Die Stadt Posen in den 1830 er Jahren.
Georg Asch.
Wanderung durch die Ztadt.
Vor 100 Jahren erschien im Juni 3 835 das erste Adreßbuch der Stadt Posen. Der beigefügte Stadtplan zeigt nur die wichtigsten 32 Gebäude, läßt aber deutlich den Ausbau und die Entwicklung der Stadt nach dem großen Brande von 1803 erkennen. Damals war durch einen vom Judenviertel ausgehenden Brand ein großer Teil der Altstadt, auch das Ghetto mit Synagoge und Krankenhaus, der Feuers- brunst zum Opfer gefallen und über 5000 Menschen waren obdachlos geworden. Dieser Brand, der zwangsläufig das Ende des Ghettos herbeigeführt hat, wurde Anlaß zu einem großzügigen Ausbau der Stadt. So zeigt uns der Stadt- plan von 1835 den vollzogenen Wiederaufbau der Altstadt und die Entwickelung der oberen Neustadt. An Stelle der niedergebrannten 276 Gebäude sind in der Unterstadt in nun massiver Bau-Ausführung nur etwa 114 Häuser neu errichtet worden, wodurch in diesen: so dicht bevölkerten Stadtteil geräumige luftige Straßen geschaffen werden konnten. Wir finden u. a. die große Gerberstraße breit und weitläufig neu erstanden vor. Die alten verfallenen Festungswerke in der Innenstadt sind zum Teil geschleift und haben neue Baupläne für den Retablissements-Bau geschaffen, für welchen der Staat einen Zuschuß von 70 000 Thalern bewilligt hatte. Als Ersatz für die durch den weiträumigen Wiederaufbau in der Altstadt verloren gegangenen Grundstücke sind andere in der ausgedehnten Oberstadt zugewiesen worden. Dort ist im Jahre 1835 die Bebauung schon vorgeschritten, bevorzugt sehen wir diese Häuser und Wohnungen vorerst von den Militärs und Beamten, während die Gewerbetreibenden noch kaum die Altstadt verlassen haben. — Auf der Einwohnerschaft lasten schwer die Folgen der Cholera-Epidemie von 1831, die etwa 2 Prozent der Bevölkerung hinweggerafft hat. Auch die materiellen Nöte der Stadtverwaltung, die erst 1844 die kommunale Einkommensteuer einführen kann, hemmen ebenfalls die schnellere Entwickelung des Stadt- Erweiteruugsbaues. Im Stadtplan von 1835 sind daher viele Straßen in der Oberstadt nur als Fluchtlinien eingezeichnet ; es sind z. B. die Luisenstraße, die Garten- und und Bismarckstraße zwar geplant, aber erst in den 70 er Jahren hergestellt worden. — Dagegen sind die vom preußischen Fiskus seit 1828 begonnenen Festungs-Neubauten bereits so weit fertig, daß Posen seit 1834 als Festung vorläufig zweiter Klasse erklärt ist.
An Hand dieses Stadtplans von 1835 und zugleich gestützt auf die am Ende dieses Aufsatzes angegebene einschlägige Literatur wollen wir nun eine Wanderung durch die damalige Stadt Posen machen. Die Behörden und Verwaltungen, die städtischen Einrichtungen, die Einwohner der Stadt, die jüdische Gemeinde und eine größere Anzahl uns bekannter Familien werden wir aufzusuchen haben. Zunächst wollen wir durch die uns lieb gewordenen Straßen und Gassen wandern und kurzen Halt machen bei Stätten der Erinnerung. Doch im Rahmen dieser Plauderei können wir nur im Fluge durch die Stadt eilen und können von den baugeschichtlich oder historisch wichtigeren Baudenkmälern nur einige beachten.
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Die erste deutsche Eisenbahn Nürnberg-Fürth ist gerade 1835 eröffnet worden, aber die Posener hören den ersten Pfiff der Lokomotive erst am 10. August 1848 nach Vollendung der Posen-Stargarder Eisenbahn. So verlassen wir Berlin mit der Postkutsche und zwar mit der Schnellpost, die jeden Dienstag und Sonnabend abends 7 Uhr abfährt und uns nach 27 ständiger Fahrt am Abend des nächsten Tages 9^/4 Uhr glücklich nach Posen bringt.
Wir halten an der Ecke Wilhelm- und Bergstraße vor der Posthalterei, die dort im geräumigen Hofe des Mönnich- Kniffkaschen Familienhauses durch den Posthalter, Major Kniffka, untergebracht ist. Mit ihm wohnt dort auch sein Schwager, Generalarzt Dr. Schwickard, der Großvater des Reickspräsidenten und Generalfeldmarschalls von Hindenburg.
Bei unserer Ankunft werden wir von Mitgliedern des Posener Verschönerungs-Vereins begrüßt, die uns besonders auf die Neuanlage eines Botanischen Gartens auf dem gegenüberliegenden Grundstück Wilhelmstraße 20/21 aufmerksam machen. Für den Abend wird noch schnell ein kurzer Bummel durch die zahlreichen Tabagieu und Billardstuben der Stadt verabredet, dann suchen wir unsere Hotels auf. Wer sein Quartier in der neuzeitigen Oberstadt nehmen will, steigt in der Wilhelmstraße im „Hotel de Berlin" odcr im „Gasthof zum goldenen Baum" ab. Zu empfehlen ist das am Petriplatz an der Ecke der St. Martinstraße gelegene „Hotel de Vienne". Dort hatte Feldmarschall von Gneisenau zur Zeit des Polenaufstandes im russischen Anteil (1831) sein Quartier und mar im gleichen Jahr auch dort gestorben. — Historisch ebenfalls interessant ist das „Hotel de Saxe" in der Breslauer Straße. Der im Jahre 1806 in Posen zwischen Napoleon und den Thüringischen Staaten abgeschlossene Flieden soll dort unterzeichnet worden sein. — In der Breslauer Straße liegt auch das „Hotel de Varsovie" und in der Unterstadt soll unter den vielen Gasthöfen und Herbergen noch das von Makari Nudnicki geleitete „Hotel de Hambourg" in der Gerberstraße genannt werden. Gute Bekannte treffen wir gewiß in der „Herberge der Seifensieder" beim Fleischer und Herbergsvater Roeschke, St. Adalbert Nr. 27.
Am nächsten Vormittag treffen wir lins zum gemein samen Spaziergang durch Posen im Jahre 1835 au der auch damals schon beliebten Ecke am Wilhelmplatz vor dem 1802/1804 erbauten und 1877 abgebrochenen ersten Stadt- Theater und zwar vor dem Haupteingang, der bei diesem Bau der Ritterstraße gegenüber liegt. Wir verfehlen nicht, uns für den Abend Theaterkarten zu besorgen. Unter der Direktion von Ernst Vogt werden wir die beliebte Opernsoubrette Agnes Melle aus Hamburg in Donizettis „Tochter des Regiments" als Marie in der neuen Uniform bewundern, die ihr von den begeisterten Kunstjüngern des Posener 7. Husaren-Regiments geschenkt'worden ist. — Wir betreten nun den Wilhelmplatz, der bereits seit 1794 als zweiter Marktplatz der Stadt besteht. — Ihn ziert in ihrer klassischen Schönheit die 1829 vom Grafen Eduard Raczynski gestiftete Bibliothek, die mit den korinthischen Säulen eine Nachahmung des Pariser Louvre im kleinen darstellen sollte. — Der den Ausbau der Oberstadt so störende, alte jüdische Friedhof ist bereits seit 1804 von der Nordseite des Wilhelmplatzes, zwischen Lindenstraße und Wilhelmstraße gelegen, weit hinaus zwischen die Wege nach Buk und Stenschewo. an die spätere Glogauer Straße, verlegt, aber noch besteht nicht der erst 1838 erfolgte Durchbruch der Neuen Straße nach dem Wilhelmplatz. — Es gibt 1835 in der Oberstadt weder Läden noch Märkte. Alle Einkäufe des täglichen Bedarfs müssen in der Unterstadt besorgt, sogar das Trinkwasser muß auf großem Umwege vom alten Markt herbeigeschafft werden. Erst um 1840 erhält die Oberstadt dank der Hochherzigkeit des Grafen Eduard Raczynski eine in Holzröhren vom Kernwerk ausgehende Quellwasser-Zuleitung nach dem sogenannten Prießnitz-Brunnen. — Die Wilhelmstraße, um 1800 nach einem Bauplan David Gillys angelegt, ist mit Pappeln und Linden reich bepstanzt und dieses Mittelstück der Straße ist in gleicher Weise wie der Wilhelmplatz durch hölzerne Umzäunung gegen Fuhrwerke abgesperrt. An der späteren Durchbruchs-Ecke der Neuen Straße befindet sich in der Wilhelmstraße in der Zeit von 1820 bis 1894 das General-Kommando. — In Richtung nach dem Kanonenplatz benachbart ist in einem ehemaligen Bürgerhaus das erste Posener Oberpräsidium untergebracht, das 1837 nach dem Tode des Statthalters Fürsten Anton Nadziwill, dessen Posten nicht mehr besetzt wurde, in das Regierungsgebäude nach der Taubenstraße am Neuen Markt verlegt wird. — Auf der gegenüber liegenden Seite der Wilhelmstraße, neben der von seinem Bruder Eduard gestifteten Bibliothek, hat
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