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ViertcljahreSaboimeine, t durch die Post NM 0,80. — Manuskripte an die Schriftleilunq, Berlin W 15, Emser SN. 42 1V , Inserate an die Buchdruckecei Albert Loewrnthal (Inhaber Richard Ehrlich). Berlin NW 40. Wilsnacker Straße 1. Tel.: 35 38 74.
Nr- 6
GS 22
3uni mi
11. Jahrgang
■r Berlin, Ende Mai 1937
Lieber Ulrich!
Von der Freude uid Freiheit neuen Erlebens beschwingt. hat Dein erster Brief aus dem fremden Lande mir eine in satten Farben glühende Schilderung Deiner Eindrücke gegeben. Die ganz ungewohnte Mitteilsamkeit Deiner brieflichen Aeußeruugen, die sonst so knapp gehalten sind, hat mich spüren lassen, wie ehr Du mit jeder Faser Deines Wesens bereit bist, die neuen Dinge in Dich aufzunehmen und aus den Elementen Deiner ersten, bestimmenden Erlebnisse ein Leben im neuen Raum aufzubauen.
In herzlicher, mitfühlender Freude habe ich gelesen, wie der Anblick des sonnender,länzten azurblauen Ozeans vor einer weihen Küste Dich begeistert hat, wie sehr Pracht und Fülle der tropischen Wunder weit Dich anrühren konnten. Die bewegliche Lebhaftigkeit des Menschenschlages, den Du antrafst, seine kräftige, du'ch Unnatur und Zivisilation noch ungebrochene Lebensweise tv. Städten und kleinen Siedlungen, das alles scheint Dir Deinen innersten Wünschen und Hoffnungen offenbar entgegen;,ukommen, und so fehlt Dir im Augenblick nicht mehr, als eine solide, auch materiell gut unterbaute Ordnung Deiner persönlichen Verhältnisse, um Dich vollends zu beglücken.
Verzeih, wenn mein ruhigeres Temperament mich dazu verleitet, durch ein paar kühle, zur Besinnung mahnende Worte Deine junge Begeisterung zu dämpfen. Noch, Ulrich, hast Du die ersten Sorgen und Enttäuschungen nicht hinter Dich gebracht, noch die Einsamkeit nicht gespürt, in die Du Dich begeben muhtest. Noch fühlst Du Dich fest und sicher in der Geborgenheit der Verjüngen und Maßstäbe, die ein in Europa gelebtes Dasein Dir mitgegeben hat. Noch siehst Du das neue Land mit den Augen des schönheitstrunkenen Europäers, des Menschen aus dem „unwirtlichen Norden", dem zum ersten Mal die prangende Fülle der tropischen Zone begegnet. Allmählich — und ich zeichne Dir wohl nur eine Entwicklung, die gesund u ib natürlich ist und darum eines Tages kommen muß — w rd Dich die schattenlose Helle der Palmenhaine zu ermüden beginnen, eines Tages wirst Du spüren, daß Dinge Dir fehlen, die so ganz Dein innerstes Eigentum, geworden sind, daß Du kaum noch wußtest, wie sehr sie Dir verwachsen waren. Dann erst wirst Du ganz und gar nicht aus theoretischer Einsicht,- sondern aus persönlichem Erleben Last und Größe des Wandererschicksals begreifen, das wir Juden trcgen müssen.
Denn niemals, Ulrich, gewährt Wandern ein schrankenloses Glücks immer schwingt auch der Schmerz des Abschied- nehmens mit in der Freud«; neuer Begegnungen. Wem — wie Dir — der Abschied leicht wurde, weil er hoffnungs- freudig dem Neuen entgeger ging, den packt es einmal später, irgendwann, mit der ganzen Macht des Heimwehs und der Erinnerung. Nur allzu sticht magst Du in diesen ersten Wochen vergessen, daß wir Menschen vom Werdenden nicht
allein leben, sondern auch aus dem Gewordenen, das in uns ist. Immer schlägt das Heute nur eine Brücke zwischen dem Gestern und dem Morgen, und eine Zukunft kann nicht erstehen, wo nicht eine Vergangenheit zu Eigentum besessen wurde. Wir Juden, die wir heute das Schicksal der Wanderung auf uns nehmen, tragen mit unserem Aufbauwillen das alte Erleben und die Erinnerung mit hinein in eine neue Welt, tragen in uns Europa hinüber über den Ozean in eine andere Hemisphäre. Wir schleppen nicht allein schwere Bücherkisten,, Bilder und Grammophonplattei mit uns, die uns von vertrauten Dingen der Kultur reden sollen, wir tragen vor allem das Kostbarste in uns — b i i E r - i n n e r u n g !
Um Dich selbst also und um den gewordenen Mcnschen in Dir geht es mir, wenn ich Dich heute an Deine Erinnerungen und die alten Zeiten gemahne. Weißt Du noch, Ulrich, wie wir zu zweit durch die karge Landschaft r nserer Heimat streiften, wie wir im Gemurmel eines Baches zwischen silberglänzenden Birkenstämmen eine ganze Welt, unsere Welt, zu entdecken vermochten? Siehst Du sie noch vor Dir, die kleinen Städte und Weiler im Tal thüringischer Berge, mit rotgedeckten Dächern von dem dunkleren Grün der Nadelwälder sich abhebend? Erinnerst Du Dich noch an die stolzen Burgruinen hoch über einem majestätisch fließenden Wasser- lauf, an die stillen Winkel, in denen spitzgiebelige, gotische Bürgerhäuser an die Ringmauern mittelalterlicher Städte stießen? Denkst Du noch an die kleine, dabei doch sc stolzbewußte Synagoge unserer Heimatstadt, die ein wenig abseits iiiiiuiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiüiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii 11111111111 Spendet für das jüdische Wohltahrts- und Jugendamt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Postscheckkonto Berlin 29640. llllllllilllllllllllllllllllllllillllllllliilillllillllitilllltllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllllliilll vom Marktplatz lag? Siehst Du noch Jakob, den alten Schammes, vor Dir, mit all seinen Eigenheiten, der unü das erste Mal zur Thora führte, als wir Barmizwah winden?
Ich weiß, die Fülle der Gesichte ist noch ir Dir lebendig, Ulrich, und wiyd Dir nicht- verloren gehen. Von Herzen wünsche ich Dir Glück zu dem neuen Weg, den Du m diesen Wochen beginnst, aber ich wünsche Dir auch das Glück der Erinnerung mit dem anfeuernden, aufbauenden Schmerz, den sie gewährt. In späten Tagen, wenn vielleicht einmal Enkel um den Lehnstuhl meines betagen Freundes tummeln — vergib mir diese unzeitgemäße Prophezeiung —, magst Du mit bewegter Stimme den Kleinen, die zwischen Palmen und dunkelhäutigen Menschen ausgewachsen sind, erzählen von dem geheimen Zauber der ostdeutschen Kleinstadt, aus der Du kommst. Dann, wenn sie Dir andächtig^ mit großen Kinderaugen, lauschen, wirst Du wißen, daß Dein Leben und Deine Wanderung nicht sinnlos war.
Ich bin mit guten Grüßen Dein Kur'
(Wiedergegrben von vr. Kurt Julius UUgner)
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