liches Ausland ist und daß es infolgedessen fast gar keine Konsulate in Deutschland gibt, erschwert nach dieser Hin­sicht alles.)

Die Einwanderungsbestimmungen der einzelnen Länder waren auch noch vor dem zweiten Weltkrieg von Jahr zu Jahr zunehmend schwerer geworden. 1933 konnte man noch leichter auswandern. Das Reich war noch nicht dazu über- g-egangen, aus der Auswanderung der Juden ein Geld­geschäft zu machen. Man verzichtete noch darauf, die Aus­wanderung dadurch zu erschweren, daß man ihnen prak­tisch den größten Teil ihres Vermögens auf gesetzlicher Basis (Fluchtst§uer u. a. m.) raubte. Man war noch nicht darauf gekommen, sie ihre Sachwerte nur dann nehmen zu lassen, wenn sie diese durch eine hohe Sonderabgabe (ein merkwürdiger Sonder-Zoll) praktisch noch einmal er­warben. Man verzichtete zunächst noch darauf, sienur mit einem Rucksack bewaffnet wegzujagen, wie es Goebbels einmal ausnahmsweise richtig prophezeite. Man ließ die Auswanderung noch in verhältnismäßig humanen Formen vonstatten gehen. Aber man stellte mit Überraschung fest, daß eine große Zahl von Juden sich zu einer Auswanderung nicht entschließen konnte. Vielleicht hätte keiner gezögert, wenn er gewußt hätte, was uns wirklich bevorstand. Aber wer wußte das? Es spricht nicht gegen die Juden, daß sie sich von all den Grausamkeiten, die über sie ergehen sollten, nicht die richtige Vorstellung gemacht haben. Sie glaubten an Recht und Gesetz und hatten wohl rechnen können, daß man sie entsprechend der nationalsozialisti­schen Theorie aus manchen Berufen herausdrängen würde; daß man aber Menschen so rechtlos machen könnte, wäre ihnen wie uns allen ein Beweis für finsterstes Mittelalter gewesen, und an dies zu glauben, das wagte niemand im 20. Jahrhundert. Wir bauten auch auf das Wort des Reichs­präsidenten von Hindenburg, der in den ersten Februar­tagen 1933 die Vertreter der jüdischen Organisationen aller Richtung bei sich empfing und ihnen die beruhigend klingende Versicherung gab, daß er niemals die Schmä­lerung der Rechte eines Menschen zulassen würde, der unter seinem Befehl deutscher Soldat gewesen ist. Aber Hindenburg starb bald, und niemand war da, der zu dem Worte stand, das er als Reichsoberhaupt gegeben hatte. Aber letzten Endes war ja auch der Wille zur Auswan­derung gar nicht so stark, wie es heute vielfach behauptet wird. Gewiß, mancher wollte auswandern und konnte es nicht, weil er diese oder jene Voraussetzung nicht zu erfüllen in der Lage war. Aber viele konnten auswandern und wollten es nicht. Sie wollten in dem Lande bleiben, dessen Sprache sie sprachen, dessen Kultur sie liebten, mit dessen Menschen sie verbunden waren und zu denen sie sich in schwerer Zeit stets bekannt haben. Sie haben im Weltkrieg für Deutschland gekämpft und geblutet, und sie haben nach dem Weltkrieg in den abgetretenen Gebieten große persönliche Opfer für Deutschland gebracht. Man soll ja z. B. nie vergessen, daß es beispielsweise in Posen die Juden waren, die die Fahnen des Deutschtums 1918 hoch­gehalten haben, und daß es fast nur deutsche Juden waren, die dort in die polnischen Konzentrationslager (um Irr- tümern vorzubeugen, sei bemierkt, daß diese Konzentrations­lager mit denen des Dritten Reiches nur die Bezeichnung gemein haben) wandern mußten. Man soll heute zurück­blickend nicht annehmen, daß diese Zeit etwa frei von Ent­täuschungen war. Man denke nur an die üble Juden­statistik während des Weltkrieges und ihre Verfälschung durch General von Wrisberg, der der späteren antisemiti­schen Propaganda der Goebbels und Konsorten bewußt da­mit Material in die Hand spielte, daß er erst einmal be­hauptete, 11 Prozent der jüdischen Soldaten haben sich aüf Druckposten hinter der Front befunden, was er dann selber am nächsten Tage auf 1,1 Prozent alsSchreibfehler berichtigen mußte (Semper aliquid haeret). Und so erklärt es sich nicht zuletzt, daß von 1933 bis 1939 in keinem einzigen Jahr die Einwanderungsquote ausgenutzt worden ist, die Deutschland und damit den deutschen Juden für die USA zur Verfügung stand.

Es war jedenfalls schwerer, auszuwandern, als der Außen­stehende annahm, und mancher wohlmeinendeArier, der einem so gern die Frage vorlegte:Warum wandern Sie eigentlich nicht aus?, ahnte gar nicht, wie dieser Weg in die Freiheit mit Dornen und Disteln gepflastert war. So kam es, daß der Wille zur Auswanderung vielfach erst da­durch erhöht werden konnte; daß der Druck auf die Juden immer mehr verstärkt wurde. Es gab Schikanen über Schikanen. Man kann sie heute gar nicht mehr alle auf­zählen. Das menschliche Gedächtnis reicht nicht dafür aus,

sie heute in einigermaßen historischer Reihenfolge darzu­tun. Der Jude war rechtlos und wurde von Monat zu Monat rechtloser. Die Bespitzelungen durch die Behörden und Partei nahmen zusehends zu, die letzten Rechte der Freiheit waren aufgehoben, die Betätigungen in Beamtenstellen, in Kunst und Kultur waren schnell unmöglich gemacht. Aber auch der Ausschluß der Juden aus dem Wirtschaftsleben wurde immer drückender. Selbständige jüdische Geschäfte gab es nach 1938 überhaupt nicht mehr, alle ihre Unter­nehmungen wurdenarisiert. Der Jude selbst wurde einem Arbeitseinsatz unterworfen, wie er drückender nicht denk­bar war. Männer und Frauen, jung* und alt, wurden zur Fabrikarbeit gezwungen, und gleichzeitig mit der erhöhten körperlichen Anstrengung wurden die Essensrationen ver­kürzt. Die Rationierung der Lebensmittel wurde bei den Juden besonders scharf durchgeführt. Fleisch, Butter, Eier, Gemüse, Käse erhielten sie überhaupt nicht. Die Benutzung der Verkehrsmittel war ihnen untersagt, wenn zwischen Arbeitsstätte und Wohnung ein Weg von nicht mindestens fünf Kilometer war. Ein großer Teil der jüdischen Arbeiter­schaft mußte also den Weg zur Arbeitsstätte bei mangel­hafter Ernährung zu Fuß zurücklegen. Eine Umgehung dieser Bestimmung, die zum Gastod im KZ. geführt hätte, war durch den Judenstern unmöglich gemacht. Dabei mußte man sich noch davor hüten, krank zu werden. In 1 den letzten Jahren bedeutete auch eine kurzfristige Krank­meldung meistens den Tod, denn wer der Gestapo als wiederholt krank gemeldet war, galt als nutzloser Esser und wurde zu den nächsten Transporten eingeteilt, die die Masse von ihnen nach Polen und Schlesien in die Lager brachten, die heute als die großen Vernichtungslager bekannt sind.

Gewiß, man hätte politisch klüger verhindern müssen, daß es jemals so weit kam, und wenn jeder in dieser Hin­sicht vielleicht mitschuldig sein mag, es wäre ungerecht und unberechtigt, nun jedermann für das verantwortlich zu machen, was sadistische Gehirne und sonstige Abnor­mitäten sich nachher ausdachten. Letzten Endes ist es nicht zu bestreiten, daß wir Juden selbst erst sehr spät erfahren haben, was wirklich geschah. Die Vergasungen von Au­schwitz, die anderen Schandtaten in den Todeslagern von Mauthausen, Meidanek, Ravensbrück und Buchenwald hiel­ten wir beispielsweise im Lager Theresienstadt nur für Gerüchte, ja, sogar maßlos aufgebauschte Gerüchte. Was beispielsweise wirklich in Auschwitz geschehen war, er­fuhren wir in Theresienstadt authentisch erst im Frühjahr 1945, als einige wenige Überlebende nach der Auflösung von Auschwitz zu uns zurückkamen. Man wird im Interesse einer gerechten Beurteilung seiner Mitmenschen sachlich sein müssen und sachlich sein wollen. Kein Schuldiger soll straflos ausgehen, aber kein Unschuldiger darf mit Schuld belastet werden. Und im Sinne einer künftigen Beruhigung der Gemüter wäre hier mehr Objektivität dringend am Platze.

Aber die Beurteilung der Mitmenschen durch die, die so haben leiden müssen, wird nicht zum geringsten beeinflußt werden dadurch, wie man sich heute denen gegenüber ver­hält, die diö schwersten Opfer des Regimes geworden sind. Kein Jude wird heute der Meinung sein, daß nur die Juden Opfer des Nazismus sind. Wer gerecht 'denkt, wird sogar zugeben müssen, daß nicht diejenigen, die Opfer des Fa­schismus sind, eine Ausnahme darstellen, sondern daß die­jenigen die Minderzahl imi deutschen Volk sind, die nicht irgendwie Opfer des Faschismus geworden sind. Aber wäh­rend die einen von diesem Regime immer wieder als die Volksgenossen apostrophiert worden sind und man ihnen nicht immer ganz ohne Erfolg einredete, sie seien die Herrenrasse, die Edelrasse der Welt, lebten die Juden zwölf Jahre lang in Deutschland unter dem Fluch, als eine Paria­rasse angesprochen zu werden. Jede Demokratisierung Deutschlands setzt voraus, daß es wieder eine Gleichheit der deutschen Menschen gibt, ohne Unterschied von Rasse, Religion und Parteizugehörigkeit, und diese Gleichheit der Menschen wird und muß sich darin manifestieren, daß Menschen, die man aus Gründen der Religion, der Rasse oder politischen Ansicht aus den Kreisen des Volkes aus­schloß, heute wieder in die ihnen zukommenden Stellungen zurückgeführt werden. Hier muß eine wirtschaftliche neben der moralischen Wiedergutmachung Platz greifen, nicht weil sie Juden sind, sondern weil sie Opfer eines Regimes sind, und weil das Regime nur dadurch innerlich überwunden werden kann, daß man den Geist überwindet, dem dieses denn die zwölf Jahre tausendjähriges Reich hätten wir alle nicht zu erleben brauchen, wenn in uns allen das wirk-