauf, daß wdr als souveräne deutsche Gemeinde mit der Hilfe unserer alliierten Freunde, der jüdischen Organisation und den berufenen Vertretern des internationalen Judentums bereit sind, getragen von dem Idealismus des jüdischen Volkes, alleine die Maßnahmen zu treffen, die zur Rückführung des jüdischen Eigentums notwendig sind. Keiner ist berechtigt, Kapital zu schlagen aus der Not der anderen. Keiner hat das Recht, Vorschüsse zu nehmen, wenn die Organisationen und wir uns unentgeltlich zur Verfügung stellen zur Wiedererlangung der verlorengegangenen Rechte.
Dann komme ich zu Punkt 3, der Frage der großen Masse des jüdischen Eigentums, welches in Milliarden geht. Unsere Ziele: auch das letzte Haus, das letzte Stück Möbßl und den letzten Pfennig zurückzuholen, der unseren Brüdern, die nicht zurückgekehrt sind, geraubt wurde, nicht für individuelle Interessen, sondern für die Allgemeinheit, das ist unser Ziel und unser Beruf. Wir sind uns darüber klar, daß wir hier eine schwere Arbeit zu leisten haben, und hierzu brauchen wir die Hilfe aller, die bereit sind, an der Wiedererlangung des jüdischen Eigentums mitzuarbeiten Wir sind uns über alle diese Schwierigkeiten voll im klaren, wir werden aber hier mit der uns eigenen Energie und * dem. Willen weiterkämpfen, wir wissen, daß das unser Recht ist. Es ist verfrüht, auf Einzelheiten einzugehen. Ich werde in einigen Wochen mit einem ausführlichen Programm, über das, was wir wünschen und was wir wollen, und was wir mit Gottes Hilfe erreichen werden, an die Öffentlichkeit herantreten. Wir haben uns auf der gemeinsamen Konferenz in Stuttgart, wo die Gemeinden der englischen, amerikanischen und französischen Gemeinden vertreten waren, auf Punkte geeinigt, was wir von der Wiedergutmachung erwarten. Wir haben uns zunächst auf ein Sofortprogramm geeinigt.
1. Die bezahlte Judenvermögensabgabe.
2. Die Reichsfluchtsteuer, die nach dem 15. 9. 1935 bezahlt wurde, und in den Fällen in der Zeit vom 30. r. 1933 bis zum 15. 9. 1935, in welcher der Berechtigte aus- wanderte, weil er sein Amt oder seinen Beruf durch Gesetz oder Verordnung nicht mehr ausüben durfte, oder durch direkten Zwang nicht mehr ausüben konnte.
3. Die anläßlich der Auswanderung bezahlte Abgabe an die Deutsche Golddiskontbänk.
4. Die Abgabe an di-e Reichsvereinigung der Juden anläßlich der Auswanderung.
(Sollte die Kultusvereinigung völligen .Ersatz des ihr beschlagnahmten Vermögens erhalten, so wird sie verpflichtet, diese Beträge zurückzubezahlen.)
5. Die Beträge, welche die nach Theresienstadt Deportierten unter der Vorspiegelung, daß sie in ein Altersheim kämen, auf ein Sonderkonto einbezahlten.
6. Die Vermögen, welche den Deportierten bei der Deportation beschlagnahmt wurden. (Deckt sich zum Teil mit § 15 .)
7. Die Nachlässe von Juden, welche der Staat eingezogen hat. (13. V.O. zum R.B.-Ges.)
8. Die zu Unrecht gestrichenen oder gekürzten Pensionen oder Abfindungsansprüche.
Die zwangsweise an die Preußische Staatsbank abgelieferten Aktien zu einem niedrigeren Kurs als dem Tageskurs oder gegen Staatspapiere.
10. Die auf Grund der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz eingezogenen Vermögen der im Ausland befindlichen Personen.
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