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Staat Platos voraussehzt, der Staatsbegriff längst zu existieren auf­gehört haben wird.

Die Soziologie als bewußte, heute noch heiß umstrittene Wissen­schaft, besteht kaum hundert Jahre und als ihre Väter können Auguste Comte, Spencer und Lorenz Stein angesehen werden.

Es wäre verlockend und eine Aufgabe für sich, dieDrei-Stadien- Theorie August Comtes zu beleuchten, der vom Individuum ausging und über Familie, Clan, Stamm, Nation -zum Staate gelangte, oder Spencers Anschauung, der von der Geiseilschaft als Aggregat ausgeht und zur Gemeinschaft als System gelangt, oder Steins an Hegel gebil­deten Staatsbegriff, der hellseherisch schon im Jahre 1842 die Dinge reifen sah, die im Jahre 1914 ihre bitteren Früchte trugen.

Das alles ist aber nicht in einen engen Rahmen zu pressen. So will ich nur einiges über die Grundzüge der Geselle-chafts- lehre sagen, die das Individuum nicht in seiner Ver­einzelung betrachtet, sondern als Mitglied einer Gruppe. Bis Comte war die Meinung allgemein, das Individuum sei das Primäre und die Gemeinschaft eine quantitative Zusammenfassung einzelner Individuen. Ganz anders ist die auf biologischer Grundlage aufgebaute Anschauung über Individuum und Gemeinschaft.

Individuum ist, wie Oppenheimer sagt,ein problematischer Begriff, wenn nicht geradezu eine Fiktion, so doch sicherlich ein Grad­begriff. Wo beginnt das Individuum bei niedrigen Wesen, die sich nur durch Teilung und Sprossung, nicht aber zwiegeschlechtlich vermehren? Eine Amöbe ist für den alltäglichen Begriff ein Individuum. Jetzt beobachten wir, wie sie sich einschnürt und in zwei unabhängige Wesen zerfällt. Wo ist das Individuum geblieben? Ist es in einem seiner Teile oder in beiden? In welchem. Die erste aller Amöben lebt in allen weiter. Und wie wird der Mensch zum Individuum? Im intrauterinen Leben? Und wenn, in welchem Ausfoildungszustande des Embryo? Vor oder nach der Geburt? Wenn nach der Geburt, dann hätte der (Schlag der Schere, die die Nabelschnur zerreißt, aus einem Individuum zwei gemacht. Bergson sagt:Ein Organismus von der Natur eines höheren Wirbeltieres ist das individuierteste aller Organismen. Wenn man aber bedenkt, daß es nur das Entwicklungsprodukt des Eichens ist, das dem Körper seiner Mutter und eines Spermatozoids, das dem Körper seines Vaters angehörte, und daß das befruchtete Ovulum eine wirkliche Verbindung der beiden Erzeuger darstellt, da es ihren beiden Substanzen zugleich angehört, so erkennt man, daß jeder individuelle Organismus bis empor zum Menschen nichts anderes ist, als eine Knospe, die auf dem kombinierten Körper seiner beiden Eltern gewachsen ist.

Wo also beginnt und wo endet das Lebensprinzip? Für das höhere Seelenleben kommen wir mit der zoologischen Betrachtung der Art nicht mehr aus.

Es gibt im naturwissenschaftlich strengem Sinne ein einziges Indi­viduum, nämlich das ganze Leben in seiner Erstreckung über Zeit und Rau m.

Aus all dem ersieht man, wie gesagt, daß das Individuum nicht das Primäre ist, sondern daß es sich erst aus der Gruppe herausdiffe-