ORGAN DES VERBANDES POSENER HEIM A T VE R EINE
3. Jahrgang
Berlin, August 1929
Nr. 11.
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jVloltke in Posen.
Von Geh. Archivrat Prof. Dr. A d o l f Warschauer.
Aus den im Jahre 1891 herausgegebenen Briefen Moltkes ersieht man, daß er drei Mal als Sekondeleutnant zu längerem Aufenthalt in der Provinz Posen gewesen ist. Während eines Sommerurlaubes in Salzbrunn machte er im August 1825 zuerst die genauere Bekanntschaft einer Posener polnischen Familie, der Starostin „Obrocziewska" und ihrer Töchter, über welche er am 15. August in einem Briefe an seine Mutter berichtet. „Ich weiß nicht", so schrieb er, „ob Du früher Gelegenheit gehabt hast, mit Polen umzugehen. Nichts kann angenehmer sein. Man ist gleich eingeführt, gleich bekannt und gleich vertraut. Die Leute überschütten einen mit Güte und Artigkeit, die man bei Deutschen Aufdringlichkeit nennen würde, aber so sind sie alle, dabei äußerst fein gebildet, unterhaltend und lustig,aber eine polnische Schwiegertochter möchte ich Dir doch nicht verschaffen. Die Dame hat ihren eigenen Koch mit, man ißt bei ihr von Silber und sehr gut, und sie spricht vortrefflich französisch, hat hübsche Töchter und ist die lustigste alte Frau, die ich je gesehen habe." Der Name der Familie ist in den Moltke'schen Briefen stets in einer verstümmelten Form gebraucht, und auch der Herausgeber wußte mit ihm nichts anzufangen. Es handelt sich um die Familie Obiezierski, die Dame hieß Appolonia und war eine geborene Laremba. Die Bekanntschaft wurde so eng, daß Moltke auf ihr Gut Rusko bei Jarotschin eingeladen wurde und die Einladung auch annahm. Am 15. September kam er an und blieb mehrere Wochen, doch sind nähere Nachrichten über diesen ersten Aufenthalt nicht veröffentlicht.
Das zweite Mal war Moltke im Sommer 1829 in der Provinz Posen, als er zur Dienstleistung bei der topographischen Abteilung des Großen Generalstabes zur Vermessung dorthin kommandiert war. Das wunderliche Glück wollte es, daß er, nachdem er einige Zeit in Zerkow—Moltke schreibt Herkow — bei der alten Starostin Frau v. Mijcielska verweilt hatte, wieder nach Rusko kam, wo er sich vom 24. Juli bis Ende Oktober aufhielt und vollkommen wie ein Kind des Hauses behandelt wurde. Er entwirft in seinen Briefen anschauliche Schilderungen von Zerkow und Rusko und deren Bewohnern und von seiner Lebensweise daselbst. Er wußte
sich auch nützlich zu machen, indem er auf dem Gute Pläne zu einigen notwendigen Baulichkeiten zeichnete. Mit dem Hausherrn Rafael Obiezerski reiste er auch auf kurze Zeit zum Wollmarkt nach Breslau. Nach seiner Rückkehr scheinen ihn die Obiezerskk im folgenden Winter in Berlin besucht zu haben.
Im Sommer 1830 kam Moltke wieder nach Posen, dieses Mal aber nach der Hauptstadt, wo er am 13. Juni, dem Fronleichnamssonntag eintraf. Er erzählt von.den zahllosen Menschen, besonders Landleuten in Nationaltracht, welche der Monstranz in der Hand des Erzbischofs folgten. „Kein Jude hätte gewagt, sich blicken zu lassen, obgleich es sonst davon wimmelte. Sobald das Allerheiligste gezeigt wurde, fiel alles nieder zur Erde und die Militäreskorte präsentierte das Gewehr". Im ganzen blieb er dieses Mal drei Wochen in der Provinz, während welcher Zeit er meist auf Wierzonka in der Nähe von Posen bei Herrn v. Treskow wohnte und gastfreundschaft- • lich bewirtet wurde. Ueber einen Ausflug nach dem Kloster Owinsk berichtet er: „Hier habe ich Zisterzienser, Bernhardiner und Barmherzige Schwestern gesehen, aus welchen man bei der Säkularisation der Ordensgeistlichkeit ein kombiniertes Bataillon formiert und selbige hier eingesperrt hat. Die Ordensregel ist streng, zwei Mal des Nachts, selbst im Winter, müssen die armen Nonnen heraus, um l 1 /^ Stunden im Chor zu fingen. Ihre äußere Erscheinung ist feierlich in den verschiedenen Trachten ihrer Orden, besonders die der Zisterzienser in braunen härenen Skapulieren. Es war ein eigenes Gefühl, diese Schwelle zu überschreiten, über die diese armen Menschen nie wieder treten dürfen. Der Weg über dieselbe führt für sie nur auf den Kirchhof, für uns in die Welt. Wir sahen die Kirche, das Sprechzimmer mit dem eisernen Sprechgitter, ja zum Entsetzen der Nonnen verirrten wir uns (drei Offiziere) in die Zellen, indem wir Unkenntnis affektierten. Die guten Damen sind aber höchst unwissend. Die lateinischen Gebete, welche sie singen, verstehen sie nicht, allein sie versichern, Gott rede alle Sprachen, verstehe also auch, was sie wollten."
Der mehrmalige Aufenthalt in der Provinz veranlaßte Moltke zur Abfassung seiner Schrift „Darstellung der inneren Verhältnisse und des gesellschaftlichen Zustandes in Polen",
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