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Das Wesen der Inquisition kann nur verstanden werden, wenn man sich von unseren heutigen Vorstellungen über Religion, Staat, Persönlichkeit, Menschenrecht und dergleichen befreit und, soweit dies überhaupt möglich ist, sich in die Gedankenwelt des mittelalterlichen Menschen versetzt. Seit Augustinus waren die Vertreter der katholischen Religion von der Idee des Gottesstaates erfüllt, das heißt jenes Weltreiches, durch das sämtliche Seelen der una ecclesia catholica zugeführt und dadurch für das ewige Leben im Jenseits gewonnen sind. Der Mittler zwischen Gott und Mensch, dem diese Aufgabe der Sammlung aller Seelen anvertraut ist und der seinerseits im jenseitigen Lehen von Gott für die Durchführung dieser Mission verantwortlich gemacht wird, ist der Priester. Die einfache Menschenseele selber weiß nicht, oh sie auf dem rechten Wege ist, sie zu leiten ist des Priesters Beruf, und sie auf den rechten Weg zu führen, hat er Mittel verschiedener Stärke anzuwenden: die Beichte, durch die der Mensch sein Handeln dem Priester darlegt, daß er es prüfe; die Buße, die der Priester ihm auferlegt, falls er vom rechten Weg zur Seligkeit abgewichen; die Kommunion, durch die er den Menschen mit dem Gottesreich vereint usw. Die größte Sünde, deren ein Mensch sich schuldig machen kann, ist der Irrglaube, die Ketzerei. Diese kann nur durch die schwerste Buße gutgemacht werden, und wenn ein Mensch im Irrglauben verharrt, so ist er unrettbar der Seligkeit verloren, und daß er den Irrglauben nicht weiter verbreite, ist es für ihn und die Gesamtheit das beste, daß er ausgerottet und vorher zur Abschreckung der anderen mit allen Oualen des Diesseits gepeinigt wird. Die Umgrenzung des Begriffs Irrglaube bereitete jeweils große Schwierigkeiten. Im frühen Mittelalter bis zum Jahre 1200 half man sich durch das sogenannte Gottesurteil, durch das Gott selbst als oberster Richter die Entscheidung über das Ketzer- tum fällte, indem er, falls der Mensch zu Unrecht als Ketzer beschuldigt wurde, ihn durch das „Wunder“ beim Gottesgericht rettete. Allmählich aber machte man das Urteil über das Ketzertum immer mehr von menschlicher Entscheidung abhängig. Die hierzu berufenen Priester innerhalb der einzelnen Ortschaften standen in der Frühzeit des Mittelalters auf durchaus niederer Bildungsstufe und waren keineswegs in der Lage, Entscheidungen in den oft diffizilen Fragen zu treffen. Als die Ketzerei mit der zunehmenden Aufklärung auf der einen und der immer weiter fortschreitenden Verweltlichung der Kirche auf der anderen Seite größeres Ausmaß erreichte, häuften sich die Anfragen über die Grenzen des Ketzertums dermaßen, daß es notwendig erschien, besondere Spezialisten in Glaubensfragen, besondere Seelenforscher und -sucher anzustellen, Inquisitoren. Die Inquisitoren waren — der Idee nach — keineswegs blutdürstige Menschenschlächter oder geldgierige Konfiskatoren, sondern großenteils Männer, die mit fanatischer Hingabe die Bekämpfung des Ketzertums als eine religiöse Mission auffaßten, als eine hohe und ernste Aufgabe, für deren pflichtgemäße Durchführung sie dereinst vor dem Gottesthron verantwort-
Inquisition.
I. Allgemeine Geschichte.
lieh gemacht werden. Da zu den Strafen, die den Ketzer trafen, auch die Konfiskation seiner Güter zählte, erkannten frühzeitig weltliche und geistliche Machthaber in der Inquisition ein bequemes Mittel, sich in den Besitz der Reichtümer anderer zu setzen, und so erhält die Inquisition jenes merkwürdig verzerrte Doppelgesicht einer von Idealen getragenen geistigen Bewegung auf der einen und einer von den niedersten Instinkten beherrschten Gewalttat auf der anderen Seite. Bezeichnend für diesen Doppelcharakter ist die Tatsache, daß die Kirche es grundsätzlich ablehnt, selbst als Richter und Ivonfiskator des Ketzers zu fungieren, sondern in stereotyper Ausdrucksweise den Ketzer nach der Inquisition, das heißt der Erforschung seines Ketzertums, dem „weltlichen Arm ausliefert, um das Urteil zu vollziehen.
Nur wer die liier skizzierten Voraussetzungen kennt, kann die Geschichte der Inquisition in ihrer tragischen Verkettung von Idee und Wirklichkeit, tragisch nicht nur für die Gerichteten, sondern auch für die Richter, erfassen. Die Geschichte der K e t z e r Verfolgung, die naturgemäß mit der Kulturentwicklung in den einzelnen Jahrhunderten ihren Charakter wechselt, beginnt sehr früh. Kaum war das Christentum durch das Toleranzedikt des Kaisers Konstantin 3 i 3 in Mailand von der Verfolgung durch die Vertreter der Antike selber geduldet , begann es seinerseits die Verfolgung der Ungläubigen. Schon zwölf Jahre später sprach das Konzil von Nicäa 325 Bann und Todesstrafe über jeden aus, der dem Ketzer Arius anhing oder beim Lesen seiner Schriften entdeckt wurde, und schon der Kaiser Julian Apostata schreibt nach seinem Abfall vom Christentum, daß kein wildes Tier so grausam gegen Menschen sei wie die Christen gegen die Christen. Nach dem Jahre 1000 regten sich die ersten Widerstände gegen das weltliche Treiben des Klerus und traten Prediger der Umkehr auf, die Rückkehr zum einfachen Bibelglauben und zum frommen Lebenswandel als Erfüllung wahren Christentums predigten. Diese ersten Reformatoren wurden, ebenso wie die späteren, als Ketzer erklärt, verfolgt und, wenn man ihrer habhaft wurde, verbrannt. Der erste von ihnen war Peter de Bruys, der 1126 zu St. Gilles verbrannt wurde. ii /|5 ereilte dasselbe Schicksal den wahrhaft heiligen Schüler Abälards Arnold von Brescia, bei dessen Verbrennung selbst die Henkersknechte geweint haben sollen. Unter der Führung ähnlicher Geister entstanden zahlreiche Ketzersekten, von denen die verbreitetste die der „Katharer“, das heißt der Reinen, war. Vom Namen der Katharer stammt germanisiert das Wort Ketzer als Leugner der Religion. Die Bezeichnung Katharer umfaßt eine ganze Reihe geographisch und historisch getrennter Ketzersekten, von denen die Albigenser, so genannt nach der süd- französischen Stadt Albi, die bekanntesten sind. Trotz der ständigen Verfolgung der Katharer, von denen die ersten im Jahre 1017 zu Orleans verbrannt wurden, breiteten sie sich durch alle Länder aus und hielten 1167 ein Konzil bei Toulouse ab, an dem Gesandte aus allen südeuropäischen Ländern bis Klein-Asien hin teilnahmen, und auf dem eine Kirchenorganisation beschlossen wurde, die eine ernste Konkurrentin der
Sammelbl. jiid. Wissens 81/82.