Jewish Agency
von Oscar Wassermann.
Zum 23. März ist der Verwaltungsausschuß der erweiterten Jewish Agency nach London einberufen. Er wird wichtige Entscheidungen zu treffen haben, unter denen die Festlegung der Politik für die Verhandlungen über das Verhältnis der Juden zu den Arabern an erster Stelle steht. Es ist klar, daß die zu treffende Entschließung wesentlich dadurch bestimmt wird, ob sie als einmütige Stellungnahme der gesamten Judenheit gelten kann. Wichtig, sehr wichtig ist es daher, daß die Tagung des Verwaltungsausschusses auch von der Sympathie derjenigen Juden getragen wird, die sich aus irgendwelchen Gründen bisher nicht an der Jewish Agency beteiligt haben.
Von den Führern der arabischen Judengegner hat der hervorragendste durch die Erklärung, daß er die „Protokolle der Weisen von Zion“ für authentisch halte, ein zweiter durch die Behauptung, daß die palästinensischen Araber die Abkömmlinge der alten Hebräer seien, die heutigen Juden aber nur von den russischen Chasaren abstammten, Gesinnung mit Kampfesweise deutlich charakterisiert. Sie haben damit sicherlich der Jewish Agency auch in Deutschland viele neue Anhänger geworben. Wenn trotzdem aus tief eingewurzelter Gegnerschaft zum Zionismus noch zahlreiche einflußreiche gute Juden beiseite stehen, so dürften immer noch nicht beseitigte Mißverständnisse über Möglichkeiten und Tragweite einer Zusammenarbeit von Nichtzionisten mit Zionisten am Palästina-Aufbau und über Wesen und Tätigkeit der erweiterten Jewish Agency der hauptsächlichste Grund sein. Diese Mißverständnisse in einem kurzen Zeitungsartikel aufzuklären, ist nicht möglich; einiges Grundsätzliche gerade im gegenwärtigen Augenblicke dazu zu sagen, halte ich aber doch für nützlich.
Palästina ist den Juden immer das Land der Verheißung geblieben. Eine Rückkehr von Juden nach Palästina in unseren Tagen ist Erfüllung uralter jüdischer Sehnsucht.
Die Bezeichnung der jüdischen Kolonisation als Aufbau einer „Jüdischen Nationalen Heimstätte“ nach dem Ausdruck der sonst vorzüglichen und als Grundlage des Völkerbund-Mandates jedenfalls ohne große Gefahr nicht abzuändernden Balfour-Deklaration ist vom nichtzionistischen Standpunkt aus nicht glücklich und kann zu Mißdeutungen führen. Schlechtes Wort aber sollte gutem Werk nicht schaden. Kein Nichtzionist und nur sehr wenige Zionisten würden die Nationale Heimstätte in der Form eines jüdischen Staates errichten wollen, selbst wenn solchem Unternehmen nicht unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstehen würden. Dagegen ist es zweifellos, daß sehr viele Zionisten, wohl die Mehrheit, die Nationale Heimstätte, wenn auch nicht als politisches, so doch als kulturelles Zentrum des „jüdischen Volkes“ ausgestalten wollen. Die vielen geistig und sittlich hochstehenden zionistischen Führer werden also Auswahl der Siedler und ihre-Erziehung im Lande hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt betrachten, der Kolonisation ein hohes geistiges Niveau zu verleihen und zu erhalten. Dadurch unterscheidet sich die Kolonisation in Palästina von jeder anderen.
Wie stehen nun wir Nichtzionisten hierzu? Den Begriff eines „jüdischen Volkes“, soweit damit irgendwelche nationalen und politischen Vorstellungen verbunden sind, lehnen wir ab ebenso wie die Folgerung, daß Palästina für andere als dort ansässige Juden eine Nationale Heimstätte sein könnte. Wie weit die Geistigkeit Palästinas unsere Kultur, dann aber wohl auch die Kultur unserer Umgebung und der ganzen Welt beeinflussen wird/hängt ganz von der Leistung ab. Als das Kulturzentrum können wir Palästina jedenfalls nicht anerkennen, behalten vielmehr die Pflicht, unsere Kulturgüter, jüdische und nicht jüdische, zu pflegen und zu mehren,* als ob Palästina nicht existierte. Es erscheint uns nicht wünschenswert und wir halten es auch nicht für möglich, daß sich in kultureller ebensowenig wie in politischer Hinsicht 15 Millionen Juden als Zubehör einer Natio- ‘ nalen Heimstätte betrachten werden, die vielleicht für eine halbe Million Juden Raum bietet. Dagegen erkennen wir den ungeheuren Wert, den es für die Selbstachtung und Selbsterziehung der Juden und für ihre Einschätzung in der ganzen Welt hat, wenn die jüdische Bevölkerung in Palästina Gleichberechtigung und Autonomie genießt, nicht obwohl es sich um Juden handelt, sondern weil man ihr gerade als Juden Anspruch auf Ansiedlung im Lande zuerkennt. Wünschen wir also nicht nur aus religiösen Gründen die Kolonisation in Palästina, so müssen wir sie natürlich so wünschen, daß sie erkennen läßt, was jüdische Intelligenz, jüdischer Fleiß und jüdische Ethik leisten, wenn sie sich nur frei entfalten können. Mit anderer Ziel- setzung verfolgen wir also den gleichen Weg wie die Zionisten. Einen Weg, der lange, länger als eine Generation, dauert, bis das Ziel winkt, und der daher die gemeinsame Kraft, den gemeinsamen Willen erfordert.
Der gemeinsame Wille zu einem Werk, das endgültig zu gestalten wir Kindern und Enkeln überlassen müssen, dessen Einzelheiten, oft ferne Zukunftsfragen, heute die Geister nicht zu erhitzen brauchten, das aber unstreitig schön und erhaben ist, könnte und sollte die Judenbeit der ganzen Welt verbinden und erweisen, daß es eine Einheit des Judentums gibt.
Das ist das eigentliche Wesen und das Ziel der Jewish Agency, in der Zionisten und Nichtzionisten gleiches Recht und gleichen Einfluß haben. Wenn das bisher nicht so deutlich in die Erscheinung getreten ist, wie mancher wünscht, so liegt das an dem Vorsprung in Erfahrung und Sachkenntnis, den die Zionisten in zehnjähriger aufopfernder Arbeit gewonnen haben, und an der hemmenden Belastung, die die erweiterte Jewish Agency gleich ; zum Beginn ihrer Tätigkeit durch die August- ereigniSse und ihre Folgen zu bestehen^,hatte, aber auch bestanden hat. „' ^
Die Jewish Agency stellt eine Arbeitsgemeinschaft für ein ganz bestimmtes Gebiet dar, dessen Neutralisierung nur klärend im itampf um Galuthfrage und Gemeindeeinrichtungen wirken würde. Bei Ausschaltung der Palästinafrage würden sich die Parteien schärfer abzeichnen.
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