JÜDISCHES GEMEINDEBLATT

FÜR DIE NORD-RHEINPROVINZ UND WESTFALEN

NUMMER 7 10. JULI 1946 1. JAHRGANG

Alfred Philippsons Lebenswerk

Von Prof. C. Troll

Am 18. Februar 1946 verlieh die Mathematisch­naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Bonn Herrn Geheimrat Prof. Dr. A, Philippson den Titel eines Ehrendoktors, und zwar im Rahmen eines geographischen Festkolloquiums, in dem A. Philippson einen Vortrag über das Aegäische Meer hielt. Einleitend gab der Direk­tor des Geographischen Instituts, Prof. C. Troll, eine Würdigung des wissenschaftlichen Lebens­werkes Philippsons, der die folgenden Zeilen entnommen sind:

Die Redaktion.

Für die Universität Bonn und wie aus zahlreichen Zu­schriften aus dem ganzen Lande hervorgeht' für die ganze deutsche Geographie bedeutet es eine besondere Freude und Genugtuung, daß in den Kreis der Bonner Universität der Mann wieder zurückkehren konnte, an dessen Namen die Geschichte der Bonner Geographie weit­aus am meisten geknüpft ist, Herr Geheimrat Prof. Dr. Alfred Philippson. Trotz seines hohen Alters er ist vor über 82 Jahren in Bonn geboren hatte er sich im Winter­semester 1945/46 wieder am Vorlesungsbetrieb beteiligt. Sein Vortrag im geographischen Kolloquium war uns Ver­anlassung, in dankbarer Bewegung die Fügung des Schick­sals zu empfinden, daß er die fürchterlichen Jahre der Not, der Gefahr und des Krieges überstanden hat und als der nunmehrige Altmeister der deutschen Geographie schaffend unter uns weilt. Wir wollten uns bei dieser Gelegenheit bewußt sein, daß er vor 55 Jahren als Dozent der Geo­graphie hier in Bonn seine akademische Laufbahn begann und daß er vor 60 Jahren, am 20. Oktober 1886, in Leipzig zum Doktor der Philisophie promovierte, also in diesem Jahre sein diamantenes Doktorjubiläum feiern kann Grund genug, sein geographisches Lebenswerk in Erinne­rung zu rufen.

Versetzen wir uns als Geographen in die Zeit zurück, als Philippson hier in Bonn seine Kindheit verlebte! Alexander v. Humboldt hatte kurz 1 vorher, 1859, sein Lebenswerk vollendet, Carl Ritter im gleichen Jahre das seinige unvoll­endet hinterlassen. Die heroische Afrikaforschung war am Werk, die größten Rätsel des schwarzen Erdteils zu ent­schleiern. Männer wie Oskar Peschei und Elisee Reclus gingen daran, der modernen wissenschaftlichen Erdkunde das Fundament zu legen. Ferdinand von Richthofen aber, den wir als den eigentlichen Begründer der modernen Geo­graphie betrachten, der sie auf Naturbeobachtung und exakte Kausalforschung fundiert hat, führte damals seine Forschungen in China aus. Von China heimgekehrt, wurde er mit der 1875 begründeten ordentlichen Professur für Geographie in Bonn betraut, die er dann nach der Nieder­schrift des ersten BandesChina 1879 antrat. Unter v. Richthofens Führung, als einer seiner ersten Schüler, konnte A.. Philippson 1882, 18jährig, sein Studium auf­nehmen. Die enge Verbindung von Geologie und Geo­graphie, besonders in der Geomorphologie, die v. Richt­hofen vom ursprünglichen Geologen zum vielseitgen Geo­graphen werden ließ, hat auch Philippson von Anfang an gepflegt. Seine Erstlingsarbeit, die er schon als 19jähriger Student veröffentlichte, war eine mikroskopische Unter­suchung nordnorwegischer Gesteine, v. Richthofens Beru­fung nach Leipzig 1883 zog auch den Schüler dorthin. In Leipzig bearbeitete er seine Dissertation überDie Wasser­scheiden, die schon 1886 im Druck erschien. Es war eine bedeutsame Zeit in der Entwicklung der Geologie und Geo­graphie: 1885 war der erste Band von Eduard SuessDas

Antlitz der Erde erschienen, im gleichen Jahre 1886 ver­öffentlichte v. Richthofen das erste Lehrbuch der Geomor­phologie unter dem TitelFührer für Forschungsreisende. Schon der erste Satz in Philippsons Dissertation nimmt auf die Grundfrage der Geomorphologie, den Antagonismus der formbildenden Vorgänge, das Gegenspiel der geotektonischen und der klimatisch-exogenen Faktoren Bezug, das auch die seitherigen Lehrgebäude beherrscht hat.

Eine Vorarbeit dieser Dissertation, eine Studie über das Flußgefälle, 1886, läßt uns heute Philippson als Klassiker der Geomorphologie erscheinen. Ausgehend von dem von Powell eingeführten Begriff der Erosionsbasis und von hydromechanischen Betrachtungen der Kulturtechniker ent­wickelte er schon in dieser Jugendarbeit mit erstaunlicher Klarheit und Prägnanz seine Erosionstheorie, die bis zum heutigen Tag unbestrittenes Gemeingut der Wissenschaft geblieben ist. Er stellte erstmals den Begriff der Erosions- terminante auf und erläuterte das Phänomen der rück­schreitenden Erosion. So hatte sich der 28jährige Philippson bereits aufs glänzendste in die geographische Wissenschaft eingeführt.

In solcher Lage pflegt einen jungen Geographen das Fell zu jucken und die Reiselust zu packen. Schon als Schüler hatte er Reisen nach der Schweiz, nach Belgien und Eng­land ausführen können. Bei der Ausschau nach fremden Ländern, die besonders lohnen, fiel die Wahl unter Bera­tung seines Lehrers auf Griechenland. Er wandte sich ziel­bewußt ausgedehntesten Feldforschungen im östlichen Mittelmeergebiet zu, die ihn drei Jahrzehnte fesselten, die zum Kernstück seines vielseitigen Lebenswerkes wurden und die er noch im höheren Alter durch weitere Reisen nach Griechenland und vor allem auch nach dem südlichen und mittleren Italien erweiterte. Systematisch werden von 18871896 nacheinander der Peloponnes, Thessalien, Epirus und die Aegäischen Inseln bereist, damals natürlich nicht mit Auto,, sondern in der Hauptsache zu Pferde. In drei Werken über den Peloponnes, über Nordgriechenland und die Aegäischen Inseln, die die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin als Glanzleistungen geographischer Feldforschung herausstellte, wurden die Ergebnisse verarbeitet, vor allem auch kartographisch in topographischen und geologischen Karten 1 : 300 000.

Die Aegäischen Inseln waren das Sprungbrett von Europa nach Kleinasien hinüber. Von 19001904, 3640jährig, also in der Vollkraft der Jahre und des geographischen Könnens, hat Philippson das ganze westliche Kleinasien bereist und aufgenommen. Dem in fünf Teilen erschienenen Werk ist ein ganzer Atlas selbst aufgenommener geographischer und geologischer Karten 1 : 300 000 beigegeben. Kein Forscher hat seither wieder mit der gleichen Zielstrebigkeit, Voll­ständigkeit und Genauigkeit in diesen Gebieten gearbeitet. Vom- Peloponnes bis Westkleinasien sind seine Reiseauf­nahmen bis zum heutigen Tag die wichtigsten Quellen der Unterrichtung geblieben. Philippson war auch vollwertiger Geologe, die Kykladenmasse und die Lydokarische Masse sind von ihm entdeckt worden. Kein Wunder, daß er Mit­arbeiter der Internationalen Geologischen Karte von Europa für diese Gebiete wurde und auch Kleinäsien im Handbuch der regionalen Geologie bearbeitete. Aber die Früchte seiner Reisen erstreckten sich auch auf andere Gebiete,, auf Klimatologie, Vegetationskunde (Vegetationskarten von Kleinasien und vom Peloponnes), auf Völker und Be­völkerung, Wirtschaft, Kulturpflanzen und Nutztiere. Für die archäologischen Ausgrabungen im ägäiscben Raum, für die durch den Vulkanausbruch verschüttete mykenische Kultur von Santorin (Thera), für die Ausgrabungen des jonischen Milet und der hellenistischen Bauten von Per­gamon hat Philippson die geographisch-geologischen Bei­träge geliefert.

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