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Nr. 50
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länger!, die Empörung des jüdischen Volkes gegen ein solches, mittelalterliche Formen tragendes Justizsystem überhört. Die Kundgebung stellt fest, daß dieses Vorgehen aus politischer Feindschaft der palästinensischen Justizbehörde gegen jenen Teü der palästinensischen Judenheit geboren ist, die das mandatswidrige Verhalten Englands im Lande am lautesten in die Welt schreit.
Die Kundgebung stellt ferner fest, daß die jüdischen Sozialisten Palästinas es waren und sind, die den britischen Häschern Handhabe und Möglichkeit für die Inszenierung dieses justizskandals schufen. Beide, die britische Verwaltungsbehörde und die jüdische sozialistische Partei, wollen durch diesen Prozeß die Aufmerksamkeit von ihren Freveltaten gegen das jüdische Befreiungsideal ablenken.
Die Kundgebung protestiert gegen eine solche verbrecherische Attacke, fordert die sofortige Freilassung der drei Juden und richtet an die gesittete Welt den Appell, dem jüdischen Volk in seinem Kampf für ein unabhängiges Justizwesen in Palästina beizustehen.
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Vladimir Jabotinsky:
Der Prozeß
l.
Dieser Tage beginnt in Palästina der Prozeß gegen Stavsky, Rosenblatt und Achi-Meir. Die beiden ersleren werden der Ermordung Arlosoroffs beschuldigt, während dem dritten die Anstiftung zum Mord zur Last gelegt wird. Da nun viele Juden den Prozeß mit ganz besonderem Interesse verfolgen und aus den kurzen telegraphischen Nachrichten die Einzelheiten nicht leicht zu verstehen sein werden, ist ein Resümee des Tatbestandes von Nutzen. Hier das Resümee: „Objektiv“ ist es nicht, denn ich bin von der Unschuld der drei Angeklagten überzeugt; ich bin auch dessen sicher, daß nach den ersten zwei oder drei Tagen des Zeugenverhöres — sogar nach den Zeugen des Staatsanwaltes — auch die Richter davon überzeugt sein werden. Vom Standpunkt der Anklage ist der Prozeß verloren, aussichtslos und hoffnungslos.
Freitag nachts, am 16. Juni v. J., zwischen 10 und 11 Uhr, ist auf den Sanddünen neben Tel-Awiw Arlosoroff erschossen worden. Der einzige Tatzeuge war Frau Arlosoroff, die nachher den Verlauf der Ereignisse folgendermaßen beschrieb: Sie ging mit ihrem Mann am Meeresufer spazieren, in der Richtung nach Norden. Der Weg war menschenleer. Während ihres Spazierganges erblickten sie zwei Männer, die in derselben Richtung gingen. Einige Male gingen sie und ihr Mann an den bei.den vorüber, und einige Male umgekehrt — die beiden an ihnen. Auf dem Rückweg dasselbe. Schließlich blieben jene beiden stehen und warteten auf das Ehepaar Arlosoroff, bis der eine auf hebräisch fragte: „Kamah schaah?“ Der zweite drückte einen Schuß ab. Der Mann, der fragte, war hochgewachsen und dick und hatte während des Fragens Dr. Arlosoroff mit einer Taschenlampe beleuchtet; der Mann, der schoß, war klein und hager.
Am 10. Juni wurden der Frau Arlosoroff im Hof des Polizeigefängnisses zehn verschiedene Menschen vorgeführt, unter denen sie Stavsky als den hochgewachsenen Mörder erkannte. Viel später, am 24. Juli, wurden ihr andere zehn Personen gezeigt, -von denen sie wieder Rosenblatt als jenen Mann erkannte, der schoß. Sie war aber dessen noch nicht ganz sicher, denn der Mörder war unrasiert und Rosenblatt während der Agnoszierung glattrasiert. Sie bat daher, man möchte ihr den jungen Mann einige Tage später nochmals zeigen, wenn sein Gesicht wieder behaart sein werde. Das geschah, und bei der zweiten Prüfung erklärte sie mit iBestimmtheit, daß er der Mörder sei.
Sofort nach der Tat brachte die Polizei zwei Beduinen zur Stelle, die bei ihr als Fußspurenforscher bedienstet sind und die die Fußspuren der zwei Verbrecher gründlich in
Augenschein nahmen. Nach der Verhaftung Stavskys ließ man ihn auf dem Sande laufen zusammen mit fünf anderen; die Spurendeuter wurden geholt, die dann von den sechs verschiedenen Spuren auf die Stavskys zeigten, als jenen eines der beiden Mörder zugehörig. Später, als Rosenblatt verhaftet wurde, nahm man auch mit ihm dasselbe vor, aber nun erklärten die Beduinen, nach so langer Zeit (mehr als ein Monat) sich an die Fußspuren des kleineren Mörders nicht mehr erinnern zu können.
In der Nacht nach dem Verbrechen fertigte die Polizei Gipsabdrücke von den Spuren im Sande an, worauf ein Polizeioffizier, ein Fachmann, die Ab- 5 * drücke zunächst mit den Schuhen Stavskys, später mit denen Rosenblatts verglich. Er konnte aber kein sicheres Urteil fällen, ob es dieselben Spuren seien: die einen waren nämlich kürzer, die anderen länger, breiter, schmäler — die Abdrücke wären überhaupt mißlungen, sagte er.
Nach der Verhaftung Rosenblatts wurden der Frau Arlosoroff zehn verschiedene Oberkleider gezeigt, und sie erkannte jenes, das Rosenblatt gehört.
Die Anklage gegen Achi Meir basiert auf seinen Schriften, gedruckten und handgeschriebenen. Sie behauptet nicht, daß er sich persönlich am Mord beteiligt habe, sagt aber, daß er Stavsky und Rosenblatt die Ausführung des Verbrechens anbefohlen habe. Um das lange Resümee nicht zu komplizieren, will ich diese Schriften Achi Meirs nicht zergliedern (wir werden dazu später Gelegenheit haben). Es ist klar, daß, wenn jene zwei unschuldig sind, auch die Anklage gegen Achi Meir fallen muß. Wir werden deshalb vorläufig uns mit diesen beiden befassen.
2 .
Stavsky sagt, daß er jenen Freitag und den darauffolgenden halben Samstag in Jerusalem zubrachte. Er sagt, daß er gegen fünf Uhr ins Hotel des sephardiischen Juden Turgeman gekommen sei und dort ein Bett für die Nacht gemietet habe. Er sei nachher spazieren und beim Essen gewesen. Gegessen habe er im Restaurant ,yHascharon“, habe um acht Uhr die Mahlzeit beendet, sei ins Hotel gegangen, habe sich ins Bett gelegt und eine halbe Stunde gelesen, und sei sodann eingeschlafen. Um sechs Uhr morgens ist er aufgewacht; die anderen drei Betten des Zimmers waren bereits belegt, und mit dem einen der Nachbarn der vergangenen Nacht, Moscheh Mendelbaum, habe er gesprochen.
Der Hotelbesitzer, Herr Turgeman (der um einige Monate später starb), erklärte gleichfalls vor der Polizei, daß dem so gewesen sei: Stavsky hat gegen fünf Uhr das Bett gemietet, ist dann weggegangen, um acht Uhr abends wieder zurückgekommen, und
als er, Turgeman, die anderen öäsfe ins Zimmer führte, hat Stavsky in seinem Bett bereits geschlafen, und das war gegen zehn Uhr nachts. Daß Stavsky um fünf Uhr erschienen sei, um das Bett zu mieten, ist auch von Turgemans Tochter bestätigt worden.
Auch die Polizei anerkennt zwei Tatsachen: 1. daß Stavsky das Bett um fünf Uhr gemietet habe; 2. daß er Samstag morgens um sechs Uhr tatsächlich wieder in jenemi Bett war und mit Mendelbaum gesprochen habe. Sie behauptet aber, daß der Mann, der um acht Uhr gekommen war, um Stavskys Bett zu belegen, den Turgeman auch sah und den er für Stavsky hielt, gar nicht Stavsky gewesen sei, sondern irgend einer seiner Freunde, der von gleich hohem Wuchs ist (Stavsky ist sehr groß) und, mit Stavskys Kleidern angetan, Turgeman täuschte, um für Stavsky ein Alibi zu schaffen. Stavsky selbst, behauptet die Polizei, ist nach Tel-Awiw gefahren, hat dort Arlosoroff ermordet, ist nach Jerusalem zurückgefahren, hat sich ins Hotel hineingestohlen und in sein Zimmer, hat seinen Freund aus dem Bett verdrängt und sich selbst hineingelegt; niemand habe das bemerkt, kein einziger der Mitschläfer sei aufgewacht.
Daß Stavsky im Restaurant „Hascharon“ Nachtmahl gegessen habe, sei gelogen, sagt die Anklage. Sie stellte vier Zeugen bei, die an jenem Abend und zu jener Zeit dort waren und erklärten, Stavsky nicht gesehen zu haben. Diese vier Zeugen sind alle Polizisten. Aber auch Stavsky hat vier Zeugen gebracht, die keine Polizisten sind (Sarah Rechscheid, die mit ihm polnisch sprach; Arjeh Wrobel; und die zwei Kinder der Frau Boro- chow, die mit ihm plauderten und spielten): sie alle haben ihn um acht Uhr im Restaurant gesehen, erkannten ihn alle später, als man ihn ihnen unter anderen Personen im Gefängnis zeigte.
3.
Rosenblaii ist ein Mitglied der betarischen „Plugath Awodah“ (Arbeiter - gruppe) in Kfar Saba. Als man ihn verhaftete, später als einen Monat nach dein Mord, erklärte er, jenen Freitag-
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abend mit seinen dreißig Freunden zugebracht zu haben. Jeden Freitag abends werden dort Versammlungen abgehalten: manchmal Geschäftsversammlungen, an denen die Arbeit für die nächste Woche verteilt wird und überhaupt Dinge der Gruppe behandelt werden, und manchmal gesellige Zusammenkünfte, wo getanzt und gesungen wird. Diesmal war es, soweit er sich erinnern könne, eine Tanzunterhaltung. Aber die Polizei führte eine Durchsuchung in der Kfar Sabaer Plugath Awodah durch und fand Protokolle der Freitagversammlungen, darunter auch eines vom Freitag nachts des 16. Juni, in dem aber steht, daß es kein Tanzabend, sondern eine Geschäftsversammlung gewesen sei, und daß derselbe Rosenblatt einen Bericht über die vergangene Woche erstattet habe, und daß er auch für künftighin als Arbeitsaufseher bestätigt wurde.
Deshalb sagt die Polizei, daß Rosenblatt lüge und daß das Protokoll gefälscht sei — es sei absichtlich niedergeschrieben worden, um Rosenblatt ein Alibi zu verschaffen für den Fall, daß er verhaftet würde. Demgegenüber erklärt Rosenblatt: Es ist eine ganz natürliche Sache, wenn ein Mensch nach vielen Wochen vergessen habe, ob jener Abend ein Tanzabend oder ein Geschäftsabend gewesen sei. Die Tatsache selbst, daß ich mich darin geirrt habe, ist der beste Beweis, daß das Protokoll echt ist Es ist doch klar, daß ich, hätte ich künstlich ein Alibi vorbereitet, das, was in dem Protokoll steht, auswendig gelernt hätte.
Landesverband
der Zlonlsten-Revlsionlsten Österreichs
Montag, den 23. April 1934 8 Uhr abends
Kaffee Neptun XX., Gaußplatz
Vortrag
„Die Entscheidungsstunde des Zionismus“
Redner:
Dr. David B u k ■ p a n, Siegfried Granbart (Kultusvorstand)
Juden, erscheinet zahlreich f
Außerdem gibt es die dreißig Freunde der Plugath Awodah in Kfar Saba, die schwören, daß Rosenblatt jenen Abend mit ihnen zugebracht und einen Bericht erstattet habe, wie es eben im Protokoll vermerkt steht.
4.
Um Menschen anzuklagen, die ein solches Alibi erbringen, insbesondere aber, um jene hochromantische Theorie von Stavskys „Doppelgänger“, der genau so aussieht wie er, und vom Sichhineinslehlen ins Zimmer zu den schlafenden Freunden, sich auszudenken, muß die Anklage über besonders starke Beweise verfügen, die das Mördertum Stavskys und Rosenblatts erhärten. Welches sind nun die Beweise?
Der stärkste, richtiger gesagt, der einzige, ist die Tatsache, daß Frau Arlosoroff behauptet, sie beide erkannt zu haben.
Das ist schon auf den ersten Blick hin eine sonderbare Sache. Zwischen zehn und elf Uhr nachts, Mondschein gab es nicht, der Ort ist einsam gelegen, Straßenbeleuchtung gibt es nicht. Die Anklage sagt, daß in Palästina die Sterne hell leuchten, besonders wenn sich ihre Strahlen in den Wellen brechen. Die Verteidigung antwortet, das könne wohl genügen, um im Dunklen einen Bekannten zu erkennen, genüge aber nicht, um neue Gesichter so gut gesehen zu haben, daß man das eine nach vier Tagen, das andere nach — 34 Tagen identifizieren könne. Man kann mit absoluter Sicherheit behaupten, daß kein Gericht der Welt sich dazu hergeben wird, jemanden in einer Sache zu verurteilen, auf der Todesstrafe steht, nur auf Grund eines solchen Beweises. Nicht im Falle Stavskys, und ganz und gar nicht in dem Rosenblatts.
Aber das ist noch nicht alles. Gerade bezüglich Stavsky ist Frau Arlosoroffs Zeugenschaft sogar rein juridisch wertlos, und nach allen Bräudien und Tra-
Palästinareiseberatuog Palästin areisen
(veranstaltet für ihre Mitglieder durch:)
Kreditkassa und Wlrtschafts- Vereinigung für den Warenaustausch mit Palästina reg. Gen. m. b. H.
Wien, VI. Capistrangasse 2
Sprechstunden: Montag bis Freitag, nur von *—12 Uhr
ditionen der englischen Justiz. Denn die Polizei hat ihr einen Tag vor der Identifikation das Bild Stavskys gezeigt.
Das war so: Sonntag nach dem Mord zeigte die Polizei der Frau Arlosoroff zehn verschiedene Photographien. Wenn man das in England lut, so beachtet man dabei das Gesetz, daß alle Photographien bezüglich der Kleider mehr oder weniger einander ähnlich seien. Hier trugen neun der photographierten Menschen keine Krawatten, nur Stavskys Bild zeigte eine Krawatte. (Frau Arlosoroff sagte sofort nach dem Mord bei der Polizei aus, daß der hochgewachsene Mörder eine Krawatte an hatte.) Würde die Polizei eine solche Kollektion nicht der Frau Arlosoroff, sondern Ihnen oder mir gezeigt und gefragt haben, wer von den zehn an den von Frau Arlosoroff beschriebenen Menschen erinnere — auch wir würden den Mann, der allem eine Krawatte trägt), wählen. Aber das ist nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist, daß man nach englischem Gesetz einem Zeugen, dem bereits eine Photo-
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