Samuel Baeck
Zu seinem 25. Todestag
Im vorigen Jahrhundert war Posen der Sitz eifrigen Talmudstudiums: zur Ieschiwa von Rabbr Akiba Eger strömten alle Jünglinge, die in Bibelforschung und Talmudkritik Hervorragendes leisten wollten. Auch andere posensche Gemeinden, besonders die in L i s s a, bildeten bis zur Mitte der 60iger Jahre Stätten, wo, trotz vieler Reformen in den Nachbarprovinzen, das Hauptgewicht auf tiefgehende Talmudkenntnis gelegt wurde.
Um so größer war das Erstaunen unter den Strenggläubigen, als 1864 der auf dem Gymnasium in Nikolsburg und der Universität Wien vorgebildete Dr. Samuel Baeck aus Böhmisch-Leipa als Rabbiner nach Lifsa berufen wurde. Die Heißsporne, die einem mährischen Talmudisten das größte Mißtrauen entgegenbrachten, beschlossen, den „modernen" Rabbiner durch haarscharfe Fragen aus den Tiefen des Talmuds in die Enge zu treiben. Der Versuch mißlang; der junge Gelehrte, der, einer alten Rabbinerfamilie entstammend, von Kindheit an mit hebräischem Wissen ausgerüstet, sich in Nikolsburg mit seinem Studiengenossen Heinrich Grätz tiefgehende Talmudkenntnisse angeeignet hatte, wußte durch seine gründlichen Antworten selbst seine schärfsten Gegner zu verblüffen.
Der 39jährige Rabbiner erwarb sich durch seine Frömmigkeit die Herzen seiner Gemeindemitglieder und wurde bald der geistige Leiter der Jugend. Da ihm für den Religionsunterricht kein geeignetes Lehrbuch vorhanden zu fein schien, verfaßte er eine Geschichte des jüdischen Volkes, deren späteren Auflagen gut ausgewählte Literaturproben beigefügt waren. Der Beifall, den diese allgemein fanden, gab den Anlaß zur Herausgabe des großen Welkes von Wünsche und Winter „Die jüdische Literatur mit Abschluß des Kanons". Für diese Anthologie cerfaßte Samuel Baeck auch seine wichtigen Arbeiten über die religionsgesetzliche Literatur sowie „Prediger, Sittenlehrer und Apologeten". Diese Werke bilden zusammen mit den volkstümlich gehaltenen „Religionssätzen der Heuigen Schrift" den Höhepunkt seines Schaffens.
So kühl, wie die Aufnahme seiner Antrittspredigt bei einem Teil der G'meinde war, so groß waren die Liebe und Verehrung, die ihm während seiner 48 jährigen Wirksamkeit als Prediger und Iugendbildner allseitig entgeqengebracht wurden. Als er am 17. Mai 1912 die Äugen schloß, folgte ihm die Liebe seiner Gemeindemitglieder, denen er meist die Lehren der jüdischen Religion ins Herz gesenkt hatte. Sein Andenken bleibt unvergänglich. Die echt jüdische Tradition, das alte Erbe der Familie, findet ihre beste Fortsetzung im Wirken und Lehren seines Sohnes, des Rabbiners Dr. Leo Baeck. M. S. Ruest
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Rabbiner Dr. Gelles, M.«Gladbach, beging am am 8. Mai sein 25 jähriges Nabbinerjubiläum. Er wirkte bis 192t in L i s s a.
Aufstieg und Verfall einer Judengemeinde
Im Jahre 1852 erließ Kaiser Rudolf U. ein Edikt, das die schlesischen Stande zur Austreibung der Juden ermächtigte. Rur Glogau lmd Zülz wurden von dem Edikt nicht betroffen. In Glogau erhielt Benedikt Israel 1598 das Recht, im Fürstentum Glogau „ ... an Ort und Enden, Städten, Märkten, Fl.'cken . . . häuslich zu wohnen . . ., sicher zu handeln und wandeln". Reben Glogau ist das
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Städtchen Zülz, am Westrande Oberschleiens bei Neustadt gelegen, der einzige Ort, in dem die Juden Schlesiens dauerndes Wohnrecht besaßen. Die.Fürsten waren zunächst mit ihrer Duldung keineswegs einverstanden, und es begann ein über 100 Jahre währendes Ringen um ihren Bestand, das schließlich 1699 durch den Privileg enbrief Kaiser Leopolds 1. beendet wurde. Zülz war ursprünglich eine kaiserliche Kammerherrschast, die 1562 an.den Grafen von Proökomski versetzt und 1602 an die Familie Proskowski verkauft wurde. Unter den Einnahmen der Herrschaft bildeten die Steuern der Judengemeinde einen wesentlichen Posten. Um sich diese zu erhalten, schützte der neue Besitzer die jüdische Ansiedlung. So konnten die Zülzer Juden unangefochten leben, und Zülz entwickelte sich zu einem Mittelpunkt der Juden in Oberschlesien.
Schon um 1400 sind in Zülz Juden ansäffig. 1534 wird ihre Zahl erstmalig urkundlich erwähnt: damals wohnten dort neun Familien die bereits einen eigenen Friethof besaßen, der nicht mehr auffindbar ist. Erst nach dem Edikt von 1699 wächst die Gemeinde rascher an. Die nun gesicherte Rechtsstellung zieht viele Juden in den schon unter dem Namen „Mokaum zadik" (ein gerechter Ort) bekannt gewordenen Zufluchtsort. 1647 gibt es unter 155 Stadthäusern nur 4 große und 17 kleine Judenhäuser, 1716 zählt man 30 Judenhäuser und außerdem 40 Judenwojnungen in christlichen Häusern, acht Jahre später wohnen neben 2000 Katholiken schon 600 Juden in Zülz, und 1782 zählt die Stadt 1061 Juden und 961 Christen. 1812 ist mit 1096 Seelen der Höhepunkt der Entwicklung erreicht. Von da ab setzt der Rückgang der jüdischen Bevölkerung ein: 1850 hat Zülz 500 Juden, 1880 nur noch 129 und 1910 zwanzig. Heute leben noch wenige Juden dort. Hinter den Zahlen steht der Weg der Zülzer Gemeinde: die Flucht der Juden unter ihre schützenden Privilegien, die Zusammendrängung der Maffe in eine geringe Zahl von Häusern, die Schmierigkeit wirtschaftlicher Betätigung auf so kleinem Raun:. Die Lösung aus der Enge des Städtchens wurde notwendig: als 1812 der Weg frei wurde, schritt sie rasch rorwärts. Auch die weitere Abwanderung, die ja das Schicksal so vieler Kleingemeinden besiegelt hat, konnte nicht au'gehalten werden.
Die Zülzer Juden waren schon vor 1812 in ihrer wirtschaftlichen Betätigung über den engen Kreis de .- Heimat hinausgewachsen. Das Gemeindeleben blühte auf, als sie langsam zu einem gewissen Wohlstand gekommen waren. Die Gemeinde verstand es, echte jüdische Ueberlieferung zu wahren und fortzupflanzen. 1774 wird an Stelle eines früheren Holzbaues in schlichten edlen Barockformen eine neue Synagoge erbaut, die noch heute eine Zierde des Städtchens bildet. Auf einem anmutigen Hügel, dem „Kopier", wird nrch 1600 der neue Friedhof angelegt, der später erweitert wird. Schulen, mehrere private Bethäuser, ein Gemeinde jaus, ein Badehaus, ein Kranken- und ein Siechenhaus zeugten von der Blüte der Gemeinde. Bedeutende Gelehrte und Rabbiner sind in ihrem Wirken mit Zülz verbunden. In der Synagoge wurde der stattliche, weithin berühmte Silberschatz von Kultgeräten durch die Jahrhunderte angesammelt, Am Ende des 19. Jahrhunderts war das Gemeindeleben verödet. Am 15. August 1914 wurde die Gemeinde durch ReflerungS- verordnung aufgelöst und die dort wohnenden Juden der Synagogengemeinde Neustadt zugewiesen. Dorthin und ir das Breslauer Jüdische Museum ist auch der Silberschatz gewandert. In Zülz zeugen die Synagoge und der vor uralten Linden beschattete Friedhof von der vergangener Größe der Gemeinde. Auf Beranlaffung der Gesellschaft für jüdische F a m i l i e n f o r s ch u n g ist kürzlich die Im ventarisierung der Grabsteine durchgeführt und so wertvolles Material für die jüdische Geschichte und Familienforschunc. gesichert worden. Die Zülzer Juden sind weit über das Reich verstreut und denken voller Stolz der alten Gemeinde.
Kurt Schwerin, 'Ireslau